Das, was ich in den bisherigen 4 Beiträgen von „Isch geh Schulhof“ beschrieben habe, ist seit Jahrzehnten so, und es wird schlimmer. Ich setze die 8 Punkte aus den vorigen Beiträgen hier fort:
9. Eine junge Kollegin, Chrissi, erzählt Philipp Möller, dem Autor des Buches, „von einem Vorfall, den sie vor Kurzem vor der Schule beobachtet hat. Ein junger Mann mit arabischem Migrationshintergrund sei beim Einparken gegen ein anderes Auto gefahren. Als das Rentner-Ehepaar, das zufällig noch im Wagen saß, aus dem beschädigten Auto ausstieg, fing der Typ sofort an, die beiden zu beschimpfen. Chrissi wollte die Polizei rufen, sah dann aber, dass der junge Mann bereits am Telefon hing. Ein paar Minuten später kamen dann allerdings nicht die netten Männer in Grün, sondern drei Autos mit Kumpels, die das ältere Paar lautstark davon abbringen wollten, den Vorfall zur Anzeige zu bringen. /1/ Nachdem Chrissi dann doch die Polizei rief, kamen kurze Zeit später die Funkwagen mit Blaulicht aus allen Richtungen. ‚Die kennen ihre Jungs hier ganz genau‘, fügt Chrissi mit hochgezogener Augenbraue hinzu.'“ (S. 150) Was daraus geworden ist, berichtet Philipp Möller nicht weiter. Ich fürchte sehr, dass die Rentner, die von der Polizei sicher in allen Punkten Recht bekamen, vom aggressiven Auto-Macho und seinem Clan keinen Cent bekommen haben. Sie werden schon froh gewesen sein, von ihm nicht weiter bedroht zu werden. Zum Glück mussten meine armen Eltern, die als Rentner kurz vor der Wende nach Westberlin zogen, so etwas nicht erleben. Mein Vater liebte sein Auto und die „deutsche Ordnung“. Dass es sie in Berlin schon lange nicht mehr gab, hatte er nicht geahnt. Er wäre, wenn ihm so etwas passiert wäre, wahrscheinlich vor Fassungslosigkeit in Ohnmacht gefallen. Eine gnädige Demenz bewahrte ihn, und er gab 2005 freiwillig seinen Führerschein ab. Durch den milden Schleier der Altersvergesslichkeit hat er dann den Zerfall seines geliebten Berlin, das inzwischen Bundeshauptstadt geworden war, nur noch gedämpft erlebt. Zum Glück, denn sonst hätte ein Mann, der immer großen Wert auf die korrekte Ausführung der Hausordnung legte, als er noch in Brandenburg lebte, niemals mit der verlotternden Hauptstadt-Repräsentanz des neuen Deutschland, des besten, das wir je hatten, in dem Unrecht und Unordnung auf dem Vormarsch sind, seinen Frieden schließen können. Dieser Prozess bildete die gefährlichen Ausmaße, die er heute hat, Schritt für Schritt mehr in einer Zeit aus, als Deutschland 16 Jahre lang von einer CDU-Kanzlerin geführt wurde. Jetzt ist sogar Berlin selbst CDU-geführt, und die Anmaßung solcher machohaften Arroganz, wie sie darüber beschrieben ist und auch schon in den vorigen Folgen dieser Reihe zur Sprache kam, zum Beispiel in der U-Bahn, sprießt weiter.
Und es geht weiter in diesem Takt, im Buch und im Leben:
10. „Entrüstet von Chrissis Story verabschiede ich mich von ihr und verlasse das Schulgebäude, um vor der nächsten Stunde noch schnell zum Bäcker zu gehen. Als ich draußen ankomme, sehe ich, dass der Fahrer eines kleinen Lieferwagens die Einfahrt vor der Schule nutzt, um zu wenden… Mit seiner Hupe und wilden Gesten scheucht er die Kinder weg…, damit er seinen Wagen schließlich im absoluten Halteverbot abstellen kann. Als er aus dem Auto steigt, spreche ich ihn an, doch zum Gespräch ist der Rowdy offenbar nicht bereit. Stattdessen ballt er die Faust und brüllt mich an. ‚Isch mach, was isch will, du Schwuchtel. Klar?‘ … ‚Halt disch raus‘, fährt er leiser fort, ’sonst hau’sch dir in die Fresse!‘ Mit diesen Worten geht er dann weiter, als wäre nichts passiert. Ich kann es kaum fassen und rege mich so sehr auf, dass ich kurz davor bin, die Polizei zu rufen. ‚Lass es lieber‘, rät mir eine Kollegin… resigniert, die ebenfalls vor der Schule steht und meint, das einzige Ergebnis einer Anzeige sei, dass ich dann Stress mit ihm und dadurch auch mit seinen Kumpels bekäme.“ (S. 151f.) Achso. So geht das in Deutschland. Das sollte man ausländischen Touristen erklären, die vorhaben, Deutschland zu besuchen: Lege dich ruhig mit den Deutschen in Deutschland an, aber niemals mit Arabern oder Türken, die hier leben. Deutschland ist eine Machozucht-Nation.
Das, was ich etwas weiter oben fett hervorgehoben habe, könnte ein Leitmotto der Bundesrepublik Deutschland der Gegenwart sein, am vehementesten und häufigsten von einigen derer vertreten, die am kürzesten hier sind, einschließlich des pikanten Zusatzes „Sonst hau‘ ich dir in die Fresse!“. Das ist ein Herrenmenschentum neuen Typus. Wer hätte das gedacht? Nicht nur das Flugwesen entwickelt sich, sondern auch Deutschland – unter Führung der bewährten Demokraten des Establishments. Ein Berliner Lehrer erzählte mir erst vor kurzem, dass ihm vom Vater eines Schülers, mit dem es Schwierigkeiten gab, gedroht wurde: „Sonst messere ich dich!“ In Anbetracht dessen, was sich auf deutschen Straßen und in deutschen Zügen abspielt, hat er das sehr ernst genommen und ist, betreten nach unten schauend, verstummt, als wenn er ein Gast wäre, der in seinem eigenen Land nur kurz zu Besuch ist.
Das stimmt mit dem überein, was Philipp Möller schreibt, der wohlgemerkt von seiner Grundhaltung her offensichtlich linksliberal eingestellt ist. Nach der U-Bahnattacke, die ich in Teil 3 zitiert hatte, schreibt er eine Seite später: „Wie üblich [Hervorhebung von mir – Karl] tun nach diesem Zwischenfall alle verbliebenen Fahrgäste so, als wäre nichts passiert.“ (S. 58) In Anbetracht der chronischen Überforderung der deutschen Sicherheitsorgane, besonders in Ballungsräumen, halte ich dieses Verhalten nicht für feige, sondern für klug. /2/
11. Philipp Möller kriegt sich wieder ein: „Am Nachmittag, auf dem Weg nach Hause, bin ich immer noch so wütend, dass ich mich langsam fragen muss, ob ich auch bei einem Menschen ohne Migrationshintergrund so reagiert hätte. Glücklicherweise [Hervorhebung – Karl] übersieht mich kurze Zeit später ein Rechtsabbieger, als ich mit dem Fahrrad eine grüne Ampel überquere, und fährt mich fast über den Haufen. Meine Wut erreicht nun einen vorläufigen Höhepunkt, und so frage ich den Fahrer des Wagens aufgebracht, ob er in Zukunft vielleicht nicht lieber mit dem Bus fahren wolle. ‚Fahr jetzt ma weiter, du kleiner Pisser‘, fällt ihm dazu nur ein… Als mir ein paar Ampeln später klar wird, dass der Typ genauso deutsch war wie ich, bin ich zwar etwas beruhigt [??], fahre aber dennoch schimpfend weiter. Rücksichtslosigkeit kennt eben auch keine Ländergrenzen [Hervorhebung – Karl].“ (S. 152f.)
Na herrlich, da ist die Welt ja wieder in Ordnung! Erstens: Einfach vom Berliner Dialekt und einer weißen Hautfarbe zu schließen, dass es sich um einen Deutschen handeln muss, verrät „völkisches“ oder „ethnisches“ Denken, was der AfD unentwegt vorgehalten wird. Zweitens und wichtiger: Das lässt sich doch gar nicht gleichsetzen: Jemand verursacht tatsächlich einen Unfall, telefoniert seine Kumpels heran und bedroht dann die Opfer des Unfalls, ein älteres Rentnerehepaar, massiv. Das soll das Gleiche sein wie wenn jemand, der einen anderen gefährdete, auf dessen aufgeregte Empörung mit einem dummen Spruch reagiert? Das zeigt mir deutlich, dass auch Philipp Möller die Welt nicht so sehen und beschreiben will, wie sie ist, sondern wie sie ideologiegeleitet sein soll. Und ich sehe auch einen „Schuldstolz“, den die politische Klasse pflegt: Wir Deutsche sind – mindestens! – so an dem Schuld, was schiefläuft, wie ausländische Rechtsbrecher. Das lassen sich Leute wie Philipp Möller nicht nehmen. Bloß wie man eine Welt bessern soll, wenn man so tut, als wenn sie schon besser wäre, ist mir nicht klar.
Fußnoten
/1/ Da sieht man, wie wichtig Gemeinschafts- und Beziehungsfähigkeit im Leben sind. Die Deutschen sind entwurzelt und vereinzelt. Da steht jeder zuerst nur für sich, sie betrachten sich höchstens noch als (englischsprechende) Berliner, aber keinesfalls als Einwohner einer deutschen Nation. Ich kann dann Arabern oder Türken nicht verübeln, dass sie lieber eigene Gemeinschaften bilden. Wohin sollten sie sich auch integrieren? Es gibt in Deutschland keine große nationale Gemeinschaft aller derer, die schon länger in Deutschland leben. Die etablierten Politiker glauben, dass die EU oder „der Westen“ so eine große Gemeinschaft mit einem Zusammengehörigkeitsgefühl sein könnte, in die sich alle integrieren. Ein Zuhause-Gefühl muss aber immer überschaubar und begrenzt bleiben, verbunden durch eine Sprache und einen Grundstock mentaler Eigenheiten. Ansonsten können wir uns auch als Bürger einer Galaxis fühlen. Warum dann bei der Erde stehen bleiben, wo es doch ganz gefährlich ist, den eigenen Planeten mehr zu lieben als andere?
/2/ Ich frage mich, ob bei dieser über die Zeiten bis heute verbreiteten Feigheit einfachen deutschen Bürgern ein Vorwurf gemacht werden kann, dass sie sich – zum Beispiel – zur „Reichskristallnacht“ im November 1938 nicht gegen einen Mopp aggressiver SA-Herrenmenschen stellten. Auch in der U-Bahn sind schon mehrfach „erwachsene Männer“, die orientalische Jugendliche zum Einhalten der geltenden Regeln aufforderten, nicht nur „vor den Augen anderer Fahrgäste ins Koma [ge]prügel[t]“ worden, wie Philipp Möller auf S. 58 seines Buches schreibt, sondern sind mehrere im Laufe der Jahre tatsächlich dadurch zu Tode gekommen. Gründe, feige zu sein, gab es also damals wie heute. Viel wichtiger als inhaltliche Symbole, hinter denen sich Gewalttäter verstecken, also zum Beispiel das Hakenkreuz oder andere Zeichen wie zum Beispiel die zur Hand geballte Faust thälmannscher, stalinistischer oder maoistischer Klassenkämpfer beziehungsweise auch islamistische Symbole sind die sozusagen stilistischen Merkmale des Kämpfens: Ist es menschenverachtend, nimmt es schwere Verletzungen oder sogar den Tode des „Feindes“ in Kauf? Das ist in jedem Fall inakzeptabel, egal, welches zeitgeistige Mäntelchen sich die Lust am Verletzen bis hin zur Todesfolge umhängt. Diese stilistischen Merkmale lassen ein Handeln nazistisch oder faschistisch werden, auch dann, wenn es vorgibt, gegen „Nazis“ und „Faschisten“ vorzugehen. Mit dieser Etikettierung wird der Mitmensch zum Untermenschen herabgewürdigt, der „vogelfrei“ ist für jede Art von Gewalt. Das ist genau die Strategie, die in der Geschichte immer gegen sogenannte „Feinde“ angewandt wurde, in besonders verheerender Weise gegen die Juden.
Ein Kommentar zu “Das ist Berlin, das ist Deutschland: „Isch geh Schulhof“ (5)”