Jedenfalls in Deutschland (nicht). Zwischendurch, bevor ich an meinem Roman „Mein Weg ins Leben“ weiterschreibe, in dem ich das Bild einer idealen Schule, wie sie mir vorschwebt, entwerfe, war ich gestern mit Marlen im Kino. Wir haben den vielfach ausgezeichneten Film „Das Lehrerzimmer“ gesehen.
Quintessenz für mich: Unsere Gesellschaft führt sich mit ihrem Individualismus selbst ad absurdum. Das gilt besonders für Schulen als Schutzraum für die ungestörte Entwicklung jeder einzelnen Kinderpersönlichkeit. Lehrer und andere Pädagogen können gar nicht anders, als in Fettnäpfchen zu treten, die sich oft genug als hochexplosive Minen entpuppen.
Was du als Lehrer auch machst, du machst es falsch, du kannst den hohen Ansprüchen der vielen Einzelnen gar nicht gerecht werden. Wenn es sich bei diesen dann auch noch um besonders besondere, hochangesehene „Exemplare“ wie die mit Migrationshintergrund, Mädchen, die lieber Jungen sein wollen und umgedreht, oder Kinder mit Beeinträchtigungen wie ADHS oder einer Autismus Spektrum Störung (ASS) handelt, solltest du als Lehrer dringend gucken, wie du dich selbst auch aufwerten kannst.
Vielleicht hast du Asperger Autismus und darum auch Rechte, vielleicht sogar das auf eine besonders aufmerksame Behandlung durch deine Schüler, deren Eltern und deine Kollegen? Um geschlechtliche Identität, ADHS und ASS ging es im Film allerdings und zugegebenermaßen nicht. Da reichte der „normale“ Individualismus, um eine erfolgreiche Arbeit als Lehrer zu verunmöglichen. Die Lehrerin pflegt ihn selbst tapfer, und auch die Filmemacher werden ihn für alternativlos halten.
Sie hat in ihrer Klasse zum Beispiel ein hilfreiches Ritual des Stundenbeginns und der Aufmerksamkeitswiederherstellung mit Händeklatschen eingeführt. Selbstverständlich ist das nicht mit den Kollegen abgesprochen und nur in ihrer Klasse so. Einige Schüler wünschen sich nach der Rückgabe einer Arbeit einen Notenspiegel an der Tafel. Das geht gar nicht. Wo kommen wir da hin, wenn sich die Schüler in der Klasse mit ihren Leistungen vergleichen und sie so besser einordnen können?
Das wäre gerade die pädagogische Leistung, für einen Schüler, der schon wieder eine Sechs bekommen hat, Lernhilfe durch leistungsstarke Mitschüler zu organisieren. Dafür müssen aber erst einmal Öffentlichkeit und Ehrlichkeit in der Klasse herrschen, anstatt verdruckster Heimlichtuerei. Nein! Die neuwestliche Pädagogik sagt, man dürfe einen Schüler mit dem, was er (sich) geleistet hat, keinesfalls konfrontieren. Die Wahrheit sei für ihn beschämend, man müsse sie unbedingt verdecken und sozusagen mit einem „schwarzen Balken“ versehen.
Die deutsche Gesellschaft wird immer mehr zu einer anonymen. Die Leute fühlen sich ständig angegriffen und in ihrer „Identität“ bedroht. Schnell fallen sie dann beleidigt in ihre eigene Sprache zurück. (Aber wehe, du hast vorher gefragt, woher sie ursprünglich kommen. Empörung !!)
Das Gymnasium, in dem die Lehrerin arbeitet, ist eine „Null-Toleranz-Schule“. Das ist ein guter Ansatz. Fehlverhalten, natürlich und vor allem erst recht kriminelles, soll von vornherein und entschlossen gewehrt werden. Um Diebstähle, die nicht aufhören, aufzuklären, sollten zum Beispiel alle Jungen der Klasse ihre Geldbörsen vorzeigen.
Natürlich nur freiwillig. „Aber wer nichts gestohlen hat, muss ja auch nichts verbergen.“ Logisch und richtig. Eine Mutter, die in die Schule bestellt wurde, weil ihr Sohn besonders viel Geld in seiner Börse hat, ist empört: Und wenn ich meinem Sohn eben täglich viel Geld mitgeben möchte? Na und!? Das ist doch meine Sache! Ist das verboten!? Empörung allerorten /1/; die Rechte der Einzelnen sind heilig.
Diese Geldbörsenkontrolle ist ein schrecklicher Fauxpas. Ich spüre richtig, wie der Autor und Regisseur selbst empört sind, nicht nur ihre Filmfiguren. Wie konnten es die Lehrer nur wagen, einzelne Schüler einer solchen ungeheuerlichen Verdächtigung auszusetzen? Dann soll doch lieber weiter geklaut werden, aber wir dürfen keinen verdächtigen. Auch unsere Helden-Lehrerin ist dieser Meinung und stellt sich gegen ihre Kollegen, die die Kontrolle ruhig und bestimmt vornahmen.
Sie will das Problem selbst lösen, ohne Schülern und ihren Eltern zu nahe zu treten. Sie steckt im Lehrerzimmer ihre Geldbörse in ihre Jacke, die über dem Stuhl hängt und postiert und programmiert ihren Laptop so, dass er mit seiner Kamera den Stuhlbereich filmt. Und siehe da, die Sekretärin der Schule schleicht sich heran und entnimmt der Börse Geld. Unsere Heldin konfrontiert sie damit, was sie doch grundsätzlich nicht mehr tun darf in Deutschland, jedenfalls wenn sie eine Frau, einen Beeinträchtigten oder sonstwie Besonderen vor sich hat, und bietet ihr an, das Geld zurückzugeben und die Sache dann auf sich beruhen zu lassen. Sie sorgt extra dafür, dass kein anderer dabei ist, während sie mit der Diebin redet.
Aber diese ist wie alle – Kinder und Erwachsene – im heutigen Deutschland. Sie ist empört, furchtbar empört: Was erlauben Sie sich, mich ohne meine Einwilligung gefilmt zu haben! Nicht der Diebstahl, der das Vertrauen in jeder Gemeinschaft zerstört, ist noch das Problem, sondern das unerlaubte, verdeckte Filmen. Ein ähnlich schweres Desaster wäre in dieser Art Gesellschaft, vergessen zu haben, vollständig zu gendern, unter Einbeziehung aller Geschlechter.
Die Diebin lässt ihren Sohn, der Schüler in der Klasse unserer Heldin ist, vollständig auflaufen, weil sie in ihrer Opferrolle verharrt und von dort aus die Lehrerin weiter angreift. Mit Erfolg.
Nicht hinsehen, nicht wahrhaben wollen ist die Devise dieser Gesellschaft, außer wenn es um den Kampf gegen das geht, was kurzerhand für „rechts“ erklärt wird. Dann gute Nacht, Marie. Den Film sahen auch einige Lehrerstudenten. Ich hoffe, sie haben noch rechtzeitig begriffen, dass sie sich einen solchen Beruf unter diesen gesellschaftlichen Bedingungen nicht antun sollten. Bleibt noch eins: Sie gründen selbst eine Schule wie die in Waldberg.
Fußnoten
/1/ Das betrifft alle, die in Deutschland auf irgendeine Weise erziehen und Recht und Ordnung durchsetzen sollen, zum Beispiel auch die Polizei. Da wurden in Leipzig Gewalttäter eingekesselt, die die Polizei mit Steinen bewarfen, bis hin zur Pflastersteingröße. Unentwegt wurden die friedlichen Demonstranten aufgerufen, sich von diesen Gewalttätern zu entfernen. Die, die eingekesselt wurden, taten es nicht. Sie hätten sofort dem „Kessel“ entkommen können, wenn sie kooperativ gewesen wären und ihre Ausweise vorgezeigt hätten. Das taten sie auch nicht, das war eine Zumutung für sie. Lieber waren sie empört und sprechen von Polizeigewalt. Genau das gleiche Muster wie im Film.
Nun, lieber Karl, dein Fazit schreit ja förmlich nach einem Kommentar!
In allem, was du zum Film schreibst, stimme ich mit dir überein. Lehrer war auch schon zu unserer Zeit kein lukrativer Beruf zum Geldverdienen, es gehörte schon viel Liebe zu Kindern und etwas Idealismus dazu. Doch wenn man es gut hinbekam, war es auch erfüllend, von Kindern bekommt man ja immer auch Schönes zurück.
Du hast Recht, eine geschlossene Lehrergemeinschaft mit einem klaren Erziehungskonzept habe ich nie vorgefunden, fühlte mich weitestgehend immer als Einzelkämpfer. Es ist gut, wenn du das in deinem Waldberg – Schulkonzept in den Mittelpunkt stellst. Der Film hat das im Negativen gut verdeutlicht.
Widersprechen möchte ich dir lediglich, wenn du den Lehrerstudenten den Rat gibst, sich diesen Beruf lieber nicht anzutun. Ich selbst finde es feige, Problemen und Schwierigkeiten von vornherein aus dem Weg zu gehen und immer nur den leichten Weg zu wählen. Es ist doch eine anspruchsvolle Herausforderung, wenn die Absolventen von Anfang an versuchen, an ihrer Schule neue Wege zu gehen und mit kreativen Ideen Mitstreiter zu gewinnen. Aufgrund des derzeitigen Lehrermangels haben sie dafür doch momentan recht gute Karten.
Ich denke, das was sich die “ Letzte Generation“ beim Klimaschutz leistet und somit in Bewegung brachte, muss unbedingt auch im Bildungsbereich passieren, wenn wir diesbezüglich nicht vollkommen abgehängt werden wollen. Ich wundere mich schon lange, dass junge Lehrer und Eltern den Bildungsnotstand so widerstandslos hinnehmen, es geht ja auch hier um die Zukunft ihrer Kinder. Wir brauchen doch dringend gut gebildete und disziplinierte Schüler, die später ihr Wissen, ihren technischen Sachverstand und ihre Arbeitsdisziplin einbringen, um ein hohes Wirtschaftswachstum zu gewährleisten. Gegenwärtig sind wir in allen Bereichen auf einem absteigenden Ast. Als rohstoffarmes Land sind wir jedoch auf diese Ressourcen nach wie vor angewiesen.
Und deshalb möchte ich die junge Generation ermutigen, diesen anspruchsvollen und interessanten Beruf des Lehrers als Herausforderung zu begreifen und zu ergreifen, sofern man gern täglich mit Kindern und Jugendlichen arbeiten möchte. Traut euch und bemüht euch um Veränderungen, damit ihr euch in einer Gemeinschaft stark genug fühlt, um nicht vorzeitig „auszubrennen“. Der Lohn bleibt bestimmt nicht aus: Täglicher Umgang mit Kindern und Jugendlichen bewirkt, dass man sich selbst lange Zeit jung fühlen kann, weil man das innere Kind für immer bewahrt hat.