Gendern (1) Auch ein Ost-West-Diskurs

In Deutschland entpuppt sich manche politische Diskussion bei näherem Hinsehen als Stellvertreter-Diskussion.

So auch der Disput um das sprachliche Gendern, also um die Herbeiführung von mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern durch künstlich forcierten Sprachwandel. In dieser verkürzten Definition zeigt sich die ganze Absurdität des Vorhabens. Andererseits verrät der seit Jahren mit einer humorlosen Heftigkeit geführte Diskurs mehr über den Zustand unserer Gesellschaft, als das Thema auf den ersten Blick herzugeben scheint.

Meine ersten Erfahrungen mit der Forderung nach einer, wie es hieß, „geschlechtergerechten“ Sprache liegen mehr als 30 Jahre zurück. Als ehrenamtlicher Neuzugang im Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, genannt „Quoten-Ossi“, stellte ich mich dem Gremium vor mit den Worten: „Mein Name ist Meta S. Ich bin Lehrer.“ Ein mehrstimmiges „-rin!, -rin!, -rin!“ ließ mich zusammenzucken. Verdattert erklärte ich: „Na, dass ich eine Frau bin, sieht man doch.“ Der darauf folgende Wortwechsel war bezeichnend für das damalige Aneinander-vorbei-Reden.

Stimme aus dem Auditorium: „Weiblichkeit ist also eine Frage der Optik!?!“
Ich: „Unter anderem. Würde jedenfalls mein Mann sagen.“
Stimme: „Lass die Männer da mal raus.“
Ich: „Das geht nicht; ich habe zwei Söhne.“
Stimme: „Muss man Mutter sein, um als Frau zu gelten?“ 
Ich: „Kann jedenfalls nicht schaden. Und die Chromosomen sollten natürlich auch stimmen.“
Stimme: „Aha, der biologistische Ansatz.“


In der Pause kommentierten meine beiden Kolleginnen aus Jena und Magdeburg den Vorgang. „Deren Probleme möchte ich haben“, sagte die eine. Und die andere fügte hinzu: „Kein Kind, kein Kacks, aber auf ihre Frauenrechte pochen.“
Wir waren uns einig, in einen Diskurs hineingeraten zu sein, der nicht der unsere war. In den Altbundesländern stand er aber ganz weit oben auf der Liste politischer Diskurse. Wie war das zu erklären? Hätte das Thema nicht eher in einen germanistischen Fachzirkel gehört? Warum wurde über einzelne Sprachregelungen so unerbittlich gestritten? An einem gesteigerten öffentlichen Interesse für Fragen der Sprachkultur konnte es nicht liegen. Offenbar ging es um die Kritik der herrschenden Geschlechterverhältnisse, die am Beispiel der herrschenden Sprache durchbuchstabiert wurden. Die vorgeschlagenen Eingriffe in den Sprachgebrauch waren also in erster Linie politisch motiviert. Die unschönen Konsequenzen für Ausdruck und Stil glaubte man wohl in Kauf nehmen zu müssen. Die gute Absicht rechtfertigte den schlechten Auftritt? Das erinnerte mich an einen Satz aus DDR-Zeiten: „Hauptsache, der Klassenstandpunkt stimmt.“ Grund genug, mich letztlich doch an dem Diskurs zu beteiligen und bis heute damit fortzufahren.


Fragt man den berühmten „einfachen Mann auf der Straße“, den Otto Normalverbraucher gewissermaßen und seine Frau Ottilie, so bekommt man zu hören, dass der ganze Zirkus überflüssig sei und die neuen Regeln nur Verwirrung stifteten, ohne einen praktischen Nutzen zu haben. Fragt man Leute vom Fach, wenn sie nicht gerade zu den „Genderern“ gehören, so monieren sie vor allem die Willkkür und Ignoranz des Umgangs mit der Fakten- und Forschungslage. Ohne Sie hier mit einem Fachartikel traktieren zu wollen, will ich doch drei der Begriffe unter die Lupe nehmen, an denen sich die Diskussionen immer wieder entzünden. Die Konflikttreiber heißen: „generisches Maskulinum“, „Gendersternchen“ und „Geschlecht“.
Die Genderforschung setzt bekanntlich das biologische Geschlecht eines Menschen zu seinem sozialen Geschlecht in Beziehung, untersucht also die gesellschaftlichen und kulturellen Prägungen, die ihn zur Frau oder zum Mann machen. Wobei diese binäre Aufteilung schon aus rein biologischer Sicht nicht stimmt: Die Humanbiologie unterscheidet heute mindestens 8 Geschlechter, will heißen: 8 Kombinations-möglichkeiten der vorhandenen X- und Y-Chromosomen. Hinzu kommt die psychische Dimension: Manche Menschen können sich mit ihrem biologischen Geschlecht nicht identifizieren und leben ihr gefühltes Geschlecht auf unterschiedliche Weise aus. Mittlerweile wird die biologisch und sozial bedingte Diversität vor dem Hintergrund mehrheitlich hetero-sexueller Menschen in dem Kürzel „LGBTQI+“ zusammengefasst (auf Deutsch: lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, transgender, queer, intersexuell, asexuell, …). So weit, so gut. Problematisch ist nur, dass die „Genderer“ diesen Diversitäts-Ansatz propagieren und gleichzeitig mit dem alten Mann-Frau-Schema argumentieren, das überwiegend als Entweder-Oder verstanden wird.

Ob nun Befürworter oder Gegner des sprachlichen Genderns, wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Aussagen darüber, wie ein „richtiger Mann“ bzw. eine „richtige Frau“ zu sein hat, einem stetigen Wandel unterworfen sind. Sie spiegeln den in einer bestimmten Zeit dominanten Meinungsstrom wider und werden von Menschen getätigt, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen Rolle die Definitionsmacht besitzen. Und das waren jahrhundertelang die Männer. Entsprechend hat sich die männliche Sicht auf die Welt auch in der Sprache festgesetzt. Was die Geschlechterrollen betrifft, so schwingen in vielen Personen-bezeichnungen Wertungen oder moralische Urteile aus männlicher Sicht mit. Zum Beispiel kommt der Junggeselle besser weg als das späte Mädchen, der Hagestolz besser als die alte Jungfer; dem Draufgänger lässt man so manches durchgehen, aber das Flittchen straft man mit Verachtung. Dem Vater wird das Land zugeschrieben, der Mutter (nur) die Sprache. Auch die Bezeichnungen für Berufe, Tätigkeiten und Funktionen, sofern diese früher überwiegend oder ausschließlich von Männern ausgeübt wurden, sind nicht auf Frauen zugeschnitten.
Daraus ziehen die „Genderer“ den Schluss, dass man diesen Zuschnitt jetzt endlich herbeiführen müsse – und schütten das Kind gleich mit dem Bade aus. Zum Beispiel, indem sie von der Annahme ausgehen, im Deutschen stimmten Genus (= grammatisches „Geschlecht“) und Sexus (= biologisches Geschlecht) i.d.R. überein und bei Lebewesen werde qua Artikel eindeutig das Mann-Frau-Schema bedient. Wenn das so einfach wäre, wäre der Vamp ein Mann, die Memme eine Frau und das Faktotum oder das Weib wären geschlechtslos. Tatsächlich haben sprachgeschichtlich verschiedene Regeln zu einer Artikelzuweisung beigetragen, die keine stringenten Schlüsse auf das biologische Geschlecht zulassen. Ausschlaggebend ist zum Beispiel die Wortendung oder das Sachgebiet. So sind alle Wörter auf „-ung“, „-heit“ und „-keit“ „weiblich“, während alle Wochentage und Monate „männlich“ sind.
Viele Anhänger des sprachlichen Genderns argumentieren auch bei den Endungen „-in“ und „-er“ nicht sachgerecht bzw. zu undifferenziert. Tatsächlich hat nur „-in“ eine eindeutige und exklusive Funktion, nämlich Personen, Berufe, Tätigkeiten usw. als „weiblich“ zu markieren. Für „-er“ sind dagegen verschiedene Funktionen im Angebot, die je nach dem wirksam werden: Als Wortbildungsendung ändert „-er“ die Wortart vom Verb zum Substantiv (laufen – der Läufer) – wobei das Substantiv dann nicht automatisch einen Beruf, eine Tätigkeit oder eine gesellschaftliche Funktion benennt (der Schieber, der Rechner, der Trenner) -, als Flexionsendung markiert „-er“ z.B. die erste Steigerungsstufe von Adjektiven (bunt – bunter) und als Teil des Wortstamms bildet „-er“ bei mehreren Wortarten einfach nur den Wortausgang (Gitter, mager, heuer, hinter, aber, …). Die Endung „-er“ ist also nicht ausschließlich (und nicht einmal hauptsächlich) ein „Männlichkeitsmarker“ und muss deshalb in entsprechenden Kontexten auch nicht reflexartig durch Anhängen der Endung „-in“ neutralisiert bzw. korrigiert werden.


Auf die Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten von „-er“ beruft sich auch die spätestens seit dem 19. Jahrhundert gängige Praxis, maskuline Bezeichnungen von menschlichen Tätigkeiten, Funktionen und Berufen neutral, also ohne Bezug auf Sexus und Geschlecht, zu gebrauchen. Dafür hat sich der Begriff „generisches Maskulinum“ eingebürgert. Die meisten Männer sehen heute in dieser Praxis ein gut funktionierendes Instrument der Gleichbehandlung und betonen, dass bei den betreffenden Bezeichnungen Frauen ja ohne Wenn und Aber mitgemeint seien. Viele Frauen sehen das auch so. Aber besonders Feministinnen lehnten und lehnen dieses männlich geprägte Gewohnheitsrecht ab, weil es die Frauen „begrifflich unsichtbar“ mache. Auch der ähnlich funktionierende traditionelle Plural (die Lehrer, die Ärzte usw.) wird aus demselben Grund beargwöhnt.

Tatsächlich entschärft der Kommentar „Frauen sind doch immer mitgemeint“ im Konfliktfall die Auseinandersetzung nicht. Besonders dann nicht, wenn Frau, einmal sensibilisiert für das Problem, den Spieß umdreht. So wurde für bestimmte Texte vorgeschlagen, von den weiblichen Bezeichnungen auszugehen und anzumerken, dass die Männer ja mitgemeint seien. Der männliche Protest spitzte sich zu, wenn es um Berufe und Tätigkeiten ging, die historisch gesehen zuerst von Frauen ausgeübt wurden. Die Geschichte des Sprachwandels weiß von solchen Beispielen und es lässt sich belegen, dass den Männern immer dann flugs ein neues Wort eingefallen ist, wenn sie sich „nur mitgemeint“ fühlten: Als Pendant zur Hebamme wurde der Entbindungspfleger kreiert (der sich seit 2020 auch Hebamme nennen darf), die Krankenschwester findet sich als Krankenpfleger wieder, aus dem Zimmermädchen wird der Roomboy oder Housekeeper und die männliche Putzfrau heißt laut Duden Putzmann. Je mehr Männer übrigens in ehemals reinen Frauenberufen Fuß fassten, desto wahrscheinlicher war es, dass dort das Lohnniveau angehoben wurde.
Aus der Genderpespektive haben demnach sowohl das generische Maskulinum als auch der traditionelle Plural ihre Unschuld verloren; sie sind aber in vielen Fällen schwer zu ersetzen.
Übrigens hatten die meisten Ost-Frauen, die ich fragte, am generischen Maskulinum trotzdem nichts auszusetzen. Sie fanden, dass sich gerade im Verzicht auf die Endung „-in“ die Normalität der Gleichbehandlung zeigte, weil eine Tatsache, die nicht mehr als etwas Besonderes hervorgehoben werden musste, auf dem besten Wege war, zur Selbstverständlichkeit zu werden – und das war doch eigentlich die höchste Form von Gleichstellung.


So weit hatte ich damals gar nicht gedacht, als ich mich Lehrer nannte und nicht Lehrerin. In der DDR wurde bis zur Wende das generische Maskulinum bei Berufs- und Funktionsbezeichnungen von niemandem in Frage gestellt. Meine persönlichen Dokumente belegen es: Ich besaß neben dem Abitur einen Abschluss als Facharbeiter für den Betriebs- und Verkehrsdienst, war Abiturient, dann Student und Blutspender, Träger der Diesterweg-Medaille, danach Lehrer, stellvertretender Direktor, Aktivist, Oberlehrer, Lehrer im Hochschuldienst. Lediglich in meinem Mutterpass stand eine Partizip I-Konstruktion: Spätgebärende – da war ich 23 und laut herrschender Meinung schon etwas in Verzug.

Der im Osten übliche Sprachgebrauch wurde durch das staatlich gelenkte Vorhaben bekräftigt, Frauen für klassische Männerberufe zu gewinnen. Solche Berufe wurden Mädchen und jungen Frauen gezielt schmackhaft gemacht, und zwar nicht nur, weil die DDR-Führung auf den Arbeitskräftemangel in bestimmten Branchen reagieren musste, sondern auch, weil man damit einem erklärten politischen Ziel näher kommen wollte: Die Gleichberechtigung von Mann und Frau gehörte zur Staatsdoktrin. In meinem Freundes- und Bekanntenkreis gab es weibliche Kranführer, Geflügelzüchter, Trainer, Betonbauer, Elektromonteure, … Bei Berufen und Tätigkeiten, die traditionell in weiblicher Hand waren, wurde natürlich die Endung „-in“ nicht in Frage gestellt: Verkäuferin, Sekretärin, Kindergärtnerin, Köchin, Schneiderin,… – und alles möglichst in Vollzeit.

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