Wer für eine gendersensible Sprache ist, kann nicht für Gendersternchen und Co. sein (1)

Kürzlich wurde ich aufgefordert, in meinem Artikel für die Gewerkschaftszeitung nicht „unsere Bündnispartner“ zu schreiben, sondern „unsere Bündnispartner*innen“. Ich weigerte mich mit der Begründung, dass es hier nicht um eine einzelne Person geht, sondern um ein juristisches Konstrukt, dem man kein natürliches Geschlecht zuordnen könne. Die Debatte um Sinn und Unsinn des sprachlichen Genderns reißt einfach nicht ab. Ich fühle mich zu einem Nachschlag zum Thema genötigt, der auf einige der überstrapazierten Reizworte eingeht.

1. Die propagierten Vorschläge für eine gendergerechte bzw. -sensible Sprache ignorieren von der Linguistik längst erforschte Zusammenhänge.

1.1 Reizthema „generisches Maskulinum“

Für das generische Maskulinum, also jene Art der Bezeichnung von Berufen, Funktionen und Tätigkeiten, bei der Frauen angeblich  „nur mitgemeint“ sind, gibt es sprachhistorisch sehr unterschiedliche Gründe. Oft entzündet sich der Streit an der Nachsilbe -er. In erster Linie hatte diese Endung die Funktion, den Wortartenwechsel von einem Verb zu einem Substantiv zu signalisieren, also z. B. aus fahren Fahrer zu machen, aus heulen Heuler, aus heften Hefter, aus springen Springer. Nur ein Bruchteil der so entstandenen Substantive hat mit ‚Geschlecht‘ überhaupt etwas zu tun. Die Endung -er hat außerdem weitere Funktionen, z. B. markiert sie die 1. Steigerungsstufe von Adjektiven (röter, schöner, dümmer) und ist ein im Deutschen bei mehreren Wortarten häufig verwendeter Wortausgang. Im Gegensatz zur Endung -in, die ausschließlich dazu dient, das natürliche Geschlecht von Menschen und anderen Lebewesen als weiblich auszuweisen, ist -er alles andere als ein exklusiver Männlichkeitsmarker (man denke nur an Wörter wie Mutter, Schwester, Jungfer). An alten Texten lässt sich außerdem nachweisen, dass viele Substantive auf -er, die menschliche Tätigkeiten beschreiben, ohne jede geschlechtliche Konnotation gebraucht wurden.

Ein gewisser Beigeschmack, zumal bei Berufs- und Funktionsbezeichnungen mit -er als Endsilbe, ist aber nicht von der Hand zu weisen. Da die meisten der hier zu nennenden Professionen/Beschäftigungen zuerst (nur) von Männern ausgeübt wurden, dürften sie auch als „eher männlich“ abgespeichert worden sein. Ab dem Zeitpunkt, wo Frauen stärker in die Berufstätigkeit eingebunden wurden oder öffentliche Ämter bekleideten, ergab sich dann die Notwendigkeit, in bestimmten Kontexten zu betonen, dass es sich um einen weiblichen Bäcker, Händler, Aufseher usw. handelte.

1.2 Reizthema „Genus gleich Sexus“

Die Behauptung, das grammatische Geschlecht (Genus) von Substantiven stimme mit ihrem natürlichen Geschlecht (Sexus) überein und sei am zugehörigen Artikel ablesbar, basiert auf einer groben Vereinfachung und stimmt in vielen Fällen nicht.

Die Frage, welchem Substantiv warum welcher Artikel – früher auch „Geschlechtswort“ genannt – zugewiesen wird, ist nicht leicht zu beantworten, weil im Laufe der sprachgeschichtlichen Entwicklung unterschiedliche, einander teilweise widersprechende Prinzipien der Artikelzuweisung zum Zuge kamen. So hängt der Artikel in vielen Fällen von der Endsilbe des Substantivs ab: Alle Wörter auf -ung, -heit, -keit und -schaft sind „weiblich“, alle Wörter auf -ling, -ant, -ast, -ent sind „männlich“, alle Wörter auf -chen, -lein, -tel, -tum, -nis sind „neutral“ (die Liste solcher Endungen ist noch um einiges länger). In anderen Fällen hängt der Artikel von der Zugehörigkeit der Substantive zu bestimmten Bedeutungsgruppen ab. So sind alle Wochentage und Monate „männlich“ und alle Schiffsnamen „weiblich“ („die Deutschland“, „die Kaiser Wilhelm“ usw.). Die Liste solcher Regeln (manche mit vielen Ausnahmen) ließe sich fortsetzen und zeigt jedenfalls, dass man sich auf die Übereinstimmung von Genus und Sexus nicht verlassen kann, ganz davon abgesehen, dass die meisten Substantive sowieso kein „natürliches Geschlecht“ besitzen.

Wenn man zu erklären versucht, warum die Bezeichnung weiblicher Personen nicht immer mit dem Artikel die verbunden ist (das Mädchen, das Weib, der Vamp, der Wildfang) und die Bezeichnung männlicher Personen nicht immer mit dem Artikel der (die Lordschaft, die Memme, das Faktotum, das Knäblein), so sollte man dabei lieber nicht inhaltlich oder psychologisch argumentieren – man würde sich heillos in Widersprüche verstricken.

1.3 Reizthema Sprachwandel

Die vorgenommenen Eingriffe in die Sprache werden damit begründet, dass es zu allen Zeiten Prozesse des Sprachwandels gab. Allerdings werden die gravierenden Unterschiede zwischen natürlichem und gelenktem Sprachwandel kaum thematisiert.

Natürlicher Sprachwandel ist ein immerwährender, schleichender Prozess, den die Sprachbenutzer mehrheitlich unreflektiert vollziehen und für den immer wieder die gleichen Motive gelten: Es geht um das Schließen von Benennungslücken durch neue oder in ihrer Bedeutung veränderte Wörter, um das Kürzen oder Vereinfachen von Begriffen und (grammatischen) Strukturen, um Erleichterungen in der Phonetik und Artikulation sowie um die Auswirkung allgemein beliebter Moden auf die Sprache (im 18./19. Jahrhundert z. B. die Vorliebe für das Französische).

Beim gelenkten Sprachwandel sind verschiedene Qualitäten zu unterscheiden:

a) die sprachpflegerische Begleitung, wie sie etwa in Bedeutungswörterbüchern, Sprachlehrbüchern, Rechtschreibregeln angeboten oder vorgeschrieben wird, um die Sprachbenutzer mit einem systematischen Blick auf die Sprache zu mehr Sprachbewusstsein zu führen,

b) der institutionell gelenkte Sprachwandel, der seit dem 17. Jahrhundert durch verschiedene Akademien, Gesellschaften und Vereine für Sprachpflege praktiziert wird: Typisch sind die Bemühungen der Sprachpuristen, die die deutsche Sprache in immer neuen Anläufen von fremdsprachigen Einflüssen befreien wollten – ihr Erfolg ist damals wie heute überschaubar,

c) der von bestimmten Interessengruppen verordnete Sprachwandel, der u. a. ideologisch motiviert ist. Hier gibt es insbesondere aus der Zeit des Nationalsozialismus abschreckende Beispiele, die glücklicherweise diese Zeit nicht überdauert haben.

Ob ein gelenkter Sprachwandel von den Sprachbenutzern akzeptiert und angenommen wird, hängt vor allem davon ab, ob er in seinen Motiven denen des natürlichen Sprachwandels nahe kommt. Machen wir für den gelenkten Prozess des sprachlichen Genderns die Probe aufs Exempel:

Werden damit Benennungslücken geschlossen? Nein, außer man hält das Hinzufügen einer Variante mit femininer Markierung für ein neues Wort.

Werden damit Begriffe gekürzt oder vereinfacht? Nein, im Gegenteil.

Werden damit Strukturen gekürzt oder vereinfacht? Nein, im Gegenteil.

Werden damit phonetisch-artikulatorische Erleichterungen erreicht? Nein, im Gegenteil.

Wird damit einem allgemein beliebten Modetrend entsprochen? Einem Modetrend vielleicht, aber keinem von allgemeiner Beliebtheit. Statt dessen ist ein gehöriges Maß an Ideologie nicht zu leugnen, die von einer nicht mehrheitsfähigen Gruppe propagiert wird. So gesehen stehen die Chancen schlecht für die derzeitigen Vorschläge zur Realisierung einer gendergerechten Sprache.

1.4 Reizthema verschobene Silbengrenze

Um auch ignorante Sprachbenutzer von der Wichtigkeit der Markierung „weiblich“ durch die Endsilbe(n) -in(nen) zu überzeugen, wird die natürliche Silbengrenze mutwillig verschoben, mit anderen Worten: ein Verstoß gegen das Silbenbaugesetz inszeniert. Dieses Gesetz ist kein Buch mit sieben Siegeln, sondern wird schon von Dreijährigen instinktiv beherrscht. Kein Kind würde ein Wort wie Tierpflegerin so klatschen: Tier-pfle-ger-in, sondern immer so: Tier-pfle-ge-rin. Vor dem -in einen Knacklaut zu produzieren ist regelwidrig, weil dieser Laut im Deutschen nur bei Anfangssilben, die mit einem Vokal beginnen, vorkommt (Affe, Ehe, Ofen). Gelegentlich sind solchen Anfangssilben noch Vorsilben vorgeschaltet (ver-öden, Mit-arbeiter) oder bei Komposita auch mal ganze Bestimmungswörter (Lack-affe, Kachel-ofen), aber damit endet dann auch schon das natürliche Einsatzgebiet des Knacklautes. Ob der beim Gendern bewusst herbeigeführte Regelverstoß den gewünschten Effekt erzielt, nämlich auf den Weiblichkeitsmarker -in(nen) aufmerksam zu machen, ist fraglich. Bei vielen Sprachbenutzern scheint doch der Unwille am Zerhacken der Wörter zu überwiegen.

2. Das Ziel einer gendergerechten Sprache, Menschen aller Geschlechter, Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen sprachlich sichtbar zu machen, wird mit den propagierten Vorschlägen krachend verfehlt.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Berücksichtigung aller Ausprägungen von Geschlechtlichkeit in der Sprache ist überfällig und wird hier nachdrücklich begrüßt. Das WAS ist unstrittig, die Probleme liegen beim WIE.

2.1 Gendersensible Benennungsvielfalt oder neutrale Sammelbegriffe?

Mittlerweile werden von den zuständigen Fachwissenschaften (Medizin, Psychologie und ihre Bindestrich-Disziplinen) bis zu 80 Varianten von geschlechtlicher Identifikation unterschieden. Das wirft die Frage auf, wie man besonders bei gemischtgeschlechtlichen Gruppen vorgehen sollte. Was ist sinnvoller? Entsprechend viele Begriffe zu kreieren oder die Phänomene in wenigen Sammelbegriffen zu bündeln oder sich  für Wörter zu entscheiden, die alle Varianten von Geschlechtlichkeit einschließen? Letzteres könnte geleistet werden von geschlechtsneutralen Benennungen wie Menschen, Leute, Eltern, Personal, Kollegium, Kollektiv, auch von neu hinzu gekommenen Wörtern wie Fachkraft, Lehrperson oder von substantivierten Partizipien wie Studierende, Geimpfte, Hinterbliebene. In der Funktion eines Sammelbegriffes stünde natürlich auch der generische Plural zur Verfügung, zumal er in der Vergangenheit genau dafür genutzt und wegen seiner Praktikabilität nicht in Frage gestellt wurde.

2.2 Problem Beidnennung

Nicht plausibel ist der Vorschlag, vorzugsweise auf Beidnennungen zu setzen, also auf die weibliche und die männliche Variante einer Tätigkeits-, Funktions- oder Berufsbezeichnung im „Doppelpack“, und dann, weil dies zu umständlich klingen könnte, eine zusammengezogene Form zu präsentieren, deren Nahtstelle durch das Gendersternchen (oder ein anderes Zeichen) markiert wird. Nicht plausibel ist der Vorschlag deshalb, weil er nun doch wieder von der traditionellen Mann-Frau-Binarität ausgeht und nicht von einer vielgestaltigen Diversität.

2.3 Das Gendersternchen als Allzweckwaffe

Durch die Beidnennung sind zwar Frauen nicht mehr nur „mitgemeint“ – aber was ist mit all den anderen Geschlechtsidentitäten? Um auch sie zu befriedigen, werden dem Sternchen Wunderkräfte zugesprochen. Es soll jetzt nicht nur die Bedeutung und/bzw. haben, sondern obendrein für eine komplexe Information stehen: „Achtung, hier sind (potentiell, je nach Kontext) auch lesbische, schwule, bisexuelle, trans, queere, intersexuelle und asexuelle Menschen sowie alle Mischformen davon gemeint.“ Das Verblüffende ist, dass sich die Betroffenen mit einem Placebo zufriedengeben. Ein unauffälliges Zeichen, das nicht einmal mit dem Informationsgehalt eines Satzzeichens ausgestattet ist, soll bewirken, dass sie sich nun auch „mitgemeint“ und gewürdigt fühlen.

Im demnächst folgenden zweiten Teil möchte ich begründen, warum die Gendersprache in ihrer jetzigen Form demokratiefeindlich ist, sprachliche Kreativität ausbremst und den Dialektischen Materialismus ignoriert.

 

2 Kommentare zu “Wer für eine gendersensible Sprache ist, kann nicht für Gendersternchen und Co. sein (1)”

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