Die abgeduckte und sich selbst verleugnende Nation oder/und die ewige Suche nach einem Zuhause (1)

Es tut mir leid: Es ist immer die gleiche Leier. Liegt das nun an mir, dass ich einfach nicht akzeptieren will, wie sich die „neue Zeit“ entwickelt? Oder liegt es daran, dass an der „neuen Zeit“, wie schon so oft, etwas falsch ist, was leider aber immer erst hinterher festgestellt werden darf, wenn sie – wieder mal – vergangen ist?

Also: Eine Gruppe junger Deutscher geht durch Karlsbad. Ins Cafe Elefant kehren sie ein. Ein Mädchen staunt: Guck mal, eine deutsche Speisekarte.

Beim Bestellen reden sie nur Englisch, obwohl sie gerade noch gehört haben (sollten), dass die Kellnerin Deutsch mit uns redete. (Wie es in den Wald hineinruft, so schallt es auch wieder heraus.)

Sie gehören zur mit Abstand bevölkerungsreichsten Nation der EU, die ihr weit größter Finanzier ist. In Karlsbad, nicht weit von der deutschen Grenze, wurde über Jahrhunderte – bis 1945/46 – Deutsch gesprochen. Alles das hindert die historisch offenbar vollkommen ungebildeten /1/ jungen Leute nicht, sich abzuducken, sich hinter der Sprache derer zu verstecken – Englisch -, die die Welt beherrschen wollen und ihre eigene zu verleugnen.

Das habe ich schon mehrere Male geschrieben. Ich weiß. Aber das ist ein Herzensthema, das mich nicht loslässt. Warum? Und warum sind andere – aber nur in Deutschland – so gleichgültig gegenüber der Kultur und Sprache ihres Vaterlandes? Weil sie schon der Begriff „Vaterland“ aufregt, vielleicht sogar das Wort „Vater“ und „Mutter(Sprache)“? Woher kommt das, das Sich-nicht-identifizieren-Können-und-Wollen mit dem Eigenen. Es ist gerade so wie bei den Kindern, die bei den Nachbarn alles besser finden als bei sich selbst zu Hause.

Liegt es daran, dass Deutschland allein schuldig am Ausbruch zweier Weltkriege sei? Das stimmt nicht. Liegt es daran, dass die Deutschen nach dem 2. Weltkrieg  konsequent umerzogen, national entkernt wurden?

Ich kann und will mich jedenfalls identifizieren mit dem Eigenen auf den verschiedenen Ebenen, angefangen von den Besonderheiten meines Ichs, über meine Herkunftsfamilie, über andere und neue familiäre Zusammenhänge, in die ich gerate(n) (bin), über das Haus und die Straße, in dem/in der ich wohnte, über meine Heimatstadt Brandenburg(Havel), über meine jetzigen Wohnorte, über meine Nation. Obwohl: So richtig warm werde ich nicht mehr mit meinen Wohnorten. Auch der Zauber Brandenburgs hat nachgelassen in meiner Seele. Es gibt andere Orte, die mich inzwischen mehr faszinieren, zum Beispiel kleine Städte mit Marktplatz und Kirchturm im (Vor)Alpenland.

Das Fernsehen hat zur Erweiterung meiner Sehnsuchtsorte beigetragen, zum Beispiel der „Bergdoktor“, obwohl mir die selbstverständliche englischsprachige Musik im Hintergrund den Nerv raubt und überflüssige Anglizismen wie zum Beispiel „hangover“ für den guten alten „Kater“ nach zu viel Alkoholgenuss. Das nur nebenbei. Weiter (mit dem Hauptgedanken): Seitdem ich Aufzeichnungen meines Großvaters über die Vorgeschichte unserer Familie fand und sie selbst anhand von Kirchenbucheintragungen väterlicherseits bis in das Jahr 1736 zurückverfolgen konnte, ist mir die Relativität der Wohnorte klarer geworden.

Bei meinen Vorvätern beginnt sie in

  • Dobichau, einem Dorf in der Nähe von Weißenfels: 3 oder 4 Generationen, auch schon in der Zeit vor 1736
  • Eckartsberga: 1 Generation
  • Wetzlar: 1 Generation
  • Erfurt: 1 Generation (mit großem, nicht mehr auffindbaren Erbbegräbnis)
  • Berlin (Rixdorf, Steglitz): 3 Generationen (Der 1. Berliner Gottfried konnte um 1850 aus der Konkursmasse eine Druckerei kaufen, in der ein Werk der klassischen deutschen Literatur gedruckt worden war.)
  • Brandenburg/Havel: 2 Generationen
  • Leipzig: Bisher 2 Generationen, einschließlich meiner Person

Alles ist relativ: Weder Brandenburg noch Leipzig sind mir heilig. Aber die deutsche Sprache und die mit ihr verbundene Mentalität sind es: das Gepflegte, die Gemütlich- und Häuslichkeit, die differenzierte Innerlichkeit – das bleibt. Da bin ich, wie Hermann Hesse tickte. Sinngemäß: Ich bin zu faul und zu undiszipliniert, ich schaffe es nicht, außerhalb meines Arbeitszimmers /2/ eine richtige, gemütliche Ordnung herzustellen, aber ich liebe es, durch ein ordentliches (Treppen)Haus zu gehen, in dem es nach Bohnerwachs und Kaffeeduft riecht.

Oder anders: Wenn ich nicht zu faul wäre, würde mir vielleicht doch ein Leben als Spießer gefallen, jedenfalls manchmal, jedenfalls von Zeit zu Zeit. (Ich kann die Stelle, wo und wie genau das Hermann Hesse sagte, jetzt leider trotz angestrengter Googelei nicht finden. Vielleicht kann mir da ein Leser helfen.)

Aber ich habe von ihm ein Gedicht gefunden, das die Gemütlichkeit, die Häuslichkeit, auch im erweiterten landschaftlichen Sinn, die ich meine, verdeutlicht:

Schwarzwald

Seltsam schöne Hügelfluchten,
Dunkle Berge, helle Matten,
Rote Felsen, braune Schluchten,
Überflort von Tannenschatten.
Wenn darüber eines Turmes
Frommes Läuten mit dem Rauschen
Sich vermischt des Tannensturmes,
Kann ich lange Stunden lauschen.

Dann greift wie eine Sage,
Nächtlich am Kamin gelesen,
Das Gedächtnis mich der Tage,
Da ich hier zu Haus gewesen.

Da die Fernen edler, weicher,
Da die tannenforstbekränzten
Berge seliger und reicher
Mir im Knabenauge glänzten.

 

Fußnoten

/1/ Wahrscheinlich haben sie in jedem Schuljahr in Geschichte nur unentwegt Auschwitz behandelt. Ich habe gar nichts gegen dieses Thema. Es ist wichtig. Mir geht es darum, dass es bezüglich der deutschen Geschichte alles andere überlagert und verdrängt.

/2/ Goethe spricht im Faust von seinem heimeligen „Studierzimmer“, in das er nach dem Spaziergang, zusammen mit dem Teufels-Pudel, der ihm gefolgt war, zurückkehrt:

„Verlassen hab‘ ich Feld und Auen, / Die eine tiefe Nacht bedeckt, / Mit ahnungsvollem, heil’gem Grauen / In uns die beßre Seele weckt, / Entschlafen sind nun wilde Triebe / Mit jedem ungestümen Tun; Es reget sich die Menschenliebe, / Die Liebe Gottes regt sich nun.

Diesen Frieden schafft die aufgeräumte Gemütlichkeit der Studierstube:

„Ach, wenn in unsrer engen Zelle / Die Lampe freundlich wieder brennt, / Dann wird’s in unserem Busen helle, / Im Herzen, das sich selber kennt. / Vernunft fängt wieder an zu sprechen, / Und Hoffnung wieder an zu blühn; / Man sehnt sich nach des Lebens Bächen, / Ach! nach des Lebens Quelle hin.

 

Ein Kommentar zu “Die abgeduckte und sich selbst verleugnende Nation oder/und die ewige Suche nach einem Zuhause (1)”

  1. Ich sagt:

    Zitat: „Es tut mir leid: Es ist immer die gleiche Leier. Liegt das nun an mir, dass ich einfach nicht akzeptieren will, wie sich die „neue Zeit“ entwickelt?“

    Antwort: „Ja.“

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