Letztens, bei der kirchlichen Trauung eines befreundeten Paares, hörte man sie wieder, die Formel vom Tod als dem einzig legitimen Scheidungsgrund: „bis dass …“.
Hinterher wurde in launiger Runde gefragt, ob das ein frommer Wunsch sei oder die Aufforderung, sich zusammenzureißen, oder eine traditionelle Floskel, an die sich kaum jemand zu halten gedenke. Ich gab vor, nicht mitreden zu können, denn mich hatte der Tod mehrmals vor vollendete Tatsachen gestellt und „plötzlich und unerwartet“ von meinen Männern getrennt; die wurden, um ein weiteres sprachliches Versatzstück zu bemühen, „viel zu früh aus dem Leben gerissen“. Das Erlebnis eines Rosenkrieges war mir dagegen zeitlebens erspart geblieben, lediglich die langsame, traurige Auflösung einer Fernbeziehung hatte ich kennengelernt.
Natürlich redete ich dann doch mit, verließ aber zunächst meinen persönlichen Erfahrungsraum nicht, wie ich auch zu anderen Gelegenheiten lieber konkrete Erlebnisse erinnerte als mich auf das dünne Eis allgemeiner Schlussfolgerungen zu begeben. Manchmal drängten sich dann aber, wie hier, die vertrackten Was-wäre-wenn-Fragen auf. Also: Mit welchem meiner Männer hätte ich es wohl am ehesten bis ans Ende meiner Tage ausgehalten? Mit Reimar, dem Vater meines ersten Sohnes, mit Harold, dem Vater meines zweiten Sohnes, mit den zwei-drei potentiellen Vätern meiner zwei-drei ungeborenen Söhne? Die Beziehungen waren kaum zu vergleichen. Reimar, der sensible Grübler, hätte sich mit Harold, dem kernigen Tausendsassa, wohl nicht einmal gut verstanden. Und Uli, der als Praktikus fehlbesetzte Bücherwurm, mochte zuweilen sich selber nicht. Bei Petr, dem Sprachgenie mit dem makellosen Körper, war stetige, aufwändige Beziehungsarbeit angesagt, während der feurige Fidel auf die Bindungskraft nie versiegender Fleischeslust setzte.
Wahrscheinlich hätte ich mit Reimar am ehesten ein Arrangement auf Lebenszeit finden können. Wir hätten die Chance gehabt, eine solide, skandalfreie Beziehung in tiefer Verbundenheit und ruhigem Fahrwasser zu führen, gekrönt von einem wohlgeratenen Sohn. Aufregender wäre das Leben mit Harold geworden. Ein Jahr lang hatten wir uns redlich gequält, den selbst auferlegten Sicherheitsabstand zwischen uns zu halten. Er wollte seine Ehe nicht gefährden, ich nicht die undankbare Rolle der Geliebten spielen. Bis uns in einem unbedachten Moment alle Zügel entglitten und wir ungebremst aufeinander zu rasten. Die Extase war unbeschreiblich und schrie nach Wiederholung und Wiederholung. Bis ich schwanger wurde. Ein Rechenfehler war schuld, aber über den war ich viel zu glücklich, um ihn für gänzlich ungewollt zu halten. Hatte meine Natur da etwa meinen Verstand überlistet? Harold war entsetzt; er konnte sich an den Gedanken, ein uneheliches Kind zu haben, nicht gewöhnen. Ich bot ihm an, seine Vaterschaft nicht aktenkundig zu machen und wieder auf Distanz zu gehen. Unter dieser Entscheidung litt Harold mehr als ich, denn mein Schmerz wurde durch die Vorfreude auf das Kind gelindert, ja versüßt. Harold bezahlte die Zerreißprobe mit dem Leben. Sein von früheren Leistungssport-Orgien vorgeschädigtes Herz versagte, noch bevor sein Sohn geboren war. Der Schock saß bei mir nicht so tief, wie man vielleicht erwartet hätte, denn gleichzeitig machte sich Erleichterung breit: So viele Konflikte hatten sich damit erledigt, noch ehe sie ausgebrochen waren. Wäre es anders gekommen, dann hätten wir sicher noch sehr lange einen sehr leidenschaftlichen Umgang miteinander gepflegt. Dass wir einen familiären Alltag angestrebt und auf Dauer gemeistert hätten, halte ich für möglich, aber nicht für besonders wahrscheinlich. Harold hing einem traditionellen Familienmodell an, das dem Mann eine dominante Rolle zuschrieb. Er wollte seiner Frau bei Gelegenheit zuflüstern können: „Du ahnungsloser Engel, du.“ Ich hätte bei solcherlei Ansprache nur gekichert, zumal ich beruflich jenes Quentchen weniger ahnungslos war als er, das irgendwann zum Problem geworden wäre.
Falls ich noch einen Rest an mentaler Unterwürfigkeit in mir hatte, so kam mir der nach Harolds Tod abhanden. An das Gefühl, wieder uneingeschränkte Herrin meines Schicksals zu sein, gewöhnte ich mich schnell. Das hätte wohl den einen oder anderen Mann, der sich vielleicht mit mir anfreunden wollte, geängstigt, aber dazu kam es erst gar nicht, denn ich war entschlossen, mir eine Zeitlang selbst flüchtige Bekanntschaften zu versagen und meine Energie neben dem Beruf ausschließlich auf meine Söhne zu konzentrieren. Wenn die aus dem Gröbsten heraus waren, konnten die Karten neu gemischt werden. Es gibt Opfer, die man einfach bringen muss.
Zehn Jahre später kam Uli in mein Leben und blieb über zwei Jahrzehnte mein Gefährte, bis die Medikamente gegen eine Blutanomalie seine Immunabwehr so weit geschwächt hatten, dass eine simple Lungenentzündung zum Exitus führte. Wir hätten es wohl noch weitere 20 Jahre gut miteinander ausgehalten, aber eine ideale Beziehung wäre das nie geworden. Zwar verstanden und vertrauten wir uns im Körperlichen blind und langweilten uns auch sonst nicht miteinander, aber er überließ mir nach und nach alle Entscheidungen des Alltags und kam mit meinen freiheitlich erzogenen Söhnen nicht gut zurecht. Wo er schon in fast allen Lebensbereichen auf Dominanz verzichtete, wollte er wenigstens bei der jüngeren Generation der Bestimmer, die Respektsperson sein. Diese Rolle überließen ihm meine Söhne aber nicht freiwillig.
Auch mit Petr aus Brünn und Fidel aus Havanna hatte ich eine gute Zeit, aber es war nicht nur die Entfernung, die uns langsam entzweite, sondern auch die Vorstellung, dass jeweils die eine Hälfte des Paares in ein fremdes Land hätte umziehen müssen.
Ich möchte keine Erfahrung missen, die ich mit meinen so unterschiedlichen Männern gemacht habe. Und nicht hätte machen können, wenn ich einen unter ihnen zum Einen und Einzigen erklärt hätte. Ich will niemandem ausreden, dass es schön sein kann, ein Leben lang zusammenzubleiben, aber ich bin doch froh, in diese Lage nie gekommen zu sein.
Liebe Meta, du endest mit „…aber ich bin froh, in diese Lage nie gekommen zu sein. “
Nun, da muss ich dir entgegnen, ich bin sehr froh, ein halbes Jahrhundert lang in dieser Lage gelebt und geliebt zu haben, und das ganz freiwillig. Es gab kein Eheversprechen “ bis dass der Tod euch scheidet“, obwohl er es dann doch getan hat. Schon meine Eltern heirateten 1930 ohne kirchlichen Segen und blieben freiwillig bis zuletzt zusammen. Hat mich das geprägt?
Meine lebenskluge Mutter, deren Wunschtochter ich war, gab mir unzählige kluge Ratschläge mit auf meinen Lebensweg, u.a. auch, wie man den richtigen Lebenspartner erkennt. Schon frühzeitig war ich am anderen Geschlecht interessiert, und meine Mutter wachte streng über die Moral. Durch meine sportlichen Aktivitäten lernte ich beizeiten den Facettenreichtum der Männerwelt kennen, konnte beobachten und erste Erfahrungen sammeln. Dabei hielt ich mich (meist) an die strengen Vorgaben meiner Mutter, u.a. mich intim nur mit einem Mann einzulassen, wenn ich mir vorstellen könnte, dass er einmal der Vater meines Kindes wird. Im Nachhinein glaube ich, das hat mir geholfen, eine strenge Vorauswahl zu treffen und dementsprechend Maß zu halten. Das Flirten mit dem anderen Geschlecht hat mich ein Leben lang begleitet, da ich generell extrovertiert bin. Irgendwann merkte ich, dass es nicht mehr funktioniert, die Bauarbeiter pfiffen nicht mehr, wenn ich vorbeiging. Jede Frau macht wohl diese Erfahrung, und da ist es besonders tröstlich, zu Hause einen Mann zu wissen, der einen so liebt, wie man geworden ist. Er war mein Zuhause, und mein Vertrauen zu ihm war grenzenlos. Vielleicht hatte ich einfach nur Glück?
Nein, so einfach ist es wohl nicht zu erklären, denn „die Hochzeit ist ein Ereignis, die Ehe aber ist eine Leistung.“
Unsere beiden Söhne waren das Motiv, die Ehe gut zu gestalten und so lange wie möglich zu erhalten. Da wir zwei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten waren, mussten wir oft über unseren Schatten springen, um Kompromisse einzugehen und auszuhalten, um dem anderen seine Eigenarten zu gönnen und die Gemeinsamkeiten ausreichend zu hegen. Wir mussten beruflich Trennungen überstehen, und wir einigten uns auf unterschiedliche Aufgabenbereiche, ansonsten hätte unser Familienleben nicht „funktioniert „. Jeder von uns hatte seine Freiheiten, egal ob es sich um den Beruf, die Hobbys oder die Beziehung zu anderen Menschen handelte. Alles wurde erklärt und verhandelt, unsere Ehe stand dabei nie zur Disposition. Soviel zu meinen persönlichen Erfahrungen.
Zur Ehe und dem Versprechen auf lebenslänglich habe ich aus heutiger Sicht auch eine Meinung:
Solange man als Paar (Mann und Frau) erziehungspflichtige Kinder hat, ist die Ehe wohl eine sinnvolle Einrichtung. Das Eheversprechen sollte jedoch nur bis zur Volljährigkeit der Kinder gelten, danach kann man zusammenbleiben oder auch nicht.
Auch der Staat sollte die Familien mit Vater-Mutter- Kind(er) noch viel mehr wertschätzen, fordern und fördern. Sie sind die Keimzellen unserer Gesellschaft, und jeder Staat ist nur so gut wie seine Jugend. Da sind wir aktuell wohl nicht so gut aufgestellt. Vielleicht sollte man mal auf diejenigen hören, die Erfahrungen haben und sich auskennen und nicht immer versuchen, neue Räder in der Erziehung zu erfinden. Manche Grundsätze ändern sich nie, auch wenn die gesellschaftliche Entwicklung fortschreitet. Doch bevor ich diesbezüglich noch weiter abdrifte, rudere ich mal zum Ausgangspunkt zurück: Sechs Jahre habe ich gebraucht, um Abstand zu meiner lebenslangen Ehe zu gewinnen und in mein zweites Leben zu starten. Es ist keine Ehe, und es ist alles ganz anders, aber gerade das macht wohl den besonderen Reiz aus. Zumindest meine Seele hat wieder ein Zuhause gefunden, und so leben wir in einer späten Gemeinschaft und in einer Art, wie sie uns beiden gut tut.
Aber auch dieses Mal hätte ich nichts gegen „lebenslänglich „…
Liebe Marlen,
mich berührt dein Text sehr und ich kann deine Erfahrungen gut nachvollziehen. Wenn das Leben so läuft, wie du beschreibst, dann ist es gut und man hat keinen Grund, daran zu rütteln. Aber wenn es nicht so läuft und du auf die Umstände keinen oder kaum einen Einfluss hast? Was tun, wenn du deinen Partner gerade in dem Lebensabschnitt verlierst, wo bei den Freunden und Bekannten deiner Generation die Ehen und Partnerschaften noch funktionieren und die Scheidungswelle noch nicht rollt? Darfst du dann begehren deines Nächsten Partner bzw. Partnerin oder musst du dich mit einem „Pech gehabt“ bescheiden? Was tun, wenn dir deine Umgebung signalisiert, dass mit zunehmendem Alter die Kompromissbereitschaft bei der Partnerwahl immer zwingender wird, ohne dass du selbst dich bescheiden kannst oder willst? Am Ende muss jeder für sich selbst einschätzen, ob er aus diesem kurzen Leben das Bestmögliche gemacht und seinen Lieben das Bestmögliche gegeben hat.
Hallo Marlen,
da bin ich ganz bei Dir. Das Leben hat mir gezeigt, dass die Beständigkeit einer Beziehung durchaus bei den richtigen Umständen (Kinder z.B. wie von Dir erwähnt) eine sinnvolle Sache ist, eine Ehe bei den derzeitigen Gesellschaftlichen Gegebenheiten aber in den wenigsten Fällen Sinn macht. Heutzutage sind meist alle Beteiligten einer Beziehung meistens berufstätig, so dass es sogar nicht einmal mehr steuerliche Vorteile gibt, eine Ehe einzugehen. Und das Leben hat sich in der Tat so verändert, dass eine Lebenslange Monogamie wohl eher eine Einschränkung ist, da dabei viele Einsichten und Erfahrungen nicht zu Stande kommen und sich somit das eigene Bild des Lebens eher im Tunnelblick wiederfindet statt Facettenreichtum wahrzunehmen.