Wer geschlechtergerecht formulieren will, ohne einem zwanghaften Genderismus zu verfallen, kommt nicht umhin, die Vorschläge für sprachliche Anpassungen zu bewerten,
die Spreu vom Weizen zu trennen, „die guten ins Töpfchen“ zu tun.
Und wenn sich dabei herausstellt, dass das meiste so bleiben kann, wie es ist, und dass eventuell notwendige Anpassungen getrost dem natürlichen Sprachwandel überlassen werden können und nicht künstlich forciert werden müssen? Dann ist das gut so, weil es unserer Sprache keinen Zwang antut.
Liegt Ihnen die eine Frage jetzt auch auf der Zunge, nämlich: Sollte man das generische Maskulinum nicht doch als gendergerechte Form akzeptieren und zumindest überall dort einsetzen dürfen, wo andere Formen die Sache nur verkomplizieren? Natürlich sollte man das! Andererseits sollte man gelegentlich auch nach Formen Ausschau halten, bei denen sich der Verdacht auf einen geschlechtlichen Bezug gar nicht erst einstellen kann. (Wobei die Einschätzung, es gebe gar keinen Genderbezug, nur so lange zutrifft, wie ein Wort isoliert und außerhalb eines Kontextzusammenhangs betrachtet wird. Zum Beispiel denkt man bei dem Satz: „Die Vertretung schien kompetent und war sicher in der Lage, auch kleinere Elektroarbeiten zu übernehmen.“ eher an eine männliche Vertretung.)
Durchforstet man die Angebote unserer Sprache nach gendergerechten bzw. neutralen Ausdrücken, so wird man vielleicht erstaunt sein, wie viele „geschlechtslose“ Benennungen für Tätigkeiten, Funktionen und Berufe zu finden sind, vorausgesetzt, man hält ernsthaft danach Ausschau. Beispiele: der Mensch, die Person, das Wesen; die Koryphäe, das Talent, der Star, das Genie; das Faktotum, die Lehr-, Schreib-, Fachkraft, die Kontaktperson, das Mitglied, der (Stamm-)Gast, die Seele (des Vereins), der Mittelpunkt (der Gruppe); die Vertretung, die Aushilfe, …
Auch Pluralwörter (Wörter ohne Singular) und Wörter, die eine Mehrzahl von Menschen meinen, differenzieren nicht nach dem Geschlecht: die Leute, die Eltern; das Kollegium, das Gremium, die Brigade, der Lehrkörper, die Vereinigung, die Mannschaft, die Leitung, die Konkurrenz, …
Daneben können substantivierte Adjektive und Partizipien im Plural einer geschlechtsneutralen Ausdrucksweise dienen: die Klugen, Reichen, Roten; die Verletzten, Geimpften, Vertrauten; die Liebenden, Wartenden, Kunstschaffenden, …
Manchmal, zumindest im Mündlichen, wird auch schon der s-Plural von Kurzwörtern oder Abkürzungen, die auf I enden, salonfähig: die Studis, Azubis, Zivis, Touris, Bufdis, …
Mit Blick auf diesen „Markt der Möglichkeiten“ müssten sich umständliche Doppelpack-Konstruktionen („Beidnennungen“) eigentlich komplett vermeiden lassen, von einigen festen Floskeln („Meine sehr verehrten Damen und Herren…“, „Liebe Kolleginnen und Kollegen…“) einmal abgesehen. Und Bandwurmsätze wie der folgende wären auch unnötig: „Eine Gruppe Berufsschullehrerinnen und Berufsschullehrer, die den reformierten Ausbildungsgang der Holzblasinstrumentenmacher und Holzblasinstrumentenmacherinnen betreut, überarbeitet derzeit mit ihnen den Lehrplan.“ Stattdessen könnte es heißen: „Lehrkräfte des Ausbildungsgangs Holzblasinstrumentenbau überarbeiten gemeinsam mit den Azubis den Lehrplan.“
Aber ist solche Vereinfachung von den Pionieren des sprachlichen Genderns überhaupt gewollt? Offenbar nicht. Es scheint ihnen eher um den spektakulären Auftritt zu gehen als um ein sanftes Nachjustieren im Interesse einer geschlechtergerechten Ausdrucksweise.
So wurden in den vergangenen Jahren auffällig markierte Kurzformen der Beidnennung vorgeschlagen. Dabei wird die Wortgruppe zu einem Wort zusammengezogen und an der Stelle, wo die weibliche Endung beginnt, durch einen Marker unterbrochen („Gerichtsreporter*innen“). In der geschriebenen Sprache konkurrieren verschiedene Marker (großes Binnen-I, Schrägstrich, Doppelpunkt und Sternchen). Gegenwärtig sieht es so aus, als würde das Gendersternchen das Rennen machen. In der gesprochenen Sprache hat sich der Knacklaut vor „-in“/“-innen“ durchgesetzt, der die natürliche Silbengrenze verschiebt und damit Aufmerksamkeit erheischt.
Was das Gendersternchen betrifft, so wurden dem unscheinbaren Zeichen viel zu viele Funktionen aufgehalst, soll es doch nicht nur für das „beziehungsweise“ zwischen „männlicher“ und „weiblicher“ Wortform stehen, sondern auch signalisieren, dass in dem Kompaktbegriff diverse geschlechtliche Identitäten schlummern und je nach Kontext mitzudenken sind. Davon abgesehen, dass dieses Mitdenken ausgerechnet von einem mehrdeutigen, nichtsprachlichen Signal ausgelöst werden soll, findet hier auch eine Überbetonung des Geschlechtlichen statt, die mit dem Leben von Otto und Ottilie Normalbürger wenig zu tun hat.
Neben den gegenderten Kurzformen hält sich nach wie vor die ungekürzte Wortgruppe. Aber ob man nun „Heilerziehungspflegehelfer und Heilerziehungspflegehelferinnen“ (so die offizielle Berufsbezeichnung) oder „Heilerziehungspflegehelfer*innen“ sagt – es bleibt ein hässlicher und letztlich unnötiger Eingriff in den Rhythmus und Klang der Sprache.
In diesem Sinne argumentieren auch die Gegner des Genderns und sprechen von „Verhunzung der deutschen Sprache“. Sie halten die verordneten Veränderungen für unangemessen, weil diese nicht das Ergebnis natürlicher Sprachwandlungsprozesse sind, sondern von einer bestimmten Interessengruppe mit z.T. fachfremden Argumenten durchgedrückt werden sollen. Manchmal sind die stilistischen Bedenken auch nur ein Vorwand, um sich nicht als Gegner verschiedener, für überzogen gehaltener gleichstellungspolitischer Maßnahmen outen zu müssen.
Die Befürworter des Genderns versprechen sich davon Bewusstseinsänderungen im Interesse von mehr Geschlechtergerechtigkeit und nicht wenige liebäugeln mit einem Reglement, auf dessen Einhaltung man pochen kann. Ihnen geht es oft weniger um Gleichstellung als um Machtausübung. Da werden die Gendermuffel dann auch schon mal penetrant korrigiert, belehrt und angezählt. Da werden in voraus-eilendem Gehorsam Vorschriften für den Betrieb, die Schule, die Abteilung im Ministerium formuliert und ihre Durchsetzung kontrolliert.
Ist diesen Eiferern eigentlich bewusst, dass ihre Aktivitäten ein Angriff auf die Einheitlichkeit der deutschen Sprache sind? Ja, noch schlimmer: ein Angriff auf die Demokratie?
Denn wenn eine Minderheit, zumal mit teilweise fragwürdigen Argumenten, die Definitionsmacht an sich reißt, untergräbt das den Glauben an die Verlässlichkeit demokratischer Umgangsformen.
Vor 30 Jahren sind meine Kolleginnen aus Jena und Magdeburg der aggressiv vorgetragenen Forderung nach dem „-in“ mit subversivem Humor begegnet. Die beiden sind mittlerweile im Ruhestand. Mich würde interessieren, wie ihre jungen Nachfolgerinnen z.B. auf das Ansinnen reagieren, Gendersternchen zu setzen. Vielleicht würden sie ja sagen: „Spitzenköche können sich bis zu drei Michelin-Sterne erkochen. Gäbe es für besonders gelungenes Gendern solche Sterne – das Gendersternchen wäre weit davon entfernt, auch nur einen einzigen zu bekommen. Nicht mal das Bienchen für eine Fleißleistung wäre angebracht.“ Vielleicht würden die Nachfolgerinnen aber auch eine in Ostdeutschland noch immer ziemlich verbreitete Regelgläubigkeit an den Tag legen und über Sinn und Unsinn des Genderns nicht weiter nachdenken. Aber ihre schulpflichtigen Töchter würden sich vielleicht zu einem Kommentar herablassen. „So ein Schwachsinn, Alter!“ würde die eine sagen. Und die andere würde erwidern: „Kann mir mal einer erklären, Alter, wozu das gut sein soll.“ Tatsächlich, die Mädchen reden sich gegenseitig mit „Alter“ an. Käme ein Junge hinzu, würde der gleichfalls mit „Alter“ angesprochen werden. Was sagt man dazu!
Es geht ein Gespenst um in Deutschland, in einem sich fragmentierenden Land. Das ist die Angst, zu kurz zu kommen, etwas nicht zu erhalten, was einem zusteht. Das hat mit der allgemeinen Individualisierung zu tun, die ich unter der Rubrik Zeitzeichen Autismus im Beitrag „Die Grundfrage der Erziehung“ beschrieben habe.
Nun „plötzlich“ fragen sich Menschen, ob sie auch mitgemeint sind. Auf die Idee sind Frauen in der DDR, die als Lehrer, Polizisten, Ärzte usw. arbeiteten, nicht gekommen. Natürlich sind wir auch gemeint, wenn z.B. von „Feuerwehrleuten“ die Rede war, da musste nicht extra „Feuerwehrleutinnen“ angefügt werden. Das beschreibst du ja auch richtig, Meta.
Wie viel Minderwertigkeitsgefühl gehört dazu, sich nicht als Lehrer, Polizist oder Arzt zu fühlen, wenn man als solcher eine Frau ist und da kein „…in“ dran hängt. Wie wenig Selbstbewusstsein muss man haben, auf einer Ableitung – dem „…in“ – zu bestehen, quasi einem „Anhängsel“, das doch eher für Männer typisch ist und nicht für Frauen? Das ist ja wie in der Bibel die Geschichte von der Frau als Gefährten „des Menschen“. Gott entnahm ihm, dem Menschenmann, eine Rippe und machte ihm aus dieser Ableitung eine Gefährt-in, nämlich die Frau des Mannes.
Da würde ich doch als Frau viel lieber sagen, „Mensch“ ist der Überbegriff, ich ordne mich ihm zu, denn er gilt für mich als Frau genauso wie für den Mann, und zwar nicht in einer 2., herabgestuften Ebene („die Menschin“), sondern auf genau der gleichen begrifflichen Höhe, wie das für den Mann gilt. Genauso kann man mit „Lehrer“, „Polizist“, „Arzt“ usw. verfahren, wenn man ein bisschen Selbstbewusstsein hat und Zusammengehörigkeitsgefühl. Wie kommen Frauen dazu, sich als Personen auf einer herabgestuften, weil abgeleiteten („…-in“) Ebene bezeichnen zu lassen? Die ständige Doppelmopplung der Bennenung von Menschen und Berufen ist sowohl ein Zeichen der Fragmentierung dieser Gesellschaft, als wenn die Tatsache, dass wir alle Menschen sind, nicht viel wichtiger ist als unser Geschlecht, als auch ein Zeichen der Herabstufung der weiblichen Menschen zu einer Ableitung des Männlichen.