„So schreibt man das eben!“ Versuch einer Wurzelbehandlung bei Rechtschreibproblemen (1)

Bei zentralen Tests schneiden Schüler in Deutschland nicht nur in Mathe und den Naturwissenschaften vergleichsweise schlecht ab, sondern auch in Orthografie, Tendenz: steigend.

Dafür kann man diverse Gründe geltend machen, vom Migrationshintergrund vieler Schüler über die Großspurigkeit, ja Ignoranz, mit der in den sozialen Medien über Schreibfehler hinweg gesehen wird, bis hin zu einem übertriebenen Vertrauen in die Korrekturkompetenz der verschiedenen Computer-Programme. Ich will hier einen anderen Grund in den Mittelpunkt rücken und der Frage nachgehen, inwiefern die Rechtschreibung selbst dafür verantwortlich ist, dass Rechtschreibfehler gemacht werden.

„So schreibt man das eben!“ Mit diesem Satz, dem auch noch ein „Basta!“ folgen mag, werden Fragesteller oft abgespeist, wenn sie wissen wollen, warum das und das Wort laut Duden so und so geschrieben wird. Haben die Antwortgeber selbst keine plausible Erklärung in petto? Oder folgen sie der weit verbreiteten Auffassung, dass eine gute Rechtschreibung durch beharrliches Üben und sichere Regelkenntnisse erreicht wird, wobei es müßig ist, sich über das Zustandekommen der Regeln einen Kopf zu machen? Zumal man bei intensiver Beschäftigung mit dem Werdegang von Wortbildern an vielen Stellen auf Ungereimtheiten und Widersprüche stößt. Die fallen einem spätestens auf bzw. wieder ein, wenn das eigene Kind Fragen zur Schreibweise von Wörtern stellt: Warum kann ich dieses Wort nicht einfach so schreiben, wie ich es spreche? Warum muss ich manche Buchstaben doppelt schreiben und manche gar nicht, obwohl ich sie höre? Warum muss ich denselben Buchstaben mal so und mal so aussprechen?

Um hier Licht ins Dunkel bringen zu können, muss man ein wenig ausholen. Und am besten gleich die Erwartung dämpfen, dass eine lückenlose Aufklärung möglich ist. Ja, die Entscheidungen zur deutschen Rechtschreibung und Zeichensetzung, wie sie in Regelwerken festgehalten wurden, haben sich in der Vergangenheit öfter mal als Eigentore erwiesen – mit der Folge, dass es fast unmöglich ist, fehlerfrei zu schreiben. Aber es ist nicht unmöglich, einige Gründe für falsche Schreibweisen zu beleuchten und davon Hinweise für die Vermeidung bestimmter Fehler abzuleiten.

Das Problem beginnt schon mit dem gewählten Alphabet: Mussten es denn unbedingt die lateinischen Buchstaben sein? Sie passen nicht besonders gut zu den Sprachlauten des Deutschen und vor allem: Es sind zu wenige. Die Entscheidung für die populäre lateinische Schrift ist vor einem halben Jahrtausend gefallen und war dann auch nicht mehr rückgängig zu machen. Heute ist das lateinische Alphabet das weltweit am häufigsten genutzte. Dies ändert aber nichts an der Tatsache seiner unzureichenden Passfähigkeit für Sprachen, auf die es ursprünglich nicht zugeschnitten war. Die 26 Grundbuchstaben mussten für die Laute der jeweiligen Muttersprache erst passfähig gemacht werden. Dabei haben sich die deutschsprachigen Gebiete im Vergleich zu anderen Ländern nicht besonders geschickt angestellt. Nehmen wir nur mal das sch. Gab es keine bessere Möglichkeit, um den Laut abzubilden, als diese Buchstabenhäufung? Im Tschechischen etwa wird einfach nur ein Häkchen über das s gesetzt: š. Vorzugsweise mit solchen Zusatzzeichen erweiterten die verschiedenen Sprachen ihr Buchstaben-reservoire. So stockte z.B. das eben erwähnte Tschechisch sein Alphabet um 16 Buchstaben auf, auch Französisch leistete sich 16 Neuzugänge, Ungarisch sogar 18, während wir im Deutschen lediglich 4 Buchstaben dazu erfanden: ä, ö, ü und das exklusive, von keiner anderen Sprache genutzte ß. Nur eine Sprache glaubte ganz ohne Zusatzzeichen auskommen zu können: Englisch – dafür muss man sich dort aber -zig spezielle Ausspracheregeln merken.

Da wir für das Deutsche 52 Laute unterscheiden, reichen die zur Verfügung stehenden 26 + 4 Buchstaben natürlich nicht aus. Besonders ungünstig macht sich das Fehlen von Vokal-Buchstaben bemerkbar, denn für seine 16 Vokale und 3 vokalischen Doppellaute (ei, eu, au) stehen nur 5 bzw. 8 (mit ä, ö und ü) Buchstaben zur Verfügung 1. Wie man auf 16 Vokale kommt? Indem man die kurzen und die langen Selbstlaute jeweils extra zählt. Ist das nicht Haarspalterei?, fragen Sie. Mitnichten, denn das Kriterium für einen eigenständigen Sprachlaut ist die Fähigkeit, bedeutungsunterscheidend zu wirken. Während in den slawischen und romanischen Sprachen die meisten Vokale nur als „mittellang“ existieren, müssen wir im Deutschen differenzieren, z.B. zwischen Schal und Schall, Beet und Bett, Kiepe und Kippe, Koma und Komma. Puten unterscheiden sich von Putten, ein Gebläse hat nichts mit Blässe zu tun, zwischen Höhle und Hölle besteht ein großer Unterschied und ob etwas verhütet oder verhüttet wird, ist ganz und gar nicht einerlei. Zum Glück haben sich die Sprachpfleger im Laufe der Zeit verschiedene Tricks einfallen lassen, die anzeigen, ob der Vokalbuchstabe einen kurzen oder langen Vokal meint. Meistens jedenfalls wird dies angezeigt, aber leider nicht immer und vor allem nicht immer nach den gleichen Prinzipien: Die Länge des Vokals wird mal durch ein Dehnungs-h signalisiert, mal durch Buchstabendopplung und mal – gar nicht. Obendrein tanzt das lange ie nostalgisch aus der Reihe, indem es an die frühere Aussprache als Doppellaut i-e erinnert. (Überhaupt hat unsere Rechtschreibung die Tendenz, ältere Schreibkonventionen, die sich z.B. auf ältere Aussprachenormen beziehen, nur sehr vorsichtig und zeitverzögert zu revidieren, was zu einem Regel-Flickenteppich führt.)

Die Kürze des Vokals wird überhaupt nur indirekt, und zwar durch Dopplung des darauffolgenden Konsonanten, angezeigt – aber wiederum nicht durchgängig. Daneben signalisiert auch die Häufung von Konsonanten vor und nach einem Vokal, dass dieser in der Regel kurz gesprochen werden muss (z.B bei stracks, du schärfst, der Schmelz).

Um die Verwirrung noch zu steigern, müssen wir feststellen, dass zwar einerseits ein Buchstabenmangel herrscht, andererseits aber einige lateinische Buchstaben letztlich überflüssig sind. Wozu brauchen wir ein c (außer in einigen fragwürdigen Buchstabenhaufen, wie sch, ch, ck), wenn doch k den selben Sprachlaut meint? Und warum stellen wir manchmal ein c vor das k, ohne dass sich die Lautqualität ändert? Wozu ist das q gut, das im Deutschen ohnehin nur als Doppelbuchstabe qu verwendet wird und eigentlich auch kw geschrieben werden könnte? Was soll das v, das bereits durch f oder w – je nach dem – abgedeckt ist? Auch x wäre verzichtbar, denn wir haben ja ks; und z ließe sich genauso gut als ts abbilden. Für y könnte man auch ü schreiben – oder für ü auch y, dann wäre die Erfindung der zwei Pünktchen über dem u gar nicht nötig gewesen. Rein theoretisch hätte man also auf 6 lateinische Buchstaben verzichten können, denn diese leiten ihre Daseinsberechtigung lediglich aus der Existenz vieler Fremdwörter ab, an deren Schreibung nicht gerüttelt wurde. Hier dominiert bis heute das deutsche Oberlehrer-Gen: Bei der Fremdwortschreibung pocht man gern auf die Übernahme der jeweils landesüblichen Schreibweise, um damit Bildung und Weltläufigkeit zu beweisen. Wobei es freilich auch seltsam gewesen wäre, die alte, bewährte Wissenschaftssprache Latein oder daraus entlehnte Wörter nicht mit ihren lateinischen Buchstaben wiederzugeben. Allerdings haben auch Wörter mit deutschem Ursprung auf diese Buchstaben zurückgriffen (z.B. Quelle, Vetter, Hexe, Zunft).

Und was machen diejenigen Konsonanten, für die es keinen eigenen Buchstaben gibt? Über ihre Daseinsformen wollen wir uns im 2. Teil wundern – und ärgern.

1 Und da sind die vier Nasalvokale, die wir aus dem Französischen übernommen haben (z.B. in Gourmand, Teint, Balkon, Parfum) sowie die drei importierten vokalischen Doppellaute ua, ue, io (wie in Fuerteventura, Guasch, Religion) noch gar nicht mitgerechnet.

3 Kommentare zu “„So schreibt man das eben!“ Versuch einer Wurzelbehandlung bei Rechtschreibproblemen (1)”

  1. Zufälliger Besucher sagt:

    Ein sehr Interessanter Text. Mehr davon 😉

    Theorie:
    Schlechte Rechtschreibung war früher genau so verbreitet wie heute, nur hat es keiner gemerkt. Die, die öffentlich schrieben, waren eher Intellektuelle und/oder Akademiker und hatten meistens noch einen Lektor.
    Heute posaunt jeder in den sozialen Medien etwas heraus, was wiederum jeder Lesen kann…

    Randnotitz:
    Früher hat man auch oft festgestellt, dass fast alle Schüler nach der ersten Klasse die Fibel lesen und die dortigen Texte auch schreiben konnte. Mit Pisa hat man allerdings dann festgestellt, dass ca. 30% der Schüler nur das konnten, wechselte man das Buch und/oder die Texte sah es eher düster aus…

    Ich persönlich halte unser Lernsystem für ungeeignet, überaltert und hauptsächlich totgespart. Schaut man es sich aber in anderen Ländern an gibt es einige, die es deutlich besser machen aber global gesehen sind wir Deutschen da wohl noch die Einäugigen unter den Blinden. Allerdings graut es mich bei der abzusehenden Tendenz. Didaktik und Methodik haben sich leider ebenfalls nicht den geänderten Realitäten des Lebens angepasst, wohl aber Hauptsächlich dem Sparzwang geschuldet.

  2. Meta sagt:

    Hallo, zufälliger Besucher,
    Danke für die Blumen, ich geb mir Mühe und Teil 2 folgt morgen.
    Anmerkungen: Wenn Akademiker heute schlechte Texte schreiben, dann kann man das nicht mehr auf die schlampige Arbeit eines unfähigen Lektors schieben, denn die Lektoren-Zunft ist am Aussterben.
    Nach meinen Erfahrungen mit dem Schulsystem der DDR war es kaum möglich, die Schule als Analphabet zu verlassen; die Devise hieß: „Alle erreichen, jeden gewinnen, keinen zurücklassen“. Ich selbst kriegte als Fünftklässlerin schon Schüler zugeteilt, mit denen ich nachmittags Mathe und Deutsch üben sollte. Ich hab das wie ein Spiel betrieben und ganz gern gemacht. Später, im Studium, machte uns die Seminargruppenberaterin die Hölle heiß, wenn der Mitschriften-Dienst für kranke oder in der damals noch sehr kurzen Babypause befindliche Kommilitonen nicht gut organisiert war …
    Ich stimme zu, dass unser Schulsystem heute den Anforderungen an modernes Lernen nicht gewachsen ist: zu viel unreflektierter Lernstoff, darunter auch viel überflüssiger, zu wenig Fokussierung auf kreative Prozesse des Erwerbs von fachlichen, am besten fächerübergreifenden Kompetenzen – ach, das ist ein weites Feld… Eltern, die ihren einen und oft einzigen Abkömmling für genial halten – und wehe, die Lehrer zweifeln daran. Lehrer, die sich im Kampf mit renitenten Schülern aufgerieben haben und mit den Nerven am Ende sind…
    Die Defizite der universitären Fachdidaktik sind, glaub ich, weniger dem Sparzwang geschuldet als einer falschen Berufungspolitik in diesem Bereich. Noch immer drückt man ein Auge zu, wenn es um die schulpraktischen Erfahrungen der Bewerber geht. Ein typischer Witz über die Vertreter dieser Profession lautet: „Frage: Was haben Didaktiker und Eunuchen gemeinsam? Antwort: Sie können beschreiben, wie`s gemacht wird.“ Als Fachdidaktiker braucht man mit allen Wassern gewaschene Allrounder und keine Fachwissenschaftler im engeren Sinne, die sich auf ein didaktisches oder pädagogisch-psychologisches Spezialgebiet kapriziert haben, zum Beispiel auf Statistik der Leistungsentwicklung in den Klassen 7 bis 9 (hab ich mir hier ausgedacht, gibt es aber so ähnlich wirklich.

  3. Zufälliger Besucher sagt:

    Ich habe (leider) keine Ahnung vom Lehreralltag. Allerdings, wenn ich sehe, wie meinem Kind Lesen, Schreiben und Rechnen beigebracht wurden… Hut ab, ein Riesen Fortschritt gegenüber meinen Zeiten (ich wurde Anfang der 80er in der DDR eingeschult, und mit Verlaub, am DDR-Schulsystem lass ich nicht ein grünes Blatt, aber das ist nun mal meine eigene, ganz persönliche Erfahrung, die sich wohl auch von der breiten Masse unterscheidet, rückblickend würde ich sagen, ich und die DDR, wir wären keine Freunde geworden 😀 )
    Da hat sich einiges getan und es folgt mehr den Grundsätzen, die ich persönlich mag. Weg vom Drill der Perfektion durch auswendig lernen hin zu einem verstehen des „Weshalb“ und „Warum“. Leider wird das ganze durch ständigen Personalmangel und einem absolut ungeeigneten Klassenschlüssel im Ansatz wieder abgewürgt, da bei einem Lehrer auf 30 Schüler absolut die oberen und unteren 20 Prozent der Leistungskurve einfach nicht beachtet werden können. Und leider ist es so, dass nur wenige Eltern dieser Schüler entweder die nötige Einsicht in Defizite noch den nötigen Überblick bei (ich möchte jetzt den Begriff „Hochbegabung“ vermeiden, da er falsch ist) möglichen „Talentiertheiten“ Ihrer Sprösslinge behalten. Gerade, wenn das eigene Kind in jungen Jahren schon wesentlich schlauer ist, als man selbst, wird es für die meisten Erwachsenen schwierig.
    Die Zeiten haben sich grundsätzlich geändert. Durch eine Verfügbarkeit des Weltwissens auf Knopfdruck koppelt sich derzeit eine komplette Generation so nachhaltig und auch sehr grundsätzlich von Ihrer Vorgängergeneration ab, dass ein immenser Graben entsteht zu dem noch niemand ein Konzept entwickelt hat, ob und wie man ihn auch nur ansatzweise füllen könnte.

    Medienkompetenz ist so ein Thema, was leider in der Schule ganz wenig gelehrt wird. Ich vermisse den Ansatz, dass gezeigt wird, wie man in neuen Medien recherchiert, Aussagen überprüft und eigene Gedanken daraus entwickelt.

    Aber Entschuldigung. Ich schweife ab. Ich finde Eure Gedanken hier sehr anregend für meinen Geist. Es macht mir Spaß, hier meinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Dazu ist es auch und insbesondere nicht notwendig, einer Meinung zu sein. Ich mag hier das vorherrschende Niveau.

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