Anstelle eines Kommentars zu Karls viertem Autismus-Beitrag und mit Bezug auf Marlenes Kommentar will ich hier eine kleine Geschichte aus meiner Zeit als Lehrerin erzählen.
Wandertage waren immer auch eine Art Test, wie gut man seine Klasse im Griff hatte. Diesmal ging es mit der Fünften nur in die nahen Berge bis auf eine Anhöhe, wo wir die historische Windmühle besichtigen und picknicken wollten. Oben warteten schon die Mütter zweier Schülerinnen auf uns mit Brötchen, Kuchen und Kakao. Alle hatten gute Laune und selbst Matthias, den man öfter mal zur Ordnung rufen musste, weil er den Raufbold gab und dabei Grenzen überschritt, war heute ausgesprochen friedlich. Jedenfalls bis zu dem Moment, wo er mich anrief: „Frau B., gucken sie mal.“ Er hatte einen großen Frosch in der Hand und ehe ich auch nur irgendwie reagieren konnte, hatte er das Tier schon in die Luft geworfen, und zwar an einer Stelle mit felsigem Untergrund. Einige Mädchen schrien auf, als der Frosch auf den spitzen Steinen zerplatzte. Mein Entsetzen verwandelte sich umgehend in Wut und ich schrie Matthias an: „Noch so eine Aktion und ich hau dir auf der Stelle eine runter.“ Im selben Moment war mir klar, dass ich eine solche Drohung nicht hätte aussprechen dürfen und sollen. Denn a) waren die Zeiten, wo man Schüler körperlich züchtigen durfte, lange vorbei und b) gehörte es zu den Grundregeln pädagogischer Arbeit, keine Drohungen auszusprechen, die man nicht auch wahr machen konnte. Ich sah Matthias an, dass ihm genau diese Gedanken auch durch den Kopf schossen und zu einem gehässigen Grinsen veranlassten. Wenige Minuten später hatte er den nächsten Frosch gefunden und wiederholte die Aktion von vorhin. Ich wollte ihm in den Arm fallen, war jedoch zu weit weg, um den Frosch noch retten zu können, aber dicht genug dran, um Matthias eine mächtige Ohrfeige zu verpassen. Ich konnte einfach nicht anders.
Erst Minuten später dachte ich an das Nachspiel, das die Aktion für mich haben würde. Dann kam mir eine Idee, die auch hätte voll daneben gehen können. Nachdem ich die Klasse wieder zurück ins Dorf gebracht hatte, kündigte ich Matthias an, ihn nach Hause begleiten zu wollen. Wie erhofft, traf ich dort seinen Vater und schilderte ihm den Vorfall. Er reagierte mit den Worten: „Ich danke Ihnen. Wäre ich an Ihrer Stelle gewesen, hätte ich genau so gehandelt.“ Er gab mir die Hand und damit war die Sache für ihn erledigt. Für mich noch nicht, dachte ich, denn natürlich erzählten einige Schüler zu Hause: „Stellt euch mal vor, was heute passiert ist. Frau B. hat dem Matthias eine geklebt.“ Aber auch da blieb die große Empörung aus und ein Nachspiel gab es nicht.
Ich verkneife mir jeden Kommentar und jeden Vergleich zum Hier und Heute.