Wie ein Ritt über den Bodensee

(Aus unserer Rubrik: Geflügelte Worte)

Einst wandelte laut Bibel Jesus Christus übers Wasser.
Der Status solcher Überlieferungen ist umstritten.
Ein Vorfall aus dem 16. Jahrhundert klingt noch krasser:
Bei Überlingen sei ein Postmann übern Bodensee geritten.

Im Unterschied zur Jesus-Saga gibts dafür Beweise
in allen gut geführten Kirchenbüchern der Region.
Besagter Bote ist genauso Fakt wie seine Reise
per Postpferd übern See in diplomatischer Mission.

Man schreibt den fünften Jänner fünfzehnhundertdreiundsiebzig.
Mit dringender Depesche ist der Postvoigt Egglisperger
schon seit dem frühen Morgen unterwegs, nun aber schiebt sich
’ne Wolkenwand bedrohlich vor die Sonne. Das gibt Ärger.

„Den passionierten Postmann schüchtert keine Unbill ein“,
verkündet Egglisperger und prescht ohne Pause weiter,
bei schwerem Schneegestöber unverdrossen querfeldein,
bar jeder Peilung. Eine Mordstortour für Ross und Reiter.

Da, endlich kommt in Sicht ein Uferstreif mit Fährstation.
Der Fährmann  starrt den Boten an und stottert blank entsetzt:
„Nach Überlingen geht kein Kahn, da sind Sie nämlich schon,
anscheinend im Galopp über das dünne Eis gehetzt.“

Geschockt fällt unser Postillion in Ohnmacht, aber schnell
erholt er sich, umjubelt wie ein Star, im Gasthaus Krone.
Die Gäste sind spendabel, den Chronisten juckt das Fell.
Nur Egglisperger interessiert der ganze Rummel nicht die Bohne.

Als Gustav Schwab, dem Sagensammler, diese Mär begegnet,
beschließt er, sie zur tragischen Ballade hochzutrimmen.
Sein Reiter hat vor Ort und Schreck das Zeitliche gesegnet.
Und dazu passend konnt‘ man bald ein Schubert-Lied anstimmen.

Wer heutzutage noch zur Bodensee-Metapher greift,
hat Draufgänger im Sinn und deren tolldreistes Gebaren.
Doch damit ist der Hintersinn der Story nur gestreift:
Ein echter Held tut seine Pflicht auch ohne Kenntnis der Gefahren.

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