Vom Risiko, geflügelte Worte zu benutzen

Geflügelte Worte

In letzter Zeit habe ich mich viel mit Redewendungen beschäftigt, die aus den Werken bekannter Dichter stammen. Solche (Quasi-)Zitate verselbständigen sich oft, beginnen ein Eigenleben zu führen und ändern mit der Zeit ihren Sinn. Oft wissen die Benutzer nicht, wen sie da zitieren und was damit ursprünglich gemeint war. Dieser Vorgang hat mich zu folgenden Versen inspiriert:

Wenn Dichter neue Worte prägen…

… weil selbst ihr sprachbegabter Brägen
nichts Passendes gespeichert hatte,
nur gängige, bewährte, glatte
Vokabeln ohne Potential
für Hintersinn und Ritual,
dann mögen Worte sich ergeben,
die ihren Schöpfer überleben.

Doch neigen diese Kreationen
zur Nestflucht quer durch alle Zonen,
Sie spannen ihre Flügel weit
und segeln keck durch Raum und Zeit.
Und überdauern als Zitat,
das meistens einen Haken hat:
Ihr ursprünglicher Sinn ging flöten.
Und das passierte nicht nur Goethen.

Noch unberechenbarer  sind solche geflügelten Worte, die nicht auf künstlerische (oder  philosophische) Texte zurückzuführen sind, sondern auf  die Aussprüche oder Wortprägungen von beispielsweise Naturwissenschaftlern. In den meisten Fällen  verstehen die eifrigen Zitierer wenig oder nichts von der Materie und benutzen die Ausdrücke schlicht falsch. Wie oft haben Sie in letzter Zeit gehört, dass etwas „ein Quantensprung“ sei oder der „Quadratur des Kreises“ gleichkomme?  Oder dass ein Vorgang als „Blaupause“ anzusehen ist oder als „Lackmustest“ gelten kann? Wie oft wird sich auf  Knigge oder Adam Ries berufen, ohne zu wissen, was diese Geistesgrößen tatsächlich geleistet haben? Was hat es mit der „durchbrochenen Schallmauer“, dem „Ritt über den Bodensee“ oder dem „Pawlowschen Reflex“ auf sich? Bei genauerem Hinsehen kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus und fühlte mich genötigt, meine Beobachtungen folgendermaßen zu „verdichten“:

Geflügelte Worte – zweiter Aufschlag

Wer seine Texte mit Zitaten will erhellen,
der hat die Qual der Wahl aus tausend Quellen.
Die weisen Worte großer Denker füllen Bände,
vom Klassiker bis hin zur Pop-Legende.
Auch kommen nicht nur Schöngeister zu Worte,
nein, Sprücheklopfer gibt’s von jeder Sorte.
Da heißt es: Augen auf, wer hat´s geschrieben?
Was hat der Autor sonst noch so getrieben?
Vielleicht wird er bewundert als Erfinder;
sein Fach ist anspruchsvoll, sein Stil nicht minder.
Der Reiz, gerade solche Koryphäe zu zitieren,
ist groß, doch größer die Gefahr, sich zu blamieren.
Ein eloquenter Redner ohne Sachverstand
ist letzten Endes nur ein schnöder Simulant.
Aus namhaften Zitaten werden platte Binsen.
Die Laien sind perplex und die Experten grinsen.

Ich habe vor, unter der Rubrik „Gereimtes und Ungereimtes“ in den kommenden Wochen den Gebrauch einiger dieser Geflügelten Worte in Versform zu kommentieren und zu illustrieren.

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