Der Großvater (3) und meine Fixiert- und Verklemmtheit, die noch eine andere fatale Folge hatte

Ja, so war es. Aus dem Nachdenken über meinen Großvater, den ich leider nicht persönlich kennenlernte, und über mich  selbst als Großvater ist so etwas wie der Beginn einer Biographie meines erwachsenen Lebens geworden.

Es ist sehr heilsam und entlastend für mich, hier „Dinge“ schriftlich auszusprechen, die mich schon lange belastet haben.

Das Schlimmste habe ich ausgesprochen, obwohl sich da noch viel mehr sagen ließe, aber ich will mich auch nicht im Selbstmitleid „sielen“. Ich möchte auf jeden Fall noch etwas vervollständigen, was dieses biographische Schreiben mit hochgespült hat.

Im Elternhaus meiner Ex erlebte ich Geborgenheit, wie ich schrieb. Einmal waren wir wieder zu Besuch. Katrin, wie ich sie hier genannt habe, und ich waren, glaube ich, schon verheiratet. Auf einmal passierte es, sie, Katrins Schwester, nur zwei Jahre älter als sie, kam im Zwickauer Einfamilienhaus die Treppe herunter.

Ich wusste es schlagartig: Sie wäre es gewesen. Sie war feiner, sensibler, verletzlicher, dunkel-brauner als die helle sportliche Katrin, die durchaus wie Marina (Teil 1) mit ihrer Burschikosität mein Typ war. Aber die Sensibilität und Schüchternheit der Schwester, die ich hier Britta nenne, zogen mich noch mehr an. Über die Jahre war ich in sie verliebt und war zu feige, mich diesbezüglich zu bekennen.

Britta hatte richtig Pech im Leben. Sie liebte einen Mann und heiratete ihn auch, der bald danach anfing, sie regelmäßig zu schlagen. Er züchtete eine übersteigerte Eifersucht in sich, um immer wieder neue Gründe zu haben, sie zu prügeln, so sehr, dass sie sich tagelang nicht traute, aus dem Haus zu gehen.

Wie sehr hätte sie mich da gebraucht, viel mehr als Katrin, die fest und erfolgreich im Leben stand und die schon in ihrer Kindheit ihre Schwester regelmäßig schlug, obwohl sie die jüngere war, und die dafür sorgte, dass sie die Hiebe mit dem Ausklopfer vom Vater bekam, wenn etwas kaputt oder schief gegangen war. Schließlich war sie „die Große“, die hätte aufpassen müssen. (Auch mich hatte sie einmal mit Faustschlägen ins Gesicht attackiert, als ich ihr sagte, dass ich nicht aufhören würde, um das Sorgerecht für unsere Söhne zu kämpfen. Einem meiner Söhne fiel nichts Besseres ein, als darüber zu lachen, als ich ihm das erzählte.)

Insofern war Britta auf ihre Opferrolle vorbereitet und hatte wahrscheinlich viel zu lange in der Beziehung mit ihrem gewalttätigen Ehemann ausgehalten, so lange, bis es wirklich nicht mehr ging. Dann war sie allein und noch hilfloser, zerbrechlicher.

Einmal an einem Wochenende hatte sie uns wieder in Leipzig besucht. Ich glaube, mindestens zwei unserer drei Kinder waren schon auf der Welt. Sie war so sehnsüchtig, selbst Mutter zu werden. Nie fand sie den richtigen Mann dafür. Als wir sie am Sonntag zum Bahnhof brachten, flüsterte sie mir ins Ohr: „Ich weiß nicht mehr weiter.“

Ich fühlte mich so schäbig, als ich sie mit irgendeinem billigen Trost abspeiste. Ja, Feigheit, lieber Karl, aus Verklemmt- und Geniertheit ist wirklich das Schlimmste, was wir Menschen uns antun können. Wieder hatte ich eine Lebenschance verpasst für mein großes Glück und wieder auch aus Rücksicht auf meine Kinder, denen ich das nicht zumuten wollte. Dabei wäre Britta eine wunderbare Zweitmutter für sie gewesen, so wie sie auch eine liebe Tante für sie war.

Aber meine Befürchtungen, offen und ehrlich zu uns beiden zu stehen, waren auch keinesfalls unbegründet. Meine Söhne erzählten mir später (als sie noch eine Beziehung zu mir hatten), dass sie als halbwüchsige Kinder in Zwickau mit ansehen mussten, wie sich ihre Mutter mit ihrer Schwester schlug. Büschelweise rissen sie sich gegenseitig die Haare vom Kopf. Britta hatte Katrin dabei überrascht, wie sie mit Brittas Freund „herummachte“, den diese mit nach Zwickau gebracht hatte.

Britta war meilenweit ins Nachtreffen geraten gegenüber ihrer Schwester und nun, wo sie vielleicht doch einmal mit einem Mann Glück haben könnte, versuchte Katrin, ihn ihr diesen auch noch auszuspannen. Das war selbst für eine so sensible und zurückhaltende Person wie Britta zu viel, da musste sie die Kontenance verlieren.

Die Beziehung mit diesem Mann ging auch auseinander. Wer erst einmal so vom Schicksal beschädigt wird, verliert offenbar Selbstbewusstsein und Lebensmut: Auch die beruflichen Träume erfüllten sich für Britta nicht; schließlich war sie dem Krebs, der unser aller Leben bedroht, nicht mehr gewachsen und starb relativ früh.

Aber das Leben ist nicht schwarz oder weiß, auch nicht primär grau, sondern eher schwarz und weiß

Katrin hatte ihr nicht nur geschadet, genauso wie sie mir nicht nur geschadet hat. Wir hatten zum Beispiel einen wunderschönen Urlaub an der Ostsee verbracht, wo wir uns alle so gelten lassen konnten, wie wir waren. Katrin akzeptierte Britta in diesen Wochen und bezog sie auf eine wohlwollende Weise ein. Sie hatte nicht geahnt, dass ich Britta nicht nur mochte – das war für alle offensichtlich – , sondern auch begehrte. Und ich war zum Glück – immer noch – viel zu verklemmt, dieses Begehren auch nur zum Teil „gucken zu lassen“. So war es für alle ein schöner Urlaub in diesem Schwebezustand des Vorsexuellen; gegenüber Katrin war mein Begehren abgeflaut, während es sich gegenüber Britta nicht zu zeigen traute.

Solche Dreier-Beziehungen gibt es ja viel öfter im Leben als die meisten denken. Prominente Beispiele sind Goethes Jugendliebe zu einer verheirateten Frau und Mutter, die mit der Liebe des Ehemannes koexistierte (jedenfalls zunächst), und die Liebe sowohl zwischen Karl Marx und seiner Ehefrau als auch zwischen ihm und seiner Haushälterin.

Warum kann das Leben nicht immer so schön sein? Sexualität macht viel kaputt, aber sie bringt auch Würze ins Leben. Das habe ich auch gedacht, als sich der Kater, der uns öfter besucht, vor kurzem mit einem anderen auf eine beängstigende Weise kratzte, biss und schlug. Immer nur gemütlich schnurren – wäre das wirklich besser? Es brächte jedenfalls keinen Nachwuchs ins Leben, denn worum schlugen sich die Kater? Natürlich um die Katzen-Damen. Einer hat in unserem Gartengebiet auf diese Weise schon ein Auge verloren.

Fortsetzung folgt 

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