Mutterschaft und Berufstätigkeit unter einen Hut zu bringen war in der DDR ein Anspruch, den nicht nur der Staat an die Frauen herantrug, sondern den die Mehrheit der Frauen auch an sich selbst stellte.
Und zwar nicht nur, weil die Familie mit einem zweiten Verdiener rechnete, sondern auch, weil Frau sich zu einem nicht geringen Teil über ihren Beruf definierte.
Eine Episode von Anfang der 1980-er Jahre, die im Kolleginnenkreis gern erzählt wurde und jedesmal für Erheiterung sorgte, mag blitzlichtartig den damaligen Unterschied zwischen Ost und West erhellen.
Professor H., ein recht bekannter Potsdamer Literaturwissenschaftler, erhielt die Erlaubnis, zu einem Kongress in die BRD zu reisen. Seine um einiges jüngere Frau Marianne, Dozentin im selben Fachbereich, durfte ihn begleiten. Es gab ein „Damenprogramm“ für die mitreisenden Ehefrauen. Eine der Gattinnen forderte die fremdelnde Marianne auf: „Setzen Sie sich doch zu uns, Frau Professor.“ Die Angesprochene stellte richtig: „Frau Doktor, nicht Frau Professor!“ – „Ach, Ihr Mann ist nur Doktor“, wurde sie bedauert.
Auch Marianne H. nahm, wie so viele Frauen aus dem Osten, im Interesse ihrer Selbstständigkeit die unvermeidliche Doppelbelastung in Kauf. Wenn man Glück hatte, wurde diese Belastung von einem einsichtigen Partner abgepuffert. Oder von den eigenen Kindern, wie es in einem bekannten Pionierlied aus den 1950-er Jahren heißt (Worte: Heinz Kahlau, Weise: Hans Naumilkat).
„(1) Meine Mutti ist Abteilungsleiter,
alle Tage, alle Tage steht sie ihren Mann.
Nur zu Hause kommt sie gar nicht weiter,
packe ich im Haushalt nicht mit an.
(2) Kommt sie müde vom Betrieb nach Hause
und ich habe, und ich habe nichts für sie gemacht,
hat sie nicht die allerkleinste Pause
und sie plagt sich weiter bis zur Nacht …“
Der Autor hat dem Liedtext die Überschrift gegeben: „Der kleine Klaus erzählt“ und die Worte damit ausdrücklich einem Jungen in den Mund gelegt. Ich konnte mir als Kind eigentlich nur Mädchen vorstellen, die der Mutter unter die Arme greifen. Von einem helfenden Vater oder Mann war im Lied nicht die Rede. Dennoch ist er als Maßstab präsent. Bezugsgröße für die Würdigung der Frau und Mutter, die „ihren Mann“ steht, ist – der Mann.
In einem anderen bekannten, um 1955 entstandenen Pionierlied (Worte: Erika Engel, Weise: Hans Naumilkat) wird der männliche Beschützer besungen:
„(1) Ich stehe am Fahrdamm, da braust der Verkehr.
Ich trau mich nicht rüber, nicht hin und nicht her.
Der Volkspolizist, der es gut mit uns meint,
der führt mich hinüber, er ist unser Freund.
(4) Und wenn ich mal groß bin, damit ihr es wisst,
dann werde ich auch so ein Volkspolizist.
Wir helfen den Menschen, ich bin mit dabei,
beschütze die Heimat als Volkspolizei.“
Passt der väterliche Beschützer, der es im Auftrag von Vater Staat „gut mit uns meint“, wie die Autorin formuliert, zu dem propagierten Konzept von der Gleichberechtigung der Frau? Eine rhetorische Frage! Auch in der DDR hat in puncto Beruf und Karriere keine wirkliche Chancengleichheit bestanden. Der Begriff der „gläsernen Decke“ war im Westen seit den 1980-er Jahren in Gebrauch, aber das Phänomen als solches war auch in der DDR präsent: Qualifizierte Frauen drangen kaum bis in die höchsten Leitungsebenen vor. Sie scheiterten an der Halbherzigkeit, mit der die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen worden waren, und an den informellen Netzwerken der Männer, die diese schon vor langer Zeit zu knüpfen gelernt hatten. Daran hat sich bis in die Gegenwart wenig geändert. Als Vorteil für die DDR-Frauen – bzw. bis heute nachwirkend für die Frauen in den fünf östlichen Bundesländern – ist zu verbuchen, dass sozialpolitische Maßnahmen wie die bessere Versorgung mit Krippen-, Kindergarten- und Hortplätzen ihnen die Berufstätigkeit erleichtert haben. Auch Akademikerinnen wagten in der DDR den Spagat zwischen Kind und Karriere, den sich ihre Schwestern aus den Altbundesländern allzu oft um den Preis der Kinderlosigkeit verkneifen mussten.
Die ersten Gespräche mit westdeutschen Frauen zum Thema Kinder und Kinderbetreuung verliefen oft unerfreulich. Da fiel auch schon mal das Wort „Rabenmutter“ und die von den Medien kolportierten Geschichten über den Alltag in DDR-Kindergärten zeigten diesen in einem geradezu horrorverdächtigen Licht. Das „Töpfen“, also das gleichzeitige Auf-den-Topf-Setzen einer ganzen Kindergruppe, wurde ironisch belächelt, ebenso das „Muttiheft“, das dem schriftlichen Informationsaustausch zwischen Personal und Eltern diente, und der „Bienchenstempel“, der reichlich zum Einsatz kam, wenn es Lob zu verteilen galt. Andersherum bekamen auch die westdeutschen Mütter (und Väter) einiges zu hören. Sie würden „kleine egoistische Monster“ erziehen, von denen sie sich auf der Nase herumtanzen ließen, und zur „Überbehütung“ neigen (der Begriff „Helikoptereltern“ kam erst später auf). Fakt ist, dass sich die unterschiedlichen Erziehungsmaximen bis heute auf die Weltsicht der Heranwachsenden auswirken und die Vorstellungen von Geschlechtergerechtigkeit beeinflussen.
Was mich und meine in Teil (1) zitierten Kolleginnen besonders wunderte, war die Tatsache, dass man sich beim Thema Gendern offenbar vor allem auf einen ideellen, geistigen Aspekt kapriziert hatte, nämlich auf den geschlechterbewussten Sprachgebrauch, d.h. auf die Gleichbehandlung der Geschlechter in der mündlichen und schriftlichen Kommunikation. Aber war das nicht ein nachrangiger Aspekt? Hätte man sich nicht zuerst den materiellen Voraussetzungen widmen müssen? Zäumte man nicht das Pferd vom Schwanz her auf? Eine „durchgegenderte“ Sprache änderte doch erst einmal gar nichts an der strukturellen, sozialen und nicht zuletzt auch pekuniären Benachteiligung von Frauen im Berufsleben. Der Gender-Pay-Gap (geschlechtsspezifisches Lohngefälle) war eine Tatsache, übrigens auch in der DDR, die man nur durch eine komplexe und einmütige Anstrengung aller gesellschaftlichen Kräfte hätte aus der Welt schaffen können. Konjunktiv.
Warum „Gender-Pay-Gap“ und nicht gleich das, was in Klammern dahinter steht? (Geschlechtliches Lohngefälle) Ich kann es Ihnen sagen: Weil das Englische im Deutschen salonfähig gemacht werden soll. Daran arbeiten Deutschsprachige wie Sie engagiert. Ich behaupte und denke, dass die Sprecher anderer Weltsprachen, Französisch und Spanisch zuerst, selbstbewusst genug sind, eigene Worte aus ihrer eigenen Sprache dafür zu finden. Wenn eine Sprache aufhört, für neue Begrifflichkeiten eigene neue Worte zu bilden, befindet sie sich auf dem absteigenden Ast. Wahrscheinlich soll Deutsch zu einer Unterabteilung des Englischen herabgestuft werden, sonst wäre es nicht erklärlich, warum immer mehr Worte einfach aus dem Englischen übernommen werden wie z.B. auch „Helikopter“eltern. Warum nicht deutsch zutreffend „Hubschrauber“eltern? Aus dem selben Grund, warum kaum noch einer in Deutschland „Apfelsinen“ oder „Pampelmusen“ sagt. Es müssen unbedingt Orangen und Grapefruits sein. In der Natur wird für Diversität plädiert und Tiere und Pflanzen, die gefährdet sind, von eingewanderten Konkurrenten verdrängt zu werden, werden aufwändig geschützt. Warum soll das für die eigene Sprache nicht gelten. Warum ist da immer mehr Einheitsbrei angesagt, warum sind da zunehmend Wörter gefragt, die überall gleich gelten?
Lieber Herr Rastenberg – oder darf ich Falk sagen? Das ist, glaube ich, auf solchen Weltweit-Netz-Seiten (Internet-Seiten) üblich und erzeugt einen familiäreren Ton. Ich staune über mich selbst; ich hätte mehr Ausrutscher ins Englische erwartet, denn obwohl ich keine Freundin des Denglischen bin, unterlaufen mir von Zeit zu Zeit Ausdrücke, die ein gutes Gegenstück (Pendant – ich weiß, das ist französisch und damit als Entsprechung harmlos, das will nur spielen) in meiner Muttersprache haben. Offenbar gehöre ich zu der Minderheit, die Apfelsine sagt und auch Mandarine (wobei das Benennungsmotiv für dieses Kunstwort nicht ohne ist); bei Pampelmuse allerdings muss ich passen, seit ich entdeckt habe, dass man das Wort in Pampel-Muse zerlegen kann. Und was ein Pampel ist, wissen Sie sicherlich: ein Mensch, der für andere die Arbeit macht und am Ende der Dumme ist, Berlinisch zu Piesepampel gesteigert. Muse und Piesepampel – das geht ja nun gar nicht zusammen. Manchmal nehme ich das englische Wort, weil ich zu der deutschen Entsprechung aus irgendeinem Grund ein gebrochenes Verhältnis habe. Die beiden Fremdwörter, Gender-Pay-Gap und Helikopter-Eltern, sind nun allerdings so im Text platziert, dass deutlich wird, dass es keine Ausdrücke meiner Wahl sind, sondern Quasi-Zitate. Den Begriff Hubschrauber würde ich noch aus anderen Gründen nicht verwenden. Ein ausländischer Student hat den mal im deutsch-italienischen Wörterbuch nachschlagen wollen und vermutete die Wortgrenze bei der Zusammensetzung an einer anderen Stelle. Er schaute also bei hubsch und Rauber nach, fand aber nur hübsch und Räuber und wunderte sich, warum ein hübscher Räuber über der Stadt kreist. Ansonsten rennen Sie bei mir offene Türen ein und wie sehr ich meine Muttersprache ernst und in Schutz nehme, dürfte ich gerade bewiesen haben.
Heli-copser ist dann ein mit Helium aufgeblasener Polizist? Ihr „hübscher Räuber “ ist genauso wenig ein Argument gegen „Hubschrauber“ wie mein Beispiel es gegen „Helikopter“ ist. Die Diskussion ermüdet mich und ist eigentlich vergebens, denn es geht um eine Grundhaltung der Liebe. Eine Liebe zum Eigenen, die so groß, stark und weit ist, dass sie Fremdes zulassen kann und will, weil sie weiß, dass sie es für ihr eigenes Wachstum braucht. Es ist wie immer eine Frage des Maßes und der Verhältnismäßigkeit. Und es geht um das Bedürfnis, sich um das Eigene zu bemühen, nicht darum, einen Zustand der Reinheit anzustreben.
Hallo, Falk,
kennen Sie die Anekdote von dem Prüfling, der sich für die Bio-Prüfung nur auf ein Thema vorbereitet hatte, auf den Elefanten, sein Lieblingstier? Die Chancen, dass ausgerechnet der Elefant auch drankommen würde, waren gering, aber unser Prüfling würde sich schon etwas einfallen lassen, dachte er. Er wurde zum Thema Mücke geprüft und kriegte tatsächlich die Kurve. Zwei Sätze genügten ihm, um von der Mücke auf den Elefanten zu kommen: „Das Auffälligste an der Mücke ist ihr Rüssel. So ähnlich ist es beim Elefanten. Der Elefant …“ Kann es sein, dass Sie Ihr aller Ehren wertes Lieblingsthema, die Liebe zur deutschen Sprache und die Abneigung gegenüber den grassierenden Anglizismen, auch überall anbringen wollen? Sogar in dem Kommentar zu einem Text, der als Stichwortgeber ziemlich ungeeignet ist, weil er selbst nur zwei englische Wörter enthält und von ganz anderen Dingen handelt? Macht ja nichts, aber in solchen Fällen verlässt mich beim Antworten meistens der sittliche Ernst – haben Sie ja gemerkt.
Da können Sie mal sehen, wie wichtig mir die „Elefanten“ sind. Mir geht es nicht um die akademische Ausgeglichenheit in einem wissenschaftlichen Seminar, sondern um das, was mir auf dem Herzen liegt.