Ich habe zu wenig Resonanz – auch mit dieser Seite. Aber ich habe überhaupt Resonanz, ich bin sozusagen ein „Kleinbauer“ auf diesem Gebiet, ich besitze nur ein kleines Stück veröffentlichtes „(Geistes)Land“, aber es ist wenigstens mein eigenes.
Glücklichsein und wahrgenommen zu werden, eine Wirkung mit dem zu haben, was ich sage und schreibe, auch zeige an Körpersprachlichem, gehören direkt zusammen. Das fängt im Familiären an und weitet sich auf das Gesellschaftliche aus.
Wir leben in einer Gesellschaft, in einer „autistischen“, in der jeder zunehmend für sich allein lebt. Wir sind zwar weltoffen bis „dorthinaus“, interessieren uns für Afrika, Peru und Venezuela, kennen uns aber im eigenen Haus und in der eigenen Straße immer weniger.
Die Jugend der Erfolgreichen, Staatstragenden muss unbedingt nach Mexiko und Neuseeland – in Florida und London waren sie sowieso schon – , aber das Riesengebirge kennen sie nicht und das interessiert sie auch nicht. (Es hat ja mit der eigenen deutschen Geschichte und Vergangenheit zu tun – igittigitt.)
Es gibt immer mehr in Deutschland, die sich an den Rand gedrängt fühlen. Es sind vor allem die Alten, die dann auch noch „gewöhnlich“ und „normal“ sind, bloß deutsch und hetero und gar nicht exotisch. Schämt Euch! Wer sich nicht über ein besonderes Geschlecht oder eine ebensolche Sexualität definieren kann, wer in Deutschland nicht „queer“ ist, sondern sozusagen bloß „längst“, halte hier den Mund und schweige still.
Sich darstellen, sich ausdrücken zu können, macht glücklich. Dieses Vermögen und diese Chance kann sogar Liebeskummer überbrücken. Das habe ich noch einmal und vertieft begriffen, als ich das darunter abgebildete Buch über die Liebe zwischen Goethe und Marianne von Willemer gelesen habe.
Marianne, die mit einem Freund Goethes verheiratet war, stürzte in Depressionen, als der doppelt so alte Goethe nach einem Techtelmechtel mit ihr, mit dem Wissen und der ausdrücklichen Zustimmung ihres Ehemannes, sie dann doch fallen ließ und monatelang ignorierte. Die Heilung und das große Glück kamen, als Marianne zwar – immer noch – nicht ganzkörperlich und „ganzpraktisch“ die „Suleika“ wurde, die sie in Andeutungen und Phantasien mit Goethe schon war, sondern sich dieses Verhältnis zwischen den beiden lyrisch im Schreiben, Austauschen und Vortragen von Gedichten vertiefte und manifestierte.
Das Ganzkörperliche wollte Goethe seinem alten Freund dann doch nicht zumuten, obwohl dieser bereit war, für die Gemeinschaft mit ihm zu dritt, seine Zustimmung zu geben. So sehr litt von Willemer unter dem tiefen Liebeskummer seiner Frau, dass sich Goethe ihr entzogen hatte, so existentiell war diese Verzweiflung und so sehr litt auch er selbst unter dem Fernbleiben seines Freundes.
Goethe nahm die Gedichte, die Marianne als Suleika geschrieben hatte, in seinen „West-östlichen Divan“ auf. Vielleicht war dieses lyrisch-erotische Glück sogar ein größeres, als es ein praktisches, sexuell-erotisches hätte sein können bzw. geblieben wäre. Suleikas Gedichte gehörten zu den schönsten und wurden auch von den besten Komponisten der Zeit, Beethoven und Schubert, vertont. Marianne war glücklich, dass sie „drinstand“ im Divan /1/, obwohl keiner wusste, dass sie die Autorin dieser Gedichte war. Goethe wusste es und wenige Vertraute – das reichte ihr zum Glücklichsein. Unglaublich, wenn ich das mit dem hohen Anspruch von Gleichberechtigung vergleiche, der heute gilt.
Goethe wollte zunächst doch noch einmal die ganze, praktische Liebe haben, als er schon 73 Jahre alt war. Es war wie ein letztes Aufbäumen – wild vor Liebe. Das war eine Liebe zum Leben, die sich nur besonders herauskristallisiert und zuspitzt, wenn sie sich auf erotisch anziehende junge Mitmenschen richtet. Ulrike, das Objekt seiner Begierde, war mit 19 gerade erst erwachsen geworden oder sogar immer noch erst dabei.
„Doch trotz der Unterstützung von fürstlicher Seite erhielt Goethe niemals eine Antwort. Amalie von Levetzow, Ulrikes Mutter, überging die delikate Angelegenheit mit höflichem Schweigen. Statt dessen wurde Goethe bei der Rückkehr von einem empörten Sohn und einer gekränkten Schwiegertochter empfangen.“ (S. 212)
Was für ein tiefer Fall für den Dichterfürsten und das, obwohl Großherzog Carl August höchstselbst als Brautwerber aufgetreten war und dem umworbenen Fräulein eine stattliche Pension im Falle von Goethes Ableben in Aussicht gestellt hatte. Unglaublich! Ewiger Weltruhm, materiell ausgesorgt mit der Möglichkeit, nach Goethes Tod noch einmal gut und besser zu heiraten, denn schließlich wäre sie dann ja wer gewesen.
Immerhin. Goethe kann dichten. Das bleibt ihm. Er schreibt in den „Marienbader Elegien“:
Mir ist das All, ich bin mir selbst verloren, / Der ich noch erst den Göttern Liebling war; … / Sie drängten mich zum gabeseligen Munde, / Sie trennten mich, und richten mich zugrunde.
Ach, hätte ich doch nur den Mund gehalten! Wie stehe ich nun da? Das könnte sich Goethe gedacht haben, entnehme ich seinen Elegien. So kann es also auch einem ganz Großen gehen. Aus Liebesnot alles riskiert und – erst einmal – tief abgestürzt. Wie so oft im Leben sind die Männer die Gefährdeteren:
„Im Gegensatz zu Goethe, der vergeblich gehofft hatte, der drohenden Einsamkeit durch eine neue Heirat zu entgehen, erlebte Marianne, dass in ihrer Umgebung eine stattliche Großfamilie heranwuchs, in der sie sich mühelos eingliederte und für die sie unentwegt im Einsatz war. Die drei Töchter von Willemer … waren mit wohlhabenden und gebildeten… Männern verheiratet, die in ihren Häusern eine entsprechende Geselligkeit entwickelten, und in alles wurde Marianne selbstverständlich einbezogen.“ (S. 212)
Das galt auch für ihre Beziehung zu den halbwüchsigen Kindern der Großfamilie. Damals überwog noch das Vertrauen zu den Alten und nicht die Angst, dass diese mit ihren altmodischen Ansichten die Entwicklung der Kinder beeinträchtigen könnten.
So einen Platz in der Großfamilie für alle zu finden wird in der heutigen fortschrittlichen, deutschen Zeit der Abschottung – nicht nach Afrika, wo denken Sie hin?! Aber gegenüber der eigenen größeren Familie – allerdings immer schwieriger, und das sogar für die Frauen und Mütter.
Marianne aber schwang also in ihrer kleinen Familienwelt mit. Das ließ sie die Zeit der Trennung von Goethe verkraften und sie schwang dann ja sogar mit ihm in der großen literarischen Welt mit. Und auch ihn heilte dieses gemeinsame Schwingen, dieses Resonanzboden-füreinander-Sein. Sie widmeten sich nicht nur gegenseitig Gedichte, sondern sie kannten ja auch die Aura der persönlichen Begegnung, aus denen sie entstanden waren. Und Marianne machte es schier glücklich, in neuen Auflagen des West-östlichen Divans immer noch ein neues und weiteres Gedicht von ihr zu finden. Das war eine Ausstrahlung des Glücks, nicht nur zwischen diesen beiden Menschen, sondern in die ganze Welt hinein.
Die West-Ost-Verbindung, die Verbindung zwischen dem Abend- und Morgenland, zwischen der christlichen und islamischen Kultur lag Goethe besonders am Herzen und das ohne Transatlantizismus, einfach nur Europa bzw. Deutschland und der Orient. Wir sollten den Islam und den Orient nicht nur als Gefahr sehen, sondern auch als Verbündeten im Kampf gegen die US-amerikanische Vorherrschaft in der Welt. Darauf gehe ich in einem der folgenden Beiträge ein.
Fußnote
/1/ Ich weiß, in dieser Webseite „drin zu stehen“ ist in der Bedeutung meilenweit vom „West-östlichen Divan“ entfernt und gar nicht zu vergleichen damit, aber immerhin, ein kleines Stück Resonanzboden gibt diese Seite auch her. Er vibriert und schlägt Bögen in die Welt, je mehr – nachdenkliche – Autoren hier schreiben. Nachdem ich gerade einen – Berthold – verloren habe, rufe ich dazu auf, zunächst Kommentare zu schreiben und sich dann bei mir, Karl, um einen eigenen Autorenzugang zu bemühen.
Schlag nach bei Goethe! Da steht es drin, wie er als alternder Mann seine erotischen Fantasien aus diversen Gründen, trotz seiner Berühmtheit, nicht mehr am jungen Fleisch stillen konnte. Stattdessen verarbeitete er diese Enttäuschungen literarisch, und es wurde Weltliteratur.
Wohl dem, der so ein Talent in die Wiege gelegt bekommt, es ist ein Geschenk der Natur. Sich etwas von der Seele schreiben kann eigentlich jeder, der schreibkundig ist, muss ja nicht gleich Literatur werden. Zum Überwinden von Krisen taugt ein Tagebuch oder das Schreiben von Gedichten ebenso.
Aber genauso wie sich der Schreibstil seit Goethes Zeiten weiterentwickelt hat, kann man seine Art zu leben nicht mit heute vergleichen, auch wenn sich Gefühle wie Liebe, Begehren und sexuelle Lust sicher nicht geändert haben, weil sie zum Menschsein gehören.
Der Umgang mit Frauen lässt keinen Vergleich zu, da die gesellschaftlichen Verhältnisse sich seitdem gravierend durch die Gleichstellung von Mann und Frau geändert haben. Und das schlägt sich auch privat, bis hin zu den intimsten Bereichen im Schlafzimmer nieder.
Genauso wie zu Goethes Zeiten gibt es natürlich auch heute noch reiche, erfolgreiche und berühmte alte Männer, die nach jungen Frauen gieren, die ihre Töchter oder auch Enkeltöchter sein könnten. Soll ich sie bewundern oder belächeln? Goethe wollte mit 74 die 19-jährige Ulrike, Karl kann nicht verstehen, dass diese Ehe nicht zustande kam. Karl denkt wie ein Mann. Ich als Frau befürchte sogar, dass die blutjunge Ulrike durch den alten Goethe abgeschreckt wurde, so dass sie in ihrem Leben nie eine Ehe einging, vielleicht wurde sie frigide?
In einer statistischen Erhebung wurde festgestellt, dass heutzutage keine Frau unter 30 einen Mann ab 60 kennenlernen möchte. Nun, die es trotzdem tun, wissen sicher vieles zu schätzen, was ein junger Mann nicht hat und nicht kann, warum nicht? Heute ist ohnehin alles schick, was aus dem Rahmen fällt, und es bekümmert niemanden.
Lieber Karl, du bewunderst Marianne Willemer, weil sie sich eingebracht hat in die Großfamilie ihres Mannes. Ja, was sollte sie ansonsten tun? Sie war mit einem alten verwitweten Mann verheiratet, den sie nicht liebte. Goethe war auch viel älter, aber er teilte mit ihr die Leidenschaft zum Schreiben. Und da Goethe die Frauen nur als Mittel zum Zweck ansah und sich nicht mal um das Seelenheil seiner Mutter kümmerte, ließ er sie irgendwann los. Die Familie ihres Mannes war ihre Rettung, für diese Familie war sie wiederum ein Segen.
So etwas funktioniert auch heute noch, dass man aus der Not eine Tugend macht. Aber es ist längst nicht mehr die Regel, vor allem die Jungen müssen es wollen, sonst hat man keine Chance. Dann sollte man das eigene Leben neu ausrichten, ohne die Verbindung zur Familie aufzugeben.
Und wenn die jungen Menschen in die Ferne schweifen, obwohl das Gute doch so nah liegt, hat das m.E. einen ganz unpolitischen Hintergrund. Ab 30 planen die meisten, eine Familie zu gründen. Da müssen sie dann erst mal sesshaft werden, vielleicht Wohneigentum schaffen. Da ist es doch gut, sich vorher in der Welt umgesehen und etwas Schönes erlebt zu haben. Ich sehe darin überhaupt kein „Igitt“.
Lieber Karl, ich werde dir nicht den Bernhard ersetzen können, aber ein Versuch war es mir schon wert, dem „Kleinbauern“ ein wenig unter die Arme zu greifen. Ich habe ein Herz für das Ländliche, bin alt, schon immer weiblich und auch noch hetero, liebe die deutsche Sprache und spiele gern mit Worten.
Bis zum nächsten Mal!
Danke, liebe Marlen. Die Ulrike selbst wollte schon die Frau von Goethe werden, so spekulieren zumindest Literaturwissenschaftler, aber die Mutti hat’s nicht erlaubt. Lustig: Ein altertümliches, autoritäres Eltern-Kind-Verhältnis bewahrt die Ulrike vor einer unkorrekten, „unfortschrittlichen“ Beziehung.
Ich denke, sie hätte in ihr nur lernen können für neue, nachfolgende Lieben, wahrscheinlich ungemein, denn Goethe trug als alter, lebensfahrener Mann viele intensive Lieben in sich, angedachte und vorgefühlte wie die zu Charlotte als „Werther“, ausgeführte und -gelebte wie die zu seiner Ehefrau Christiane oder wie die zu Marianne, zwar auch nur angedacht und vorgefühlt, aber lyrisch so weit vertieft, wie es nur möglich sein konnte. (Und die beiden hatten viele emotionale, intellektuelle und sprachliche Möglichkeiten, so viele, wie nur ganz wenige Menschen.)
Es hätte der Ulrike also ganz und gar nicht geschadet, wenn es mit Goethe geklappt hätte. Im Gegenteil. Denke ich.