Über das Sterben meiner Mutter

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Lauterbach,

es drängt mich, Ihnen zu berichten, wie ich das Sterben meiner Mutter in der Uni-Klinik Brandenburg an der Havel empfunden habe. Die von mir gemachten Erfahrungen machen mich betroffen und mir auch Angst, was meinen eigenen Tod angeht:

Ich konnte meine Mutter 1 Woche lang 24 Stunden begleiten. Dies empfand sie als großes Geschenk, für mich als Sohn war es eine Ehre. Die dramatische Unterbesetzung auf der Station hat mich entsetzt. Wenn ich nicht meiner Mutter Wasser gegeben, die Mundpflege übernommen und gelegentlich etwas Essen gereicht hätte… sie wäre verdurstet! Nicht, weil die Pflegekräfte es nicht wollen, sie können es organisatorisch nicht. Auch saß meine Mutter ewig auf dem Schieber, nur mein Bitten, sie da auch wieder runterzuholen, brachte sie vom Schieber… mit den entsprechenden Druckstellen….

Meine Mutter wurde auch nicht mehr gehört… Ihre Hilferufe wurden gar nicht wahrgenommen… Als sie in ihrer letzten Stunde in die Krise kam, nicht mehr atmen konnte, nur noch röchelte und extreme Angst hatte, konnte ich nur durch lautstarke Ansprache erreichen, dass ihr, nach ca 25 Minuten, endlich Morphin gegeben wurde. So konnte sie in den dann folgenden 45 Minuten einschlafen….

Sie wäre erstickt! Qualvoll und völlig allein!

Ich halte diese Zustände für so dramatisch und schlimm, dass ich nur darauf drängen kann, hier schnellstens Abhilfe zu schaffen! Auf dieser Station lagen weitere alte Menschen in ihren letzten Tagen, ihre nichtgehörten Hilferufe gehen mir nicht mehr aus den Ohren! Warum ändert sich nichts in unserem Gesundheitswesen? Ich hatte so große Hoffnungen auch gerade auf Sie als Mediziner gesetzt!

Mit sehr verzweifelten und traurigen Grüßen

Berthold

2 Kommentare zu “Über das Sterben meiner Mutter”

  1. Karl sagt:

    Lieber Berthold, ich freue mich aus zwei Gründen sehr über Deinen Beitrag. 1. Ich ringe darum, mehr Autoren für diese Seite zu gewinnen. Dass Du als mein ältester Freund Dich nun an ihr beteiligst, lässt mich Hoffnung schöpfen, dass es diesbezüglich aufwärts geht.

    2. DasThema, das Du ansprichst, berührt auch mich sehr und zwar wie Dich, auch ganz konkret persönlich. Wenn sich auf dem Gebiet der medizinischen Versorgung nicht grundsätzlich etwas ändert, fordere ich unsere Regierung auf, jedem deutschen Staatsbürger ein Notfall-Set zu überreichen, zumindest ab einem bestimmten Alter, zum Beispiel ab 70, in dem sich eine „Todestablette“ befindet.

    Wenn ein Staat schon nicht mehr in der Lage ist, seine Bürger angemessen medizinisch zu versorgen, sollte er ihnen wenigstens einen sanften Gnadentod ermöglichen. Die etablierten Politiker dürften alle privat versichert sein. Für sie „pressiert“ es also nicht so, aber für den normalen Bürger, der „nur“ gesetzlich versichert ist.

    Selinski fordert ein Prozent des deutschen Bruttosozialprodukt – jährlich natürlich! – zur Unterstützung für seine Kriegsführung. Das sind 38 Milliarden Euro. Damit und mit dem Geld, das die deutsche Regierung ausgibt, um illegale Einwanderer aus den anderen europäischen Ländern unbedingt nach Deutschland zu locken, könnte man leicht die Gehälter der Pfleger und Ärzte verdoppeln und auch bei Lehrern und Polizisten aufstocken und so diese Berufe deutlich attraktiver machen.

    Bei der Pädagogik reicht allerdings nicht entschieden mehr Geld – wir gehören jetzt schon zu den Ländern, die am meisten für die Bildung ausgeben -, sondern da muss die Erziehungs- und Bildungsphilosophie vom Kopf auf die Füße gestellt werden: Immer mehr Individualisierung ist nicht die Lösung, sondern ein Irrweg (ich habe beim Thema „Zeitzeichen Autismus“ schon viel dazu geschrieben, zum Beispiel bei der Grundfrage der Erziehung.)

  2. Marlen sagt:

    Lieber Berthold, mein aufrichtiges Mitgefühl für den Verlust Deiner Mutter und die widrigen Umstände beim Abschiednehmen.

    „Das Mutterherz ist der schönste und unverlierbarste Platz des Sohnes, selbst wenn er schon graue Haare trägt – und jeder hat im ganzen Weltall nur ein einziges solches Herz“.
    (A. Stifter) 💖

    Ich wünsche Dir viel Kraft für die Zeit der Trauer und einfühlsame Menschen, die Dir dabei zur Seite stehen. Da ich vor nunmehr zehn Jahren meinen Partner nach einer sehr langen Ehe, sowohl in der Pflege als auch beim Sterben, begleitete und letztendlich loslassen musste, berührt mich Dein Beitrag ganz besonders.

    Fünf Monate lang war ich täglich in einem Residenz-Pflegeheim und konnte dabei umfassende Einblicke gewinnen. Jeden Tag ging ich mit meinem gelähmten Mann in einem Pflege-Rollstuhl in den Garten oder in den Park. Er hätte ansonsten die Sonne nur noch durch die Fenster des Wintergartens gesehen, den Kontakt zur Außenwelt total verloren, und das im 74. Lebensjahr.

    Doch so etwas leisten selbst in einem hochpreisigen Heim die Pflegekräfte nicht. Auch beim Sterben habe ich ihn auf der Intensivstation der Uni-Klinik begleitet. Man ließ mich dabei völlig allein. Nebenan lief laut ein Fernseher, da musste ich erklären, dass soeben ein Mensch stirbt und bat um Rücksicht. Ich war mental nicht in der Lage, mich zu beschweren oder Hilfe zu holen, da ich den Sterbenden keine Sekunde allein lassen wollte, bis zum letzten Atemzug.

    Das ist mir auch gelungen, dafür bin ich dem Schicksal dankbar, aber die äußeren Umstände waren deprimierend. Nun weiß ich aber, dass auch mich, falls sich da nichts ändert, Ähnliches erwartet, und ich bin zumindest darauf vorbereitet…

    Aus meiner Sicht gibt es zwei große Probleme, die es zu lösen gilt, um den Pflege- und Sterbeprozess in unserem Land auf ein höheres Niveau zu heben:

    Die eine Säule ist die Wertschätzung der medizinischen und der pflegerischen Versorgung für alle Bürger, egal wie und wo versichert. Da müssen viel mehr Mittel als bisher vom Staat bereitgestellt werden. Dafür ist einzig und allein die Politik verantwortlich, sie gibt auch die Gesetze und Verordnungen vor und muss darauf achten, dass sie umfassend durchgesetzt werden. Das kann der Gesundheitsminister allein nicht leisten, denn er kann nur mit den Geldern arbeiten, die für diesen Bereich freigegeben werden. Und so lange andere Sachen, wie z.B. Waffenlieferungen, Entwicklungshilfe in -zig Länder, Rettung des Weltklimas etc. Milliarden verschlingen, bleibt für die humanitäre Unterstützung von Hilfsbedürftigen im eigenen Land viel zu wenig übrig…

    Die zweite Säule hat Karl sowohl in seinem Kommentar als auch in zahlreichen Beiträgen schon aufgezeigt. Es ist das Dilemma mit der Individualisierung, die maßlos vorangetrieben, die Menschen nach und nach in die Vereinsamung, in die Isolation treibt. Jedem jungen Menschen sollte von Geburt an schon bewusst gemacht werden, dass er sich als eigenständige Person entfalten soll und darf, aber niemals ohne seine Mitmenschen leben kann. Dafür ist der Mensch nicht geschaffen! Und je besser ich mich als Individium in eine Gemeinschaft einfüge und mit meiner Individualität einbringe, um so besser wird mir mein eigenes Leben gelingen.

    Machen wir in unserer Kuschelpädagogik und mit unserer Ich-Entfaltungs-Theorie so weiter wie bisher, zerfallen die letzten intakten Familien und keiner interessiert sich für das Leiden und Sterben der Kranken und Alten. Und so etwas muss wohl jedem Angst machen.

    Ja, ein Notfall-Set mit einer Sterbepille, wie vom Karl erwähnt, hätte ich auch gern. Doch das eine schließt das andere nicht aus. Eine Begleitung beim endgültigen Abschied möchte ich da trotzdem, z.B. auch die eigenen Kinder dabei haben. Schließlich haben wir sie ja am Anfang ihres Lebens sehr lange und umfassend begleitet, zu solch moralischer Pflicht muss man sie aber erziehen. Obwohl ich auch meine Mutter als Witwe im Alter sehr lange begleitet hatte und meine Söhne das miterlebten, gibt mir das noch lange keine Sicherheit. Die gesellschaftlichen Verhältnisse sprechen heute eine ganz andere Sprache, und die alten Eltern sind in der Wertigkeit weit nach unten gerutscht.

    Doch die Hoffnung auf einen „schönen Tod“ stirbt erst kurz vor dem Ende. Gut ist, dass es dafür kein Orakel gibt…

    Herzlichst von Marlen

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