Die Berufs-Empörten und ihre deutsche Schubladerei

Sie regen mich zu sehr auf, besonders ihre pausbäckige Dummheit, das politisch und historisch Ungebildet- und Uninformiertheit-Sein, die entschlossene und wilde Bereitschaft, auf diesem Stand zu bleiben und nicht einfach mangelnde Bildung nachzuholen, was heute in Zeiten von Google leicht wäre. Deswegen kann ich zu dieser neuesten „Sau“, die von den „guten Menschen“ gerade durch das deutsche Dorf getrieben wird, nicht schweigen, obwohl ich mich tagespolitisch eigentlich nicht so bald wieder äußern wollte.

Das Über-den-Kamm-Scheren von Menschen anhand ihrer Gruppenzugehörigkeit, zum Beispiel zu einem bestimmten Volk, oder ihrer religiösen Herkunft wird erstaunlicherweise in Deutschland gerade von denen betrieben, die sich für besonders fortschrittlich halten.

Was war passiert? Die Nazi-AfD und ihre schlimmsten Scharfmacher wie Maximilian Krah würden die SS verharmlosen.

Er hatte einer italienischen Zeitung ein Interview gegeben und dort auf eine entsprechende Frage geantwortet, dass die SS insgesamt eine verbrecherische Organisation war, er aber nicht sagen könne, dass jeder einzelne SS-Mann kriminell gewesen wäre. Das ist eine Binsenweisheit: Nicht jeder in einer bestimmten Gruppe muss dem Charakter dieser Gruppe entsprechen.

Nicht jedes Mitglied eines kriminellen Clans zum Beispiel muss rücksichtslos kriminell sein. Nicht jeder Staatssicherheitsangehörige war das im Gegensatz zur angeblich guten Volkspolizei oder anderen Angestellten des Ministeriums des Inneren. Alle Ministerien in der DDR unterstanden gleichermaßen der „führenden Rolle der Partei“.

Ich erinnere mich zum Beispiel, wie ein höherer Funktionär in einem Zivilschutz-Studentenlager eine Studentin exmatrikulieren wollte, weil sie aus dem Westen eine Ansichtskarte ins Lager bekam. Er war außer sich und Mitglied der LDPD. Die Studentin wurde von Führungskräften gerettet, die bei der Stasi waren, wie sich hinterher herausstellte. Aber die Letzteren verloren nach der Wende ihre Arbeit, nicht der LDPD-Mann, der gehörte ja von vornherein zu den Guten.

Viele in der Wehrmacht waren schlimmer als einige in der SS. Das fällt uns Menschen so schwer, einzugestehen: Wir wollen verallgemeinern, Gruppen bilden, in die wir alles Böse hineinstecken, damit wir auf diese Weise die anderen entlasten. „Mein Vater war bloß bei der Wehrmacht. Das war ein Besserer. Aber deiner, der war bei der SS.“ Deswegen fällt es ja auch einigen Europäern so schwer, anzuerkennen, dass nicht alle Deutsche Nazis sind bzw. einigen Wessis fällt das in Bezug auf die Ossis auch nicht leicht.

Je länger die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland vergangen ist, desto hysterischer werden solche Verallgemeinerungen, desto weniger sind sie getrübt von genauem historischen Wissen. Viele, die zum Beispiel bei „Hart aber fair“ gestern Abend geklatscht und gejohlt haben, wenn es gegen die AfD ging /1/, werden zum Beispiel den Unterschied zwischen der Waffen-SS, Eliteverbänden auf den Schlachtfeldern neben der Wehrmacht, und der Totenkopf-SS, Wachkommandos der Konzentrationslager, gar nicht kennen.

Und selbst bei diesen gab es Einzelne, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten, ohne ihr eigenes Leben zu gefährden, menschlich blieben. Wäre es da besser gewesen, sich an die Front zu melden und den ganz Brutalen das Feld zu überlassen?

Ich erinnere mich an eine Geschichte aus einem DDR-Lesebuch, die von einem traurigen Deutschen Schäferhund handelte, den die SS-Wachmannschaften einfach nicht „scharf“ kriegten. Er blieb lieb und familiär und war doch ein „Deutscher Schäferhund“. Er musste schließlich ausgemustert werden.

Auch 1957 erklärte Helmut Schmidt auf einer Großveranstaltung des HIAG [Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Waffen SS], er »habe selbst den Krieg im Osten als Oberleutnant in einer Heeresdivision mitgemacht«, und er müsse »ihnen, meinen Kameraden von der Waffen-SS«, ja nun nicht erklären, »wenn wir damals in Russland wussten, rechts oder links von uns, oder vor uns, liegt eine Division der Waffen-SS, dann konnten wir ruhig schlafen.« Von einem empörten Sozialdemokraten mit dieser fürchterlichen Aussage konfrontiert, notierte Helmut Schmidt 1965: »Nach wie vor meine Meinung«.

1965 hatte der Bundestag es abgelehnt, Ansprüche der SS-Angehörigen auf sogenannte »Gleichbehandlung« mit den Angehörigen der Wehrmacht anzuerkennen. Helmut Schmidt passte das gar nicht. Er schrieb in einem Brief an seine ehemaligen »Kameraden« von der SS, der auf dem Jahrestreffen der HIAG verlesen wurde, er werde auch bei seiner »zukünftigen Arbeit im Bundestag versuchen, für gleichmäßige Gerechtigkeit zu Gunsten aller ehemaligen Soldaten zu wirken«.

Nun war Schmidt nicht der einzige, der lange vor Bitburg 1985 die Mitglieder der Waffen-SS als sogenannte »normale« einfache Soldaten ansah, obwohl die SS in den Nürnberger Prozessen zur »verbrecherischen Organisation« erklärt wurde. Auch CDU-Kanzler Konrad Adenauer hofierte den Mitgliedern dieser »verbrecherischen Organisation.« Erst 30 Jahre später, 1981, beschloss die SPD, dass HIAG-Angehörige nicht Mitglied der SPD sein können. [Aus der „Jüdischen Allgemeinen“ vom 23.12.2018]

Ehrenerklärung von Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer vor dem Deutschen Bundestag am 3. Dezember 1952, für die deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg:

„Ich möchte heute vor diesem Hohen Hause im Namen der Bundesregierung erklären, dass wir alle Waffenträger unseres Volkes, die im Namen der hohen soldatischen Überlieferung ehrenhaft zu Lande, auf dem Wasser und in der Luft gekämpft haben, anerkennen. (Beifall bei den Regierungsparteien.).

Es muss unsere gemeinsame Aufgabe sein, und ich bin sicher, wir werden sie lösen, die sittlichen Werte des deutschen Soldatentums mit der Demokratie zu verschmelzen. Der kommende deutsche Soldat wird nur dann seiner deutschen und europäischen Aufgabe gerecht werden, wenn er von den Grundprinzipien erfüllt ist, auf denen die Ordnung unseres Staates ruht. (Beifall bei den Regierungsparteien.). Diese Ordnung sichert zugleich die ethischen Werte des Soldaten vor erneutem Missbrauch.“

Nach dieser Erklärung war aus den Kreisen der ehemaligen Waffen-SS an den Bundeskanzler die Frage gestellt worden, ob er auch die Angehörigen der Waffen-SS einbeziehe. Der Bundeskanzler hat dem Sprecher der Angehörigen der Waffen-SS, Oberst Gruppenführer (Generaloberst) a. D. Hausser, am 17. Dezember 1952 eine klare Antwort gegeben, diese hier nachfolgend ebenfalls im Wortlaut:

„Sehr geehrter Herr Generaloberst! Einer Anregung nachkommend, teile ich mit, dass die von mir in meiner Rede vom 3. Dezember 1952 vor dem Deutschen Bundestag abgegebene Ehrenerklärung für die Soldaten der früheren deutschen Wehrmacht auch die Angehörigen der Waffen-SS umfasst, soweit sie ausschließlich als Soldaten ehrenvoll für Deutschland gekämpft haben.

Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung bin ich Ihr
gez. Adenauer“

Wenn Maximilian Krah ein Nazi ist wegen seiner Aussagen im Interview, dann sind es die „großen Europäer“ und Bundeskanzler Konrad Adenauer, Helmut Schmidt und Helmut Kohl allemal auch – letzterer weigerte sich 1985 in Bitburg, SS-Angehörige von seinem Gedenken an die Kriegsgefallenen auszuschließen. (Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger war sowieso ein „Nazi“, er war Mitglied der NSDAP.)

Als Dwight D. Eisenhower, damaliger Nato-Oberbefehlshaber und späterer US-Präsident, am 23. Januar 1951 erklärt, dass der deutsche Soldat tapfer für seine Heimat gekämpft habe, sind viele sprachlos über den scheinbaren Sinneswandel. Knapp ein Jahr später zieht auch Bundeskanzler Konrad Adenauer mit seiner sogenannten Ehrenerklärung [siehe darüber] nach.

Ihnen voraus lag eine Tagung von 15 hohen und höchsten Offizieren der ehemaligen Wehrmacht im Oktober 1950 im Kloster Himmerod. Im Auftrag von Bundeskanzler Adenauer sollen sie Voraussetzungen einer Wiederbewaffnung der jungen Bundesrepublik Deutschland erarbeiten. Heraus kommt eine Denkschrift „über die Aufstellung eines deutschen Kontingents im Rahmen einer übernationalen Streitmacht zur Verteidigung Westeuropas“ – politischer Sprengstoff, über den sich die Offiziere bewusst sind.

Die Aufforderung zur Wiederbewaffnung Deutschlands kommt von den USA und anderen Mitgliedern der 1949 geschaffenen Nato. Denn: Die westliche Verteidigungsgemeinschaft rüstet im Kalten Krieg auf. Gerade erst hat der Krieg auf der koreanischen Halbinsel begonnen und der westlichen Welt gezeigt, dass die Sowjetunion es darauf anlegen wird, ihren Einfluss auch mit militärischen Mitteln auszuweiten.

Die Bundesrepublik soll daher in die Nato integriert werden, um als „Frontstaat“ in unmittelbarer Nachbarschaft zur sozialistischen Staatengemeinschaft militärische Attacken abwehren zu können. Als der Bundeskanzler also die Offiziere der ehemaligen Wehrmacht versammeln lässt, um eine Wiederbewaffnung Deutschlands zu verschriftlichen, stellen sie ihren Überlegungen voran, dass die „Diffamierung“ von Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS [Hervorhebung: Karl] eingestellt, als Kriegsverbrecher verurteilte Soldaten freigelassen, schwebende Verfahren gestoppt und eine „Ehrenerklärung für den deutschen Soldaten“ abgegeben werden müsse.

Nach den jeweiligen sogenannten Ehrenerklärungen von Eisenhower und Adenauer werden sieben der 15 Offiziere in die Bundeswehr aufgenommen, wo sie teilweise Generalsrang erreichten.

Das ist ja ein Skandal! Nicht nur die deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer, Helmut Schmidt und Helmut Kohl haben die SS „verharmlost“, sondern auch der amerikanische Präsident Eisenhower tat das.   

Bei „Hart aber fair“ gestern Abend verwies der AfD-Vertreter Leif-Erik Holm auf diese Aussagen deutscher Bundeskanzler. Er wurde überquatscht, und ich wette, dass das im Faktencheck nicht klargestellt wird.

Die Schubladerei betrifft auch die Nationen. Die Deutschen sind von vornherein die „Bösen“ und die „Schlimmsten“. Und so waschen sich rechte und „faschistische“ Kräfte aus anderen europäischen Ländern mit Hilfe der guten deutschen Menschen am deutschen Schmuddelkind und Sündenbock rein.

Marie Le Pen empört sich zum Beispiel darüber, dass die AfD für die „Remigration“ unberechtigt nach Deutschland eingewanderter Wirtschaftsflüchtlinge sorgen will, auch bei solchen, die sich mit falschen Angaben die deutsche Staatsbürgerschaft erschlichen haben, meistens als Doppelstaatler. Das ist eine besonders aufregende Höllen-Schublade:

Remigration. Dabei ist das eines der selbstverständlichen Rechte funktionierender Staatlichkeit und bestimmt wird Frau Le Pen auch die Flüchtlinge aus Frankreich rückführen wollen, wenn sie sich unberechtigt dort aufhalten.

Das wird nach allem, was ich von der französischen Mentalität kenne, nicht so zimperlich erfolgen, wie es deutsche Art ist.

Wehe für die politische Klasse in Deutschland von den Linken bis zur CDU, wenn der deutsche Bürger merkt, was für einen Nazi-Bären sie ihm bezüglich der AfD aufbinden. Höcke zum Beispiel würde Naziparolen skandieren. Er hat vor Sachsen-Anhaltinern gesagt:

„Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland!“

„Deutschland – du mieses Stück Scheiße“, darf man in Deutschland problemlos öffentlich sagen und auf großen Plakaten vorzeigen, hinter denen dann all die guten deutschen Antifaschisten von den Linken bis zur CDU hinterherlaufen. Aber wehe, man verlautbart über seine eigene Nation etwas Gutes, was vorher schon einmal Nazis so sagten.

Das wird schwierig, denn auch die Nazis wollten sich ja gern als Patrioten darstellen, was sie nicht waren, sondern Rassenfanatiker, und sie sprachen – Obacht, Obacht, sehr verdächtig – auch Deutsch, genauso, wie es die AfD-Politiker heute tun.

Für „Alles für Deutschland“ ist Björn Höcke von einem deutschen Gericht zu einer hohen Geldstrafe verurteilt worden, und er gilt als vorbestraft, weil die SA „Alles für Deutschland!“ bereits vor 80 Jahren als ihre Parole für sich vereinnahmte. Die SA wurde von Hitler schon 1934, bald nach der Machtergeifung der NSDAP zu Gunsten der SS marginalisiert, große Teile ihrer Führung ließ er ermorden, war an der Ermordung von SA-Chef Ernst Röhm sogar persönlich beteiligt.

Björn Höcke hatte die für einen deutschen Patrioten selbstverständliche Aussage „Alles für Deutschland“ in einen ganz anderen Zusammenhang gestellt. Und „Alles für das deutsche Vaterland!“ hätte er auch rufen können, weil das nicht der genaue SA-Wortlaut ist.

Wir werden viele Kommissionen bilden müssen mit vielen hochbezahlten Experten (Deutschland hat ja genug Geld), die überprüfen, ob in der deutschen Öffentlichkeit ja nicht Formulierungen benutzt werden, die Hitler, Goebbels oder Himmler und Göring schon einmal gebraucht hatten (die sträfliche Unterlassung des Genderns könnte diese Sprachpolizei dann gleich mitahnden). Da gibt es viel zu tun. Ich glaube, Hitler hat zum Beispiel schon mal gesagt: „Aber wiederum nun…“

Jetzt verstehe ich endlich, warum in Deutschland immer mehr Englisch und immer weniger Deutsch geredet wird.

 

Fußnote

/1/ Wenn es wäre wie in der DDR, dann wären die Guten und politisch bewussten Gäste der Show gleich alle im FDJ-Hemd erschienen, so wie damals im Palast der Republik, als Udo Lindenberg das erste Mal in der DDR auftrat.

 

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