Wenn einer eine Reise tut, die ihn beeindruckt,…

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Wir waren in Karlsbad, einer Stadt nahe am Erzgebirge, 35 km südlich von Johanngeorgenstadt, im Nordwesten der Tschechischen Republik liegend.

Böhmen mit der Stadt Karlsbad gehörte (wie Mähren) bis 1918 zur österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie. Die Stadt war 100prozentig deutschsprachig, was wir nicht nur aus dem Internet wissen, sondern uns auch während unseres Aufenthaltes von mehreren kundigen alten Karlsbadenern versichert wurde. Nach 1918 wurde Karlsbad nach dem Ende des 1. Weltkrieges von einem Tag auf den anderen Teil der neu gegründeten Tschechischen Republik und die Bürger der alten Doppelmonarchie, die früher nie gedacht hatten, einmal Tschechisch zu brauchen, waren plötzlich damit konfrontiert.

Der „demokratische Westen“ missachtete die Ergebnisse von Volksabstimmungen, nach denen die Sudetendeutschen, ehemals Böhmen und Mähren, entsprechend ihrer Sprache und Kultur zu Deutschland und nicht zu Tschechien gehören wollten. „Der Westen“ hatte schon immer versucht, das Deutsch(sprachig)e klein zu halten. Dieses Bemühen wurde stärker, als das 1871 gegründete Deutsche Reich immer schneller Großbritannien bezüglich seiner Wirtschaftskraft zu überholen begann. Das konnte nicht angehen. Die Vormachtstellung der englischen Kultur und Sprache war ernsthaft gefährdet. Das war auch einer der Gründe, warum es zum 1. Weltkrieg kam.

Immerhin blieb im Sudetengebebiet Deutsch mit Tschechisch bis 1945 eine der beiden Amtssprachen. Ab 1945 wurden die Bürger der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie aus Böhmen und Mähren vertrieben. Deutsch war jetzt geächtet. Wenn es nach dem Willen der europäischen Eliten geht, wird das ehemalige Sudetenland wieder zweisprachig, diesmal Tschechisch und Englisch. Besonders bemühen sich die Sprecher der Sprache darum, die in Mittel- und Osteuropa als einzige die Chance gehabt hätte, der Dominanz der anglo-amerikanischen Monokultur in Europa etwas entgegenzusetzen. Das wollen sie nicht. Sie arbeiten besonders eifrig daran, sich sprachlich-kulturell selbst abzuschaffen. Wir haben es gerade bei unserem Karlsbad-Aufenthalt erlebt: Die meisten jüngeren Deutschen reden mit Tschechen prinzipiell Englisch, auch wenn diese gerade vorher im Gespräch mit anderen, zum Beispiel mit uns, bewiesen hatten, dass sie gut Deutsch können.

Junge Tschechen wiederum, die Nachfolger und Erben einer jahrhundertealten Geschichte deutscher Sprache und Kultur in Karlsbad, guckten uns verwundert wie Aliens an, als wir sie in der Sprache ihrer kulturellen Vorfahren, auf Deutsch, ansprachen. So wenig waren sie es gewöhnt, dass dies ein Deutscher tun könnte. Karlsbad ist nur wenige Kilometer von Deutschland entfernt, das Land mit der mit Abstand größten Bevölkerung in der EU, das diese zugleich, auch zum Vorteil der Tschechen, am Laufen hält, und auch Österreich ist nicht weit. Und trotzdem erscheint es den jungen Tschechen als eine Zumutung, Deutsch zu lernen, nach meiner Überzeugung aus einem einfachen Grund: Die Deutschen selbst schämen sich ihrer Sprache, versuchen, sie zu vermeiden, wann immer es geht.

In unserem Hotel wurden wir vorwurfsvoll gefragt, ob wir denn nicht Russisch oder Englisch könnten. Das Streber-Gen in mir wollte mich verführen, Englisch zu reden. Wir sind konsequent bei Deutsch geblieben und siehe da, fast alle der älteren Tschechen konnten es zumindest ansatzweise. Einmal war mir das Handtuch aus dem Fenster gefallen. Ich befürchtete, dass an der Rezeption wieder der junge Tscheche saß, der völlig verwundert war, dass in seinem Hotel, in dem die meisten Gäste deutscher Herkunft waren, sich jemand tatsächlich dieser „reaktionären“ Sprache bedienen können wollte.

Also legte ich mir meinen Hinweis zum heruntergefallenen Handtuch auf Englisch zurecht, auch damit er wusste, wo er es suchen lassen könnte. Dann war aber doch auch die nette ältere Tschechin da, die ein charmantes, sympathisches böhmisches Deutsch sprach, irgendwie weich und abgerundet. (Sonst sind wir doch immer für Diversität und wollen verhindern, dass die Ausdrucksweisen von Minderheiten verschwinden. Wenn es um die Abschaffung des Deutschen geht, einschließlich seiner böhmischen und mährischen Varianten, sind die „guten Deutschen“ da allerdings erbarmungslos konsequent.) Ich musste dann richtig gegen meinen Vorzeigetrieb (Guckt mal, was ich kann! Ich kann Englisch!) ankämpfen, beinahe hätte auch ich die nette Tschechin auf Englisch angeredet und ihr so die Möglichkeit genommen, ihr charmantes, böhmisches Deutsch zu präsentieren. (Wer selber etwas präsentieren will, nimmt oft anderen die Möglichkeit, das zu tun.)

Kommen wir zu etwas Angenehmeren: Nicht nur das böhmische Deutsch ist schön, sondern auch die Landschaft in Karlsbad ist es und besonders seine Gebäude aus der österreichisch-ungarischen Zeit sind es.

Schauen Sie nur!

Das ist die alte Sparkasse. Die diesbezügliche Inschrift ist über der Uhr zu erkennen.

 

Die Oper

 

Das neu rekonstruierte „Kaiser Bad“, siehe die goldene Inschrift oben unter dem Sims.

 

Eine Seitenansicht des Kaiserbades. Mir gefällt besonders der ockerbraune Marmor, oben rechts und links. Das „Bad Nr. 1“ liegt ganz in der Nähe vom Grandhotel Pupp.

 

Diese Inschrift, wieder mit der imposanten Farbe des Marmors, befindet sich außen in der kleinen Säulenhalle beim Vordereingang.

 

   

Fenster im Kaiserbad von innen

 

Imposante Häuser an der Magistrale entlang der Eger, einem Nebenfluss der Elbe.

 

Bitte die Inschrift „Drei Schwalben“ links unten und die schön geformten Vasen auf der Balkonbrüstung beachten

 

Wieder ein Höhepunkt – in Deutschland alternativ nicht „Glanzlicht“ oder „Lichtblick“ genannt, sondern wegen dem Mangel an zur Verfügung stehenden deutschen Worten: „Highlight“ – der Hörigkeit vor der anglo-amerikanischen Kultur und Sprache. Goethe, der insgesamt 13 Mal in Karlsbad war, hat bestimmt nicht im „Beer House“ gezecht. In Anbetracht der Tatsache, dass sich nach den Deutschsprachigen weit mehr Russischsprachige in Karlsbad aufhalten als Englischsprachige, schlage ich „Goethes Pivo Dom“ vor. Das macht die Neu-Deutschen vielleicht nicht ganz so froh wie „Beer House“, aber Hauptsache nicht auf Deutsch, in der Sprache, die in Karlsbad gesprochen wurde, als Goethe dort weilte.

 

    

Dieses Haus ist zwar nicht besonders schön, aber der Name über dem Laden ist interessant. Solche Läden hießen in Deutschland vor 20, 30 Jahren noch „Aus zweiter Hand“, inzwischen längst „Second-Hand-Shop“. „Privatsachen“ könnte man also auch sagen, wenn man die eigene Sprache wertschätzen würde, wenn es angesagt wäre, sich zur Bezeichnung von Neuigkeiten zuerst um Kreativität bezüglich der eigenen Sprache zu bemühen. Aber wo kämen wir denn da hin? Vielleicht und womöglich sogar zu nationalem Selbstbewusstsein?!

Und ein gelassenes, weil gesättigtes Selbst-Bewusstsein – das weiß jeder, der sich intensiv und bewusst mit Menschen oder auch Säugetieren beschäftigt – ist die Voraussetzung, um den Anderen als Partner, vielleicht sogar als Freund, gelten lassen zu können und ihn nicht als Feind attackieren zu müssen. Demokratie geht nicht ohne ein Bewusstsein des Selbst als Individuum und als Mitglied von Gemeinschaften, einschließlich der nationalen. Das wissen so ziemlich alle auf der Welt außer den Deutschen.

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