„Scheiß-Demokratie!“

Sie hören richtig. Der Ausruf rutscht mir in letzter Zeit öfter mal raus, und zwar zu ganz unterschiedlichen Anlässen. Dabei haben wir uns als gelernte DDR-Bürger doch so sehr nach Demokratie gesehnt, auch wenn wir was Ähnliches dem Namen nach schon hatten.  Unsere Staatsform nannte sich „demokratischer Zentralismus“, was ein Widerspruch in sich ist.

Allgemein werden  mit dem Begriff „Demokratie“ heute Herrschaftsformen, politische Ordnungen und politische Systeme beschrieben, in denen Macht und Regierung vom „Volk“ ausgehen. (Genau genommen war in vergangenen Zeiten mit „Volk“ eine Minderheit gemeint, denn weder die Sklaven noch die Frauen wurden mitgezählt.) Die DDR nahm für sich in Anspruch, erstmals tatsächlich nach dem Willen des Volkes zu handeln,  denn im Gegensatz zu westlichen Demokratien sei mit der Diktatur des Proletariats die Herrschaft der Mehrheit  über die anderen Klassen und Schichten realisiert worden. Soweit die Theorie. Sie hatte allerdings einen entscheidenden Haken, indem behauptet wurde, der Arbeiter- und Bauernstaat habe seine besten Köpfe in eine Einheitspartei entsandt, die „im Namen des Volkes“ als Führungselite tätig sei. Es gehe also um eine demokratisch legitimierte und zentral gesteuerte Machtausübung. In der Realität funktionierte zwar die zentrale Steuerung, aber die praktische Entfaltung der Demokratie krankte zunehmend an strukturellen, ideologischen und personellen Schwachstellen, die eine echte demokratische Teilhabe der Mehrheit an der Macht verhinderten. Als DDR-Bürger durfte man also ein bisschen Demokratie spielen, aber wann Schluss mit lustig war, bestimmte die Führung. Das konnte man bestenfalls eine „Schein- oder Als-ob-Demokratie“ nennen. Dem Westen wären diese Begriffe vermutlich viel zu milde vorgekommen, er verpasste der DDR gleich  den Titel „Unrechtsstaat“, um den Kontrast zu einem „Rechtsstaat“, wie ihn die BRD repräsentiere, unmissverständlich zu betonen. Ich selbst finde die DDR bis heute mit der ins Extreme zugespitzten Bezeichnung „Unrechtsstaat“ nicht angemessen beschrieben, bestenfalls kann ich mit der Erklärung  leben, es habe sich um einen  Staat gehandelt, dessen  widersprüchliches, teils falsches  Demokratieverständnis einerseits  zu unverzeihlichem Unrecht führte, insbesondere in Lebensbereichen mit ideologisch bedingten Vorschriften, das andererseits aber auch dafür verantwortlich war, in anderen Lebensbereichen ein erfreuliches Maß  an Gerechtigkeit walten zu lassen, etwa beim Recht auf Wohnen, Bildung und Arbeit. Gerade diese Art von Gerechtigkeit ließ aber in der BRD zu wünschen übrig.

Nein, weder geschah im „Unrechtsstaat DDR“ ausnahmslos Unrecht, noch triumphierte im „Rechtsstaat BRD“  ausnahmslos und ohne Ansehen der Person das Recht.  Insofern gab es gute Gründe, nicht nur die DDR mit dem Begriff  „Als-ob-Demokratie“ zu  belegen. „Scheiß-Demokratie“ fluchte ich übrigens erst, nachdem der Anschluss der DDR an die BRD erfolgt war. Sie mögen das, wenn Sie in Westdeutschland geboren und aufgewachsen sind, undankbar nennen oder als Resultat einer sozialistisch gefärbten Denkbremse ansehen. Unsereins aber springen die Ähnlichkeiten zwischen beiden Systemen ins Auge. Lässt man die  Bürger des sogenannten Wertewestens nicht tatsächlich auch im Als-ob-Modus der Demokratie  agieren und ihre Kräfte verschleißen? Nur die Rollenverteilung, wer im Goetheschen  Sinne „Amboss“ und wer „Hammer“ sein darf ¹, hat sich verändert.  Denn unter denen, die sich als Amboss den Schlägen der Hämmer nicht entziehen können, sind jetzt auch viele demokratisch legitimierte Repräsentanten des Staates. Mit anderen Worten: In unserer repräsentativen Demokratie geht die Macht letztlich weder vom Volke aus, noch von seinen gewählten Vertretern, es sei denn, deren Beschlüsse passen den tatsächlichen Machthabern gerade in den Kram. Gemeint sind jene mächtigen, international vernetzten  Entscheider, die sich längst der demokratischen Kontrolle entzogen haben und nach ihren eigenen Regeln spielen: Konzernbosse, Bänker, Superreiche, Lobbyisten…  Da kann man dann angesichts einer an vielen Stellen ausgehebelten und ausgehöhlten Demokratie nur noch fluchen: „Scheiß-Demokratie!“

Sicher ist es sinnvoll, über andere Formen der Demokratie nachzudenken, etwa über eine „Basisdemokratie“, die als „direkte Demokratie“ eine Willensbildung k0nsequent „von unten nach oben“ und unter Verzicht auf hierarchische Strukturen anstrebt.  Gute Idee, wenn einem da  nicht, vor allem in letzter Zeit, Zweifel an der Urteilskraft des Volkes kommen würden und an der Funktionstüchtigkeit seiner Schwarmintelligenz.  Schließlich  war den Mächtigen in der Vergangenheit nicht wirklich an einer Volksbildung gelegen, die auf kritische Reflexion und umfassenden Kompetenzerwerb aus war. Und der Staat geht noch immer lieber auf Nummer sicher, indem er ausgewählten Lernstoff in überschaubaren Dosen  per Nürnberger Trichter verabreichen lässt und ansonsten auf „das alte Entsagungslied“ setzt, auf „das Eiapopeia vom Himmel“, wie Heinrich Heine es ausdrückt, „womit man einlullt, wenn es greint, das Volk, den großen Lümmel.“ Das heutige Eiapopeia wird vielleicht eher von einer vielfältigen Zerstreuungsindustrie bedient, aber der Effekt ist vergleichbar. Zur Zerstreuung kommt die Vereinzelung, die mit dem zynischen  Satz beschrieben werden kann: Wenn jeder an sich selber denkt, ist schließlich auch an alle gedacht. Nur der Demokratie droht ein Schattendasein.                        „Scheiß-Demokratie!“

Aber gibt es nicht, als hoffnungsvolles Gegengewicht, auch Lichtblicke? Die gibt es, zum Beispiel mit mancher weitsichtigen Bürgerbewegung,  mit menschenfreundlichen Aktivitäten aus der Mitte der Gesellschaft. Ich schätze die Basisarbeit der Kirchengemeinde von Nebenan, bekomme über meine Enkel mit, was Sportvereine leisten, genieße im nächstgelegenen Dorf das Osterfeuer der Freiwilligen Feuerwehr, die für ein fröhliches Gemeinschaftsgefühl sorgt. Auch manche Gewerkschafts- und Parteigruppe vor Ort legt Wert auf einen freundschaftlichen Umgang miteinander ohne hierarchische Attitüde. Am schwersten scheint sich damit in letzter Zeit die Linkspartei zu tun, was mit Blick auf das Thema Frieden besonders tragisch ist. Denn gerade die Linken haben als ihr Markenzeichen lange Zeit eine konsequente Friedenspolitik geltend gemacht. Beim Ukrainekrieg erweist sich nun, dass eine schlichte Einteilung der Akteure in Helden und Schurken angesichts der vielen unterschiedlichen Aspekte  –  historische Zusammenhänge, Bündnispartner, Schuldfrage usw.  – der Sache nicht gerecht wird. Aber die Linke, deren Mitglieder, zumindest  viele ältere unter ihnen, sich noch immer nicht von der Überzeugung lösen können: „Die Partei, die Partei, die hat immer recht…“, ist nun mit dem Problem konfrontiert, dass es auch in ihren Reihen unterschiedliche Deutungen der Weltlage gibt, die alle den Anspruch auf Wahrheit erheben. Und sie reagiert auf diese Situation mit unerbittlicher Ächtung der jeweils anderen Meinung und ihrer Vertreter. Sie legt damit für Beobachter die Schlussfolgerung nahe, (noch immer) nicht demokratiefähig zu sein. So mancher Betonkopf wird insgeheim fluchen: „Scheiß-Demokratie!“.

Ich vermute, dass auch die vielen Ehrenamtler zu diesem Fluch greifen, allerdings mit einer ganz anderen Begründung. Verständlich wäre es allemal, entsorgt doch der Staat immer häufiger nützliche und  dringend notwendige Tätigkeiten, die der Daseinsvorsorge dienen, in die Ehrenamtlichkeit. Betroffen sind im Prinzip alle für das gesellschaftliche Zusammenleben unverzichtbaren Leistungen,  die nicht durch das Nadelöhr privatkapitalistischen Interesses  passen. Mit anderen Worten: Betroffen sind alle Tätigkeiten, die aus neoliberaler Sicht gerade nicht zu der Sorte von  Leistung gehören, auf die der Spruch zutrifft: „Leistung muss sich wieder lohnen.“ Schön wär’s ja, wenn die Entlohnung einer Leistung ihren Wert für die Allgemeinheit widerspiegeln würde, quasi ein Indikator für die Qualität der Demokratie wäre. Aber davon kann in unserem Land nicht die Rede sein. So werde ich wohl auch in Zukunft öfter mal fluchen: „Scheiß-Demokratie!“

¹ Du musst steigen oder sinken,

Du musst herrschen und gewinnen

oder dienen und verlieren,

leiden oder triumphieren,

Amboss oder Hammer sein.

7 Kommentare zu “„Scheiß-Demokratie!“”

  1. Karl sagt:

    Demokratie ist ganz einfach: Die Mehrheit bestimmt, und man muss ihr zutrauen, dass sie das kann. Der sowjetische, ukrainisch-russische Pädagoge Anton Semjonowitsch Makarenko hat im Kleinen vorgemacht, wie das geht.

    In einer Familie mit – sagen wir – zwei Kindern kann nicht von vornherein die Mehrheit bestimmen. Dann gäbe es schnell ein Patt. Erst müssen die Kinder erzogen worden sein, die Fähigkeit, auf andere Rücksicht zu nehmen, muss eingeübt worden sein. Das geht am besten mit Umgangsformen. Und dann muss die unselige Verbindung zwischen Spaß bzw. Lust und Handlung entkoppelt werden: du machst etwas nicht nur so lange, wie du Lust darauf hast, sondern so lange, bis du fertig bist, zumindest in einem abgeschlossenen Teilschritt „für heute“.

    Dazu braucht es zunächst eine „Diktatur“ der Erziehenden, geduldig, ruhig und freundlich, aber auch entschlossen und konsequent, meint Makarenko. Das gilt sowohl in der Familie wie auch in der Schule. Da entsteht eine Missbrauchsgefahr. Der kann begegnet werden, indem ein kollegiales Zusammenarbeiten aller Erziehenden und Lehrenden angestrebt wird. Das entlastet einerseits die einzelne Mutter, den einzelnen Vater oder Lehrer, weil Erziehung viel leichter ist, wenn die Kinder spüren, dass das, was die für sie verantwortlichen Erwachsenen verlangen, von allen Erziehenden so erwartet wird, wenn auch in Stil und Art unterschiedlich, in den unterschiedlichen persönlichen „Farben“ sozusagen.

    Darüber müssen sich die erziehenden Erwachsenen untereinander verständigen und dabei würden sie merken, wenn einzelne sich permanent ausklinken. Dann muss genauer hingeschaut werden und dabei würden – zweitens – gefährliche Missbräuche der Erziehungsmacht auffallen.

    So erzogene Kinder und Jugendliche wurden in Makarenkos Kommunen „Kommunarden“ genannt, die anderen, die noch nicht nachgewiesen hatten, dass sie rücksichtsvoll und leistungsorientiert (nicht spaßorientiert, wenn auch nicht immer und überall, so doch auf wichtigen Gebieten) sein konnten, blieben vorläufig „Zöglinge“. Sie hatten nichts zu bestimmen, sondern mussten ihren verantwortlichen Leitern, Lehrern und beauftragten Mitschülern, gehorchen.

    Die „Kommunarden“ hatten im Gegensatz dazu das volle Stimmrecht in der Vollversammlung; ihre Stimme wog genauso viel wie die der Pädagogen. Der „Chef vom Dienst“, der immer für einen Tag die Kommune leitete, konnte sowohl ein Pädagoge, als auch ein Kommunarde sein, also zum Beispiel auch schon ein 13-Jähriger. Er hatte das absolute Weisungsrecht. Er durfte auf etwas hingewiesen werden – von allen: Zöglingen, Kommunarden, Pädagogen -, was er womöglich bei seiner Anordnung übersehen hatte. Wenn er sie aber wiederholte und sie nicht ganz offensichtlich den Grundsätzen der Menschlichkeit bzw. Logik widersprach, hatte sie dann ohne weitere Diskussion ausgeführt zu werden.

    Allerdings stand es jedem frei, sie in der Vollversammlung zu kritisieren. Wehe, diese Kritik war nicht begründet. Denn wenig war in der Kommune mehr verpönt als sinnlose Labereien, manchmal dauerten die Vollversammlungen nur 10 Minuten. Und wehe, der Chef vom Dienst hatte tatsächlich seine Macht missbraucht. Dann schied er für diese Funktion für längere Zeit aus, musste Wiedergutmachung leisten und riskierte sogar seine Rückstufung zum „Zögling“, was mit einem hohen Ehrverlust verbunden war.

    Der „Rat der Kommandeure“ – Jugendliche, die von den Kommunarden als Gruppenleiter u.ä. gewählt wurden – schlug vor, wer seiner Meinung nach zum Kommunarden berufen werden sollte. Die Zöglinge konnten eine Empfehlung abgeben. Der Rat der Pädagogen und Makarenko persönlich mussten zustimmen. Wäre einem geeigneten Jugendlichen die Ernennung von den Pädagogen verweigert worden, hätte sich selbst Makarenko der harten Kritik in der Vollversammlung stellen müssen.

    Höflichkeit und gegenseitiger Respekt galten immer, das hinderte die Kommunarden aber keineswegs daran, Lehrer zu kritisieren. Und sie hätten auch Pädagogen überstimmen können. Lediglich Makarenko selbst hatte ein Vetorecht, ähnlich dem eines Staatspräsidenten. Da er seine Kommune und ihre Mitglieder „liebte“, hätte er niemals ein ungerechtfertigtes Veto eingelegt. Ich weiß nicht, wie oft er es getan hat (bestimmt ganz selten), nur, dass einmal sogar dieses Veto von den Kommunarden überstimmt wurde, als Makarenko noch einmal „Gnade vor Recht“ ergehen lassen und den Rauswurf eines Jugendlichen verhindern wollte. Dieser hatte zum 2. Mal seine Kameraden bestohlen.

    Die Kommunarden waren der Ansicht, dass es menschlicher ist, diesen einen rauszuschmeißen, als die gesamte Kommune zu gefährden. Makarenko musste sich beugen und er tat es. Das, was er praktiziert hatte, war echte Demokratie, sozusagen eine aus „Schrot und Korn“, keine geheuchelte Salondemokratie, wie sie heute meinen Eindrücken nach in unseren Schulen praktiziert wird. Und dann sieht es auch nicht viel besser aus bei dem, was hinterher kommt.

  2. Meta sagt:

    Lieber Karl,
    ach, da kommen mir doch gleich Erinnerungen an die Schulzeit hoch, wo wir ab dem 9. Schuljahr in die selbe Klasse gingen. Du warst schon damals ein leidenschaftlicher Verehrer des pädagogischen Großmeisters A. S. Makarenko und deine Begeisterung war so ansteckend, dass ich mir auch gleich einige Bücher von ihm in der Stadtbibliothek auslieh. Wenn ich mich recht erinnere, waren das seine Autobiografie „Flaggen auf den Türmen“ und das „Pädagogische Poem“ mit dem Titel „Der Weg ins Leben“, ein Tatsachenroman über die berühmte, von ihm gegründete Kolonie „Maxim Gorki“, eine Erziehungsanstalt für jugendliche Straftäter, oft obdachlose Waisen, aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Die Episoden über das Leben in der Kolonie zogen einen in ihren Bann, und zwar nicht nur wegen der Empathie, die Makarenko den Einzelschicksalen seiner Schutzbefohlenen entgegenbrachte, sondern auch wegen des ungewöhnlichen Konzeptes einer demokratischen Gemeinschaftserziehung. Bei dem zuweilen feierlich klingenden Text, dessen Ton dann an bedeutungsschwere Legenden erinnerte, kam man allerdings kaum auf die Idee, ihn als einen Beitrag zur Demokratietheorie zu lesen. Deshalb, lieber Karl, verstehe ich deinen Satz „Demokratie ist ganz einfach.“ auch nicht als rein sachliche Feststellung, sondern eher als Wunsch, als suggestiven Ausdruck der Hoffnung: Möge Demokratie doch so einfach sein, wie Makarenko sie beschrieben hat. Aber das ist sie nicht, schon weil der Rahmen, in dem er seine Erfolge erzielte, ein sehr spezieller war, zugeschnitten sozusagen auf einen Großversuch unter Laborbedingungen (ich weiß, der Vergleich hinkt, wie die meisten Vergleiche).
    Denn zumindest die folgenden Besonderheiten lassen sich nicht auf ein komplexes Gemeinwesen übertragen; für die Demokratisierung dieses Gemeinwesens wären sie sogar schädlich:
    1. ein Bedingungsgefüge des Zusammenlebens, das vorgegeben und auf eine überschaubare Zahl von Variablen reduziert ist,
    2. die kollektive Akzeptanz eingeschränkter Freiheiten,
    3. das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Lehrer und Zögling, das man zwar spielerisch und zu Trainingszwecken zeitweise aufheben, aber worauf man nicht wirklich verzichten kann,
    4. ein gewisser Guru-Status des Lehrmeisters.
    Mit alledem wird letztlich der Umgang auf Augenhöhe eher erschwert als eingeübt. Dieser Umgang ist aber eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren von Demokratie. Ich weiß nicht mehr genau, ab wann ich mich angesichts des ritualisierten Respekts vor meinem Dozentenstatus unbehaglich fühlte, jedenfalls lege ich mit zunehmendem Alter immer weniger Wert auf äußerliche Respektsbekundungen. Nichts ist doch jämmerlicher als die Frage an einen Gesprächspartner, der einem vielleicht nicht die erwartete Aufmerksamkeit entgegenbringt: „Wissen Sie eigentlich, wen Sie vor sich haben?“
    Das hat mir dann irgendwann auch bei Makarenko nicht mehr so ganz behagt: Die Lehrperson als eine Instanz, die sogar die Diskussion der eigenen Fehler dazu nutzt, ihre Souveränität zu demonstrieren. Ab wann ist man erwachsen genug, um ohne Eitelkeit und in Demut seinen Dienst an dem zu erziehenden Subjekt leisten zu können? Und wer erzieht eigentlich die Erzieher?

    1. Karl sagt:

      Ja, Du hast recht, liebe Meta, auf eine ganze Gesellschaft übertragen kann man das nicht so einfach, aber es gibt genug, wo das möglich und sinnvoll wäre. Nehmen wir die Unterscheidung zwischen „Kommunarde“ und „Zögling“.

      Wie wäre es, wenn wir in der Gesellschaft den „Rechtsanspruch“ auf die feierliche Beendigung der Kindheit in der Jugendweihe und Konfirmation abschaffen und erklären würden, dass er je nach charakterlicher Reife erfolgt, bei dem einen schon mit 13, bei einem anderen erst mit 17? Entscheiden darüber würden die Mitglieder der Großfamilie, denen diese Reife schon zuerkannt wurde.

      Plötzlich hätten die Jungen (Menschen) ein Motiv, sich für die anderen, auch weiter entfernten Mitglieder der Großfamilie zu interessieren und diese würden plötzlich wichtig, auch die alten, denn von dieser Ernennung würden viele weitere Rechte abhängen, zum Beispiel maßvoll Alkohol zu trinken und die Führerscheinprüfung abzulegen.

      Es geht dabei ausdrücklich nicht um eine intellektuelle Entwicklung, sondern um eine charakterliche, insbesondere hinsichtlich der Fähigkeiten, Rücksicht auf die Bedürfnisse der Mitmenschen nehmen zu können und erst Pflichten zu Ende zu erledigen, bevor der Spaß beginnt, der dann auch kommen soll, wobei, verrückterweise, für einen erzogenen Menschen im Erledigen der Pflicht selbst schon viel „Tiefenspaß“ steckt, zumindest stecken kann.

      Diese Gesellschaft will alle Probleme, die wir zunehmend mit Egoismus und Narzißmus haben, durch immer noch mehr Individualisierung lösen und durch das konsequente „Umstellen“ aller Problemmacher mit immer noch mehr Sozialpädagogen und Psychologen. Ein Teufelskreis! Makarenkos „Chef vom Dienst“-System könnte da helfen, das Jugendliche nicht ununterbrochen beraten und therapieren will, sondern ihnen Verantwortung übergibt, für die sie sich dann aber auch „verantworten“ müssen, streng und trotzdem menschlich.

      Das trägt viel mehr zur Persönlichkeitsentwicklung bei als zehn Therapien. Und die spielerischen Monente bei Makarenko, die Rituale und Umgangsformen – das könnte helfen und wie. Aber eine kranke Gesellschaft muss wohl glauben, dass sich alles um (psychische) Krankheiten und Behinderungen drehen muss, die dann jedesmal eine ganz spezielle individuelle Therapie brauchen. Bloß wer soll die Welt noch am Laufen halten, wenn sie immer mehr in diese Richtung abdriftet?

  3. Friedolin sagt:

    Liebe Meta, lieber Karl,

    Ihr habt in Eurer Diskussion mit vielem recht. „Demokratische Diktatur der Arbeiterklasse“ in der DDR oder die Demokratie als Rechtsstaat in der BRD scheitern beide daran, dass es immer nur um Durchsetzung von Interessen einiger Weniger geht.(eine Ideologie, Lust an Macht, Geld) In den letzten Jahren spielen die Medien eine immer größere und fragwürdigere Rolle. Mit Promotion und künstlicher Intelligenz lässt es sich immer besser manipulieren. Wer sitzt dahinter in den Schaltzentralen? Derjenige, der das alles bezahlen kann. Eine gespielte und manipulative Demokratie ist eine Scheiß Demokratie. Der Mensch ist nicht von Grund auf gut sondern er ist von Geburt an schlecht und sucht nur das Seine.

    Ich schlage Euch eine Monarchie vor. Ein guter Monarch, der das Gute für die Menschen sucht und gerecht und unbestechlich ist. Der ewig lebt. Die anderen Generationen sollen auch gut leben. Aber wo ist ein solcher Monarch. Ich glaube, nur Gott erfüllt diesen Anspruch. Wir sollten IHM folgen, an IHN glauben, von IHM lernen. Und wir können IHN bitten dass wir seine Leuchttürme des Friedens und der Liebe zu andern Menschen werden. Sein Wahlprogramm ist die Bibel.

    Euer Friedolin

  4. Marlen sagt:

    Ach Friedolin, dieser Aussage von dir bin ich nicht bereit zu folgen: „Der Mensch ist nicht von Grund auf gut, sondern er ist von Geburt an schlecht und sucht nur das Seine.“ Wenn du das erste Lebensjahr als Säugling meinst, gebe ich dir durchaus recht. Wie anders sollte so ein Würmchen überleben können? Aber dass es nur an sich denkt, um wachsen und gedeihen zu können, ist doch nichts Schlechtes.

    Und bereits im zweiten Lebensjahr beginnt ja dann auch schon die Erziehung zu einem kulturellen Wesen, was den Menschen bekanntlich von allen anderen Lebewesen unterscheidet. Durch unterschiedliche Kulturen und Erziehungsmethoden driften dann die Ergebnisse oft weit auseinander. Ein Richtig oder Falsch gibt es da sicher nicht, wer sollte das wohl beurteilen?

    Aber genau diese Verschiedenartigkeit macht letztendlich das Zusammenleben in einer Gemeinschaft, in einem Staat so kompliziert. Manchmal sind die Unterschiede unüberbrückbar und lassen sich nicht zusammenführen. Meiner Ansicht nach sollte man es dann auch nicht um jeden Preis tun, um keine Bewertung nach Gut und Böse vornehmen zu müssen. Und mit der Demokratie ist es ohnehin so eine Sache. Das, was jeder Einzelne will, wird von jedem Anderen verhindert. Was letztendlich herauskommt, ist etwas, was so keiner gewollt hat. Das ist der Lauf der Geschichte…

    Letztendlich glaube ich aus eigener Erfahrung nicht, dass man eine Bibel oder kirchlichen Beistand benötigt, um das Schlechte in sich zu besiegen und ein guter Mitmensch zu sein. Das kann m.E. auch eine gute Erziehung plus Lebenserfahrung leisten.

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