Wie verlogen ist das denn?

Da legen sie Blumen am Bahnhof für die ermordeten jungen Leute Ann-Marie und Danny nieder. Dabei sind das genau die Politiker, die seit Jahren eine konsequente Abschiebung von Serien-Gewalttätern verhindern, abgesehen davon, dass diese von Anfang an kein Recht hatten, sich in Deutschland aufzuhalten.

Frau Faeser (SPD), die deutsche Innenministerin, fragt betroffen: Wie konnte das bloß passieren? Nur ein, zwei Tage später verhindert sie bei der EU eine Vereinbarung über konsequente Abschiebungen. Schweden schlägt vor: Länder, die die Rücknahme ausgewiesener Straftäter verweigern, erhalten ihrerseits weniger Visa von den EU-Staaten. (Wieso nur weniger, wieso erhalten sie dann, abgesehen von wenigen Härtefall-Ausnahmen, überhaupt noch welche?)

Andere EU-Länder wollen die Entwicklungshilfe für rücknahmeunwillige Länder einfrieren. Das ganze Leben ist ein Geben und Nehmen, auch im direkten Sinne des Wortes. Deutschland sagt: Auf keinen Fall, wir legen lieber noch eine Blume mehr am Tatort ab.

Und der deutsche Wähler, was tut der? (Meta sprach, zugegeben: in einem anderen Zusammenhang, von Schafen.) Er wählt immer wieder die Parteien, die die politische Verantwortung dafür tragen, dass die Rechte von Serien-Gewalttätern in Deutschland weit über denen ihrer Opfer stehen. Sie werden nicht abgeschoben, weil ihnen in ihren Heimatländern Ungemach drohen könnte.

Ich persönlich springe ja auch nicht aus dem Fenster, weil ich weiß, dass es weh tut, wenn ich unten ankomme. Das Ungemach, das Abgeschobenen in ihren Heimatländern droht, lässt sich leicht vermeiden, indem sie hier eben nicht gewalttätig werden und das schon gar nicht mehrmals. Es ist für den westlichen Lebensstil insgesamt typisch, dass die Beziehung Verhalten – Folge weitgehend entkoppelt, zumindest gedämpft wird. (Ich war darauf bei „Was lässt sich bei ‚Autismus‘ machen? (1)“ schon eingegangen.)

Wie hilfreich diese Kopplung ist, zeigt sich im Straßenverkehr. In Anbetracht der ständig wachsenden Zahl der Kraftfahrzeuge passiert dort relativ wenig. Einmal weil die Strafe, Bußgeld, Punkte, Fahrverbot bzw. Führerscheinentzug, relativ zeitnah und konsequent folgt und vor allem, weil sie augenblicklich folgt, wenn jemand in seinem Auto nicht achtsam genug ist. Er könnte es beschädigen, das kostet viel Geld (mehr als bei einem Fahrrad) oder er könnte sich weh tun (das gilt wieder beim Fahrrad mehr, eine Delle am Körper scheint aber nicht so abschreckend zu sein wie ein Schaden an der Karosserie).

Eine Gesellschaft, die den Zusamnenhang zwischen Verhalten und seinen Folgen immer weiter dehnt und dämpft, wie das bei der Erziehung und dem Strafrecht in Deutschland der Fall ist, führt sich selbst ad absurdum. In diesem größeren Zusammenhang bitte ich auch das zu sehen, was ich hier zum Umgang mit gewalttätigen Flüchtlinge schreibe. (Vielleicht bin ich zu großzügig und ich sollte generell vom kriminellen Verhalten reden. Aber bei Gewalt hört für mich nun wirklich der Spaß auf.)

Zurück zum Ausgangsthema: Die verantwortlichen Politiker riskieren im Zweifelsfall lieber noch mehr Unschuldige, die in Deutschland erstochen werden. Das ist kein drohendes Ungemach, sondern vollzogener Mord. Trotzdem: Prinzipien zählen mehr als das Leben Unschuldiger. Langsam werde ich unsicher, vielleicht haben diese Politiker doch recht, denn sie werden ja in Deutschland immer wieder gewählt.

Manchmal wollen sie auch abschieben, aber das betreffende Land hat leider keinen Flughafen, wohin die Gewalttäter zurückgeschickt werden können. Ich verstehe das Problem nicht, dann wird eben ein Schiff gechartert. Das lohnt sich in Deutschland. Da kommen schnell genug zusammen. Aber wo kein Wille ist, ist auch kein Weg.

Es gibt inzwischen viele Schiffe im Mittelmeer, alle mit einem englischen Namen (das letzte, von dem ich hörte, heißt „Seewatch 6“), allein von daher sind es natürlich deutsche, u.a. finanziert von der Kirche, die dort Flüchtlinge retten. Dann könnte doch auch ein Schiff von diesen die der Flüchtlinge, die sich in Deutschland als Gewalttäter erwiesen haben, wieder zurückbringen. Das wäre doch auch ein Akt der Nächstenliebe, diesmal ausnahmsweise gegenüber den eigenen Landsleuten.

4 Kommentare zu “Wie verlogen ist das denn?”

  1. Meta sagt:

    Lieber Karl,
    du hast letztens deinen Respekt darüber ausgedrückt, dass ich es schaffe, „differenziert zu schreiben“ und nicht nur meinen „alten eigenen Ideenlinien“ nachzugehen. Das ist eine unverschämte Bemerkung gegenüber einer Freundin und Diskussionspartnerin, der du solches Herangehen schon immer in hohem Maße zugetraut hast – sonst hätten wir uns doch gar nicht zu diesem Web-Projekt zusammenfinden können. Gern würde ich dir im Gegenzug die gleiche Unverschämtheit zuteil werden lassen – kann es aber gerade nicht, denn beim Flüchtlingsthema bringst du weder die nötige Differenziertheit auf noch problematisierst du deine alten Ideen. Mich irritiert die Stammtisch-Rhetorik, mit der du deine Aussagen zuspitzt. Natürlich weißt du ganz genau, dass es keine Partei gibt, die „die Mörder ins Land holt“. 0der habe ich da was verpasst? Etwa den Aufruf der Einreise-Behörden: „Mörder bevorzugt“? Dann habe ich wohl die Gepflogenheit, überfüllte Flüchtlingsboote gnadenlos absaufen zu lassen, auch falsch interpretiert? Dann soll es bei dieser Maßnahme eigentlich darum gehen, die Unbescholtenen durch Ertrinken von unserem Land fernzuhalten? Und wenn für die tot an Land gespülten Kinder dann „eine Blume mehr am Tatort abgelegt“ wird, handelt es sich um eine verlogene Geste?
    Wie wäre es denn, solche Begriffe wie „Entwicklungshilfe“ und „konsequente Abschiebung von Serien-Gewalttätern“ mal zu hinterfragen? Ich biete an: Warum profitieren von der Art Entwicklungshilfe, die der reiche Westen betreibt, unterm Strich meistens vor allem die Geldgeber? Warum fristet das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ nur ein Nischendasein? Warum soll die konsequente Abschiebung nur für straffällig gewordene Flüchtlinge gelten und nicht auch für Einheimische?
    Was ich sagen will: Mit deiner Art der Darstellung der Zusammenhänge schürst du nur die Ressentiments und unterstützt die Neigung der Denkfaulen zu Pauschalurteilen. Willst du das wirklich?

  2. Karl sagt:

    Liebe Meta, gerade als du geantwortet hattest, habe ich meinen Text noch mal geändert. Jetzt ist von „Mördern, die ins Land geholt werden“ nicht mehr die Rede. Aber mein grundsätzliches Anliegen bleibt, genau, wie sicher auch deine Kritik daran.

    Deinen Vorschlag, auch die eigenen Staatsbürger auszuweisen, finde ich aber-witzig (immerhin steckt da „witzig“ mit drin). Eltern haben die Sorgepfllicht und das Erziehungsrecht nur für die Kinder, für die sie innerhalb ihrer Familie verantwortlich sind. (Es müssen nicht unbedingt die biologisch eigenen sein.) Sie tragen nicht die Verantwortung für alle Kinder im Haus oder der Straße. In einem Notfall werden sie sich auch um fremde Kinder kümmern, aber sie werden sie „abgeben“, sowie das möglich ist.

    Die eigenen Kinder kann man nicht abgeben, selbst wenn sie stressen, jedenfalls normalerweise nicht. Aber es stimmt, es nimmt zu, dass überforderte Eltern in Deutschland ihre (pubertierenden) Kinder abgeben: „Dann hau‘ doch ab in die WG!“ Das hängt damit zusammen, dass sie sie zu lange nicht erzogen haben, mit ihnen nicht das richtige Sozialverhalten eingeübt haben und – wie schon geschrieben – die Beziehung Verhalten – Folge entkoppelt hatten. Das liegt am Zeitgeist. Die „Experten“ liefern unentwegt Begründungen, warum sich Kinder nicht benehmen können können, entweder weil sie in der Vor-, Mittel oder Nachpubertät sind, Mädchen oder Jungen sind, ADHS oder Autismus haben.

    Alles Probleme, die vor zwei, drei Generationen unbekannt waren. Wahrscheinlich gab es sie deswegen auch bei weitem nicht in dem Ausmaß, wie das heute der Fall ist. Aber ich komme ab. Was ich sagen wollte, ist, dass der Staat ein ähnliches Verhältnis zu seinen Staatsbürgern hat wie die erziehungsberechtigten Eltern zu ihren Kindern. Rausschmeißen geht bei den eigenen nicht, so lange die Welt noch nicht ganz in Unordnung geraten ist.

    Über den „Stammtisch-Vorwurf“ amüsiere ich mich schon in meinem ganzen beruflichen Leben. Etwas ist doch nicht nur deshalb falsch, weil es auch die einfachen Leute am Stammtisch in der Kneipe sagen. Meine Oma zum Beispiel hat schon vor 50 Jahren gewusst, dass es Schwachsinn ist, leistungsunwillige Schüler bis zur 10. Klasse durchzuschleppen. „Lernen muss doch eine Ehre sein“, dann schmeißt die raus, die sich unwürdig benehmen und gebt ihnen eine neue Chance, wenn sie im Arbeitsleben gereift sind und es zu schätzen wissen, im warmen Klassenzimmer zu sitzen und mittags Schluss zu haben.

    Da hatte die Akademie der pädagogischen Wissenschaften noch daran geforscht, wie dieses schwerwiegende Problem zu lösen sei. Zig Doktorarbeiten wurden geschrieben. Hätten sie mal meine Oma gefragt oder auch andere einfache Leute, die um einen Tisch saßen.

  3. Meta sagt:

    Lieber Karl,
    ein Infekt, der nicht von Pappe war, hat mich einige Tage außer Gefecht gesetzt, aber nun klinke ich mich wieder ein, und zwar bei den Stichworten ‚Stammtischparolen‘ und ‚die einfachen Leute‘. Die Vorstellung von Otto und Ottilie Normalverbraucher, die das Herz auf dem rechten Fleck und ein untrügliches Bauchgefühl für Gut und Böse haben, halte ich für eine Legende. Und wie alle Legenden ist sie auf Verklärung und Überhöhung aus. Da gefällt mir Heinrich Heines Formulierung „das Volk, der große Lümmel“ schon besser. Wie auch immer, wenn man dem Instinkt der einfachen Leute so ohne weiteres trauen könnte – warum haben dann bei vielen schlimmen Abscheulichkeiten der Menschheitsgeschichte satte Mehrheiten mitgemacht?
    An den Stammtischen dieser Welt übrigens saßen und sitzen die Ottos, nicht die Ottilien. Die Ottos, die in der Welt nichts zu sagen haben, aber wenigstens in kleinem Kreis und mit ein bisschen Promille im Blut den Helden spielen und die Welt erklären zu können glauben. Die Ottilien haben andere Möglichkeiten, ihre Unverzichtbarkeit zu beweisen.

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