„So schreibt man das eben!“ Versuch einer Wurzelbehandlung bei Rechtschreibproblemen (2)

Wo waren wir stehen geblieben?

Bei der Frage, welche Konsonanten keinen eigenen Buchstaben abgekriegt haben. Zwei davon wurden schon erwähnt: sch und ch (als ich– oder ach-Laut), sie werden durch feste Buchstabenkombinationen wiedergegeben. Beim stimmlosen sch wird unter bestimmten Bedingungen, nämlich wenn ein p oder t folgt, das ch weggelassen, man schreibt also nicht schp bzw. scht, sondern sp bzw. st, ohne dass sich dies auf die Aussprache auswirkt (stur, Spur, stehlen, spannen). Aber das stimmlose sch hat auch noch ein stimmhaftes Pendant, das manchmal ebenfalls mit sch wiedergegeben wird (Dschungel, Dschunke), meistens aber mit g (wie in Genie oder Etage).

Der Buchstabe g ist mit zwei weiteren Funktionen gut ausgelastet: Er steht für das «normale» g (wie in gut oder Lager) und ist Teil der festen Buchstabenkombination ng, die einen von drei Nasalkonsonanten repräsentiert (z.B. in Zange, jung, klingen). Die anderen beiden Nasalen haben ihren eigenen Buchstaben, das m (z.B. Lama) und das n (z.B. Not).

Für die Unterscheidung zwischen stimmhaften und stimmlosen Konsonanten ist die Lateinschrift recht gut geeignet; es gibt b und p, d und t, g und k1. Nur das s ist als Single unterwegs, d.h. eine Differenzierung zwischen einem summenden s (wie in Susi) und einem zischenden s (wie in Maß) ist ursprünglich nicht vorgesehen2. Für’s Zischen wurde dann das ß («Eszett») erfunden. Diesen Buchstaben hat uns die Zunft der Schriftsetzer und Drucker eingebrockt, in einer Zeit, als man noch die beweglichen Lettern einzeln setzen musste und die Setzer deshalb auf Arbeitserleichterung sannen: Könnte man nicht ständig wiederkehrende Buchstabenkombinationen gleich zu einer Drucktype zusammenfügen? Gesagt – getan; das war die Geburtsstunde der Ligaturen, von denen es je nach Schrifttyp unterschiedlich viele gab. Besonders das Eszett setzte sich in Deutschland flächendeckend durch und so wurde aus den älteren Schriftzeichen für s und z, also für ʃ und ʒ, die Ligatur ʃʒ, die bald das heutige Aussehen bekam: ß. Warum man damals das stimmlose s durch Anhängen eines z markierte und nicht durch ein Doppel-s, mag daran gelegen haben, dass ss in erster Linie als Silbengelenk (Stelle, wo die Silbentrennung stattfindet) wahrgenommen wurde, in Wörtern wie Mas-se, Kes-sel, Kis-sen, Gos-se, Fus-sel.

Übrigens führte eine andere Ligatur, nämlich st, zu dem inzwischen überholten Merksatz: «Trenne nie st, denn es tut ihm weh.» Den Schmerz dürften die Schriftsetzer gespürt haben, wenn das handschriftliche Original eines Textes, von dem eine Druckvorlage erstellt werden sollte, schwer zu entziffern war, wenn z.B. die Worttrennung am Zeilenende zwischen s und t lag und man nicht gleich mitkriegte, dass hier eine Ligatur zu verwenden war. Die Autorität der Setzer war offenbar groß genug, um den Bildungs-einrichtungen des Landes ihre Bedingungen diktieren zu können.

Diese Ligatur-Geschichten habe ich übrigens meiner Enkelin (10 Jahre) erzählt, als sie im Homeoffice lustlos über einer Schreibübung saß. Ihr gefiel vor allem der Gedanke, dass Regeln von Menschen gemacht sind und gerade deshalb in Frage gestellt werden dürfen. Gnädig erklärte sie, die Unvollkommenheit solcher Regeln großzügig tolerieren zu wollen.

Aus heutiger Sicht sind die Regeln zur Schreibung des stimmlosen s-Lautes kein Ruhmesblatt in puncto Plausibilität. Zwar hat die letzte Rechtschreibreform zur Überarbeitung einzelner Regeln geführt, aber die Entscheidungswege für die jeweils richtige Schreibung sind noch immer recht unübersichtlich. Nach wie vor kann der stimmlose s-Laut als s wie in Los, ss wie in Kuss und ß wie in Maß realisiert werden. Wann welche Schreibung zutrifft, hängt von mehreren Faktoren ab: Doppel-s wird bei Wörtern mit Silbengelenk geschrieben. Das Gelenk ist aber meist nicht augenfällig, sondern wird erst ersichtlich, wenn man die Wortfamilie oder flektierte Formen des Wortes heranzieht: Kuss (weil von küs-sen), krass (weil auch kras-ser), Riss (weil auch Ris-se), Gelass (weil von las-sen).

Konsequenterweise kommt das ß nur noch dann zum Einsatz, wenn davor ein langer Vokal oder ein vokalischer Doppellaut steht (Straße, Gesäß, stieß, Soße, Ruß, süß, preußisch, draußen). Weitere Einschränkung: Wenn in Wörtern mit Langvokal der s-Laut nur in der Nennform stimmlos ist, in einer flektierten Form aber stimmhaft, wird das ß auch nicht verwendet, sondern das s: Verlies (weil die Verliese), Gras (weil Gräser), Moos (weil Moose), Laus (weil Läuse), Kreis (weil Kreise).

Die Phänomene das und daß bzw. (seit der Reform) dass stellten schon immer ein Rechtschreibproblem dar. Die Entscheidung, wann welche Schreibweise richtig ist, setzt Kenntnisse über die Wortarten voraus, in denen dieses Wörtchen auftreten kann: Fungiert es als Artikel oder Pronomen, wird das geschrieben: das (Artikel) Buch; das Haus, das (Relativpronomen) ich meine; das (Demonstrativpronomen) ist eine gute Idee. Fungiert das Wörtchen aber als Konjunktion, wird dass (vormals daß) geschrieben. (Ich weiß, dass ich nichts weiß.) Der verordnete Wechsel von daß auf dass hat in der Öffentlichkeit viel Unmut hervorgerufen, obwohl es gerade dafür eine logische Erklärung gibt: Da das ß, wie schon gesagt, nur noch zum Einsatz kommt, wenn ihm ein Langvokal oder ei, eu, au vorausgegangen ist, hat es in unserem Wörtchen nichts mehr zu suchen. Allerdings bleibt die Frage, ob man nicht auch auf das ss hätte verzichten können. Hätte man, aber wollte man nicht. Da war es wieder, das Oberlehrer-Gen: Am richtigen Gebrauch von dass mit ss zeige sich, ob jemand im konkreten Satz die Konjunktion von einem Artikel bzw. Pronomen unterscheiden kann. Aber war denn das für das Verstehen des Satzes von Belang? Nein.

Als zusätzliche Konsonanten, die aber mit der lateinischen Schrift gut abzubilden sind, gelten die drei konsonantischen Doppellaute t-s, t-sch und p-f: Das t-s wird als z (wie in Zahn, Zorn, zaghaft) oder als tz (wie in sitzen, Katze, putzig) geschrieben. Das t-sch wird als tsch realisiert (Klitsche, lutschen, Quatsch), gelegentlich auch (schon) als tch (Bitch). Auch das p-f wird unkompliziert umgesetzt, nämlich als pf (Napf, stopfen, Gipfel).

Wer mitgezählt hat, weiß, dass unsere Aufstellung der im Lateinalphabet nicht abgebildeten Laute noch nicht vollständig ist, drei Laute fehlen noch. Doch halt! Einige in Latein präsente Buchstaben haben hier ebenfalls noch keine Rolle gespielt, nämlich h (jedenfalls als Einzelbuchstabe), j, l, r und w. Das liegt daran, dass sie unproblematisch sind, d.h. zwischen Buchstabe und Laut eine 1:1-Entsprechung besteht (die bei l und r auch als Buchstabendopplung vorkommen kann, wie in Welle, knarren). Zum h ist allerdings zu sagen, dass es nicht nur als gewöhnlicher h-Laut daherkommt (wie in Hafen, geheim, hüten), sondern noch ein paar Extraaufgaben erfüllen muss. Seine Rolle als Dehnungs-h und Teil von festen Buchstabenkombinationen wurde schon erwähnt, hinzu kommt noch die Funktion als «Trennmittel»: Wenn in einem Wort Vokale aufeinander stoßen und zu falschen Schlüssen über Aussprache und Sinn führen könnten, wird ein «stummes h» dazwischen geschoben: sehen (keine Seen), Ruhe (nicht Rue), seihen (nicht seien).

Zu reden ist nun noch von zwei Lauten, die mal den Vokalen und mal den Konsonanten zugerechnet werden, und von einem Laut, der artikuliert, aber nicht notiert wird. Enthält die Endsilbe eines Wortes ein e, so wird dieses nur andeutungsweise gesprochen oder fast ganz verschluckt. Hören Sie sich mal selbst zu, wie Sie Wörter wie Wiese, Laube, Krone entspannt artikulieren – da nehmen Sie statt des e nur noch einen Murmellaut wahr. Wenn der Wortausgang aus -er besteht, wird auch dieser im Gegenwartsdeutsch nur noch ansatzweise artikuliert, und zwar mehr vokalisch als konsonantisch: Man spricht von einem vokalisierten r.

Der nicht mit einem Zeichen wiedergegebene Laut ist der Knacklaut, ein kurzer Kelhlkopfverschluss. Der ist in letzter Zeit mächtig ins Gerede gekommen, denn die „Genderer“ benutzen ihn wie das Sternchen, um auf die Nachsilbe *in / *innen aufmerksam zu machen. Im lateinischen Alphabet ist dafür kein Zeichen reserviert, aber manche Sprachen haben ein extra Zeichen integriert (z.B. Maltesisch und Somali ein Apostroph). Im Deutschen wird der Knacklaut immer dann gesprochen, wenn ein Wort bzw. eine Silbe mit einem Vokal beginnt: ‚Abend, ge’ordnet, ver’untreut. Mit dem Gendersternchen wird die Silbengrenze absichtlich verschoben (natürliche Silbengrenze: Leh-re-rin, gegenderte Silbengrenze: Leh- rer*in). Damit wurde der Präzedenzfall geschaffen, dass eine Minderheit ohne ausreichende fachliche Expertise, dafür mit ideologischer Motivation der Öffentlichkeit Regeln vorschreiben will. Obwohl, wenn man sich die Zusammensetzung der Rechtschreibkommission anlässlich der letzten Reform und deren Ergebnisse ansieht, kann man genau so ins Grübeln kommen. Selbst ihr Vorsitzender, der damalige bayrische Kultusminister Hans Zehetmair, schätzte zehn Jahre später kritisch ein, dass es ein Fehler war, dass die Politik sich der Rechtschreibung angenommen hatte: „Das sollte nie wieder vorkommen, die Lektion haben alle gelernt.“

1 Das k hätte später eigentlich nicht noch bei einigen Wörtern durch ein c zu ck aufgestockt werden müssen, aber da wollte man wohl auf Nummer sicher gehen.

2 Ich vermeide hier die hochtrabenden Fachwörter und erst recht die phonetische Umschrift; statt dessen versuche ich, anschauliche Umschreibungen und treffende Beispiele zu bringen.

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