„Die Kosten des Jugendamtes explodieren: Bei Schulbegleitung soll gespart werden“

(Auch) Zur Erinnerung an Tante Christa

So die Überschrift der Leipziger Volkszeitung vom 17.10.25 auf S.23. Die „Opas“ mal nicht gegen was, sondern für etwas, nämlich fürs „Gutsein“, barmen unterm „Runden Tisch“: „Wir brauchen noch viel mehr ‚runde Tische‘, und nur dadurch, dass wir sie nicht haben, entstehen die Probleme“.

In Wirklichkeit bricht das System des gutmeinenden Wunschdenkens zusammen: Es war mir schon immer klar, seitdem ich bewusst denken kann, also seit den 70-er Jahren des vorherigen Jahrhunderts: Vor dem Fressen kommt die Moral.

Natürlich andersherum: Das Fressen kommt vor der Moral. Sie sehen, auch ich bin vom Wunschdenken befallen – offenbar ist das sehr menschlich -, aber leider, die Welt, sie ist nicht so. Vor der ellenlangen Zeit, die wir den Menschen gönnen, die Probleme haben, kommen entwickelte Produktivkräfte, ein materielles Bruttosozialprodukt, das diese ideellen Segnungen erst ermöglicht.

Vor der individuellen Ausnahme kommt die eingeübte Regel, die für alle gilt. Vor der Kreativität, etwas Eigenes zu schaffen, kommt die Fähigkeit, Rücksicht auf die Interessen und Bedürfnisse der Mitmenschen zu nehmen. Diese Fähigkeit ist nicht von alleine da – Ausnahmen bestätigen wieder die Regel -, sie muss lebensstromaufwärts eingeübt werden. Das ist anstrengend, es erfordert viel Kraft und erzieherische Energie; denn nur zu gern wollen sich Menschen – immer wieder – den Lebensstrom abwärts treiben lassen (Ich will aber, und ich will das jetzt!).

Das führt auch zu erzieherischen Kämpfen und wer heute im „freien Westen“ etwas gegen die Bedürfnisse – oft sind es in Wirklichkeit eher „Gelüste“ – kindlicher Individuen durchsetzen will, hat von vornherein schlechte Karten. Hier in Deutschland. Viel leichter und angesehener ist es, mitzuschwimmen bei dem, was die „Kids“ wollen. „Sei doch nicht so verknöchert, lass‘ sie doch rauchen, die Kids.“ Laut Gesetz dürfen sie das zwar erst ab 18. Aber wen interessieren in Deutschland schon Gesetze und wer setzt sie dann auch noch durch? Das ist eindeutig zu viel verlangt – merken Sie selbst.

Und weil die „Kids“ das an jedem Tag in ihrem Alltag erleben, fahren sie dann mit dem Rad auf dem Gehweg, genauso wie ihre Ommas und Oppas. Wer interessiert sich in diesem Land schon für Recht und Ordnung? Keiner! Da muss man schon extrem drauf sein, um das zu tun. Linksextrem? Nein, die bewerfen lieber Polizeireviere und Polizisten mit großen Steinen oder brennen Kabelschächte der Deutschen Bahn an. Deswegen sind sie auch bei weitem nicht so gefährlich wie Rechtsextreme, die das beides nicht tun, aber vielleicht eine Bewegung mit ihrem Arm oder ihrer Hand ausgeführt haben, die von weitem so aussieht, als ob sie verboten sein könnte. Wir leben eben in einem freien Land.

Komischerweise sollen dann die jungen Bürger akzeptieren und praktizieren, dass sie als Fahranfänger nur mit 0,00 Promille unterwegs sein dürfen und dass schon ein bisschen Alkohol verboten ist, desgleichen illegale Drogen – da hört der Spaß dann plötzlich auf, nachdem jahrelang Großzügigkeit herrschte und Regeln und erst recht ihre Durchsetzung nicht so genau genommen wurden. Auch Steuererklärungen sollen plötzlich exakt abgegeben werden, nachdem die „Kids“ in ihrem ganzen bisherigen Leben, zu Hause und in der Schule, erfahren haben, dass Regeln sowieso nicht gelten.

Vor über 10 Jahren habe ich an anderer Stelle Folgendes geschrieben:

„Die Balance zwischen der persönlichen Freiheit, den individuellen Ansprüchen und Rechten des Einzelnen und dem, was für die Entwicklung der Gemeinschaft, einer Familie oder Schule wichtig ist, wurde in Deutschland Jahr für Jahr immer mehr in Richtung auf das vereinzelte Individuum verschoben. Und dann wundern sich unsere Eliten, dass unerzogene Menschen als Hooligans ihren infantilen Zerstörungsgelüsten freie Bahn lassen. Und außerdem sind wir – tatsächlich! – nicht allein auf dieser Welt. Immer mehr gebeutelte und traumatisierte Menschen kommen zu uns, weil es hier – vorläufig insgesamt trotzdem noch – eine geregelte Ordnung gibt.

Wenn wir aber unter diesen Bedingungen weiter das individualistische Denken fortsetzen, brauchen wir z.B. in jeder Klasse bald immer mehr persönliche Integrationshelfer, ‚Schulbegleiter‘. Das scheitert schon allein am Platzmangel im Klassenraum, und das kostet so viel Geld, dass für die reguläre Bildung und Erziehung immer weniger übrig bleibt. Es müssen weiter 28 Schüler, anstatt z.B. 15, in eine Klasse gehen, nur damit immer mehr einzelne ‚Gestörte’/1/ persönlich und individuell betreut werden können. Das ist ein Widerspruch in sich, weil dann zu Recht die anderen Schüler und Eltern, die sich zu kurz gekommen glauben, opponieren, was nach einer Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation – ICD 10 – wieder Symptom einer psychischen Krankheit bzw. Behinderung ist, so dass sie sich endlich auch den Anspruch auf einen persönlichen Unterstützer ‚erarbeitet‘ haben.

Am Ende haben wir 28 Schüler, 20 persönliche Begleiter (nur 7 ewige ‚Streber’ glauben, sie seien etwas Besseres) und nach wie vor nur einen unterrichtenden Lehrer, der irgendwann auch dem Leiden eines oppositionell-aufsässigen Verhaltens anheim fallen wird oder zumindest in den Burnout oder die Depression und dann selbst einen Schulbegleiter braucht, der bald auch einen braucht. Das ist die Logik unserer Sozial(pädagogik)industrie; Milliarden werden damit verdient. Eine gestörte Gesellschaft, die sich nicht von Grund auf ändern und weiter den Individualismus als Lebensprinzip pflegen will, muss diesen Weg einer Flickschusterei gehen. Für mich liegt ganz klar auf der Hand, dass er in die Irre führt.

Die Lösung kann nicht in der immer besseren ‚therapeutischen‘ Versorgung einzelner Gestörter durch persönliche Beauftragte liegen, sondern sie liegt in der grundsätzlichen Verbesserung der Beziehungen zwischen Kindern, Eltern und Lehrern, durch ein ganz ‚gewöhnliches‘, gutes pädagogisches Handwerk, zu dem zwingend auch die Verbesserung der Beziehungen zwischen allen verantwortlichen Erwachsenen gehören muss. Das heilt. Nichts heilt so sehr wie das.“

Jetzt ist es also so weit: Der Wahnsinn bricht in sich zusammen. Dieses System der totalen Individualisierung, des „Das Individuum über alles“ statt die Gemeinschaft, die Familie, die Schule, den Sportverein, die Stadt/das Dorf, die Nation an die erste Stelle zu setzen, zerstört sich selbst.

China und die anderen BRIX-Staaten müssen die Effizienz ihrer Wirtschaft durch ein entschieden besseres Bildungssystem – China ist bei allen internationalen Schulleistungsvergleichen obenauf – gar nicht mehr so sehr steigern; es reicht, wenn sie warten, bis sich der „freie Westen“ auf diese Weise selbst zerstört, weil ihm immer mehr Menschen fehlen, die bereit und willens sind, ordentlich und gewissenhaft einer Arbeit nachzugehen. Es geht gar nicht in erster Linie um die qualifizierten Überflieger. Die kann auch eine individualistische Gesellschaft generieren; es geht um eine Mehrzahl junger Menschen, die bereit ist, ausdauernd, zuverlässig, pünktlich, genau und gewissenhaft zu arbeiten.

In den 60-er Jahren habe ich regelmäßig mittags, wenn ich aus der Schule kam, den „Soldatensender“ gehört, einen Sender aus der DDR für die Angehörigen der damaligen Bundeswehr. Es war die Zeit, in der viele „Starfighter“, amerikanische Düsenjäger, abstürzten.

Der Moderator machte sich darüber lustig und sagte, wenn man einen Starfighter haben wollte, sollte man nur ein Stück Acker in der BRD kaufen, dann müsste man gar nicht mehr so lange warten und schon hätte man einen, wenn auch nur ein Bruchflugzeug. Diese Analogie dazu, dass auch China nur warten muss, der „dumme“, „freie Westen“ zerstört sich schon selbst, fiel mir gerade in diesem Zusammenhang ein. Wobei Deutschland im Westen besonders „dumm“ ist, weil es jede Form der Gemeinschaftlichkeit kappt, nicht nur die familiäre, sondern auch die nationale (siehe Genaueres dazu unten weiter).

Auf dem Gebiet der Bildung – und Erziehung, da gute Bildung nur mit erzogenen Kindern gelingt, die gelernt haben, ihre eigenen Triebe zugunsten der Lösung einer Lernaufgabe zu zügeln – entscheidet sich, welches System, das asiatisch-östliche oder das westliche, dauerhaft seinen Bürgern einen höheren Lebensstandard, einschließlich Sicherheit und medizinischer Versorgung, bieten kann. Nur gemeinschaftsorientierte Gesellschaften können das, die, die sich auf das Individuum orientieren, können es nicht.

Es ist doch für jeden, der (dialektisch) denken kann, ganz offensichtlich: Wenn Gemeinschaftlichkeit zurückgenommen wird, wenn die zwischenmenschlichen Beziehungen reduziert werden, in die ein Individuum eingebunden ist, kann sich dieses dann, nun plötzlich befreit, doch nicht besser entfalten als zuvor! Nein, denn das Individuum braucht für seine Entfaltung ein Netz der Mitmenschlichkeit, und es muss lernen können/dürfen, sich in dieses einzufügen. Wer also wirklich individuell erziehen will, muss sich zuerst um die Beziehungen in den Gemeinschaften kümmern, zu denen ein Individuum gehört.  

Die schlichten Wessigemüter, die uns nach der Wende beigebracht haben, wie Schule richtig geht, hatten ja wirklich geglaubt, wenn die schlimme Orientierung auf das Kollektiv zurückgefahren wird, könnten die Individuen von allein sprießen.

„Hoppla, Ihre Schüler fläzen sich ja gar nicht in den Bänken!? Nicht einer hat ein Bein auf dem Tisch! Typisch DDR-diktatorische Unterdrückung der kindlichen Bewegungsfreiheit! Schauen Sie mal, wie erfrischend locker unsere Schüler sind!“ So etwas hatte die (DDR-)“Deutsche Lehrerzeitung“ damals tatsächlich berichtet. Inzwischen können alle fortschrittlichen Pädagogen jubeln: Wir haben aufgeholt und nun auch im Osten diesen hohen Standard freiheitlicher Pädagogik erreicht; die Reste alter Disziplin schimmern nur noch in den mitteldeutschen Ländern durch, denen, neben Bayern, mit den höchsten Leistungsergebnissen in Deutschland.

(Groß)Familie und Schule weg, Kind allein mit einem persönlichen Betreuer. Glaubt jemand im Ernst, dass sich die Individualität dieses Kindes nun besser entwickeln kann als im familiären und schulischen Beziehungsgeflecht? Es kommt auf die Qualität von Gruppen an; nicht alle, – und nicht einmal ihre Mehrheit – engen ein Kind von vornherein ein und benachteiligen es gegenüber einer Situation ohne jeden Gruppenzwang.

Und wenn sie es „einengen“, ist das gut, richtig und wichtig so, denn jeder Mensch muss lernen, mit Widerständen umzugehen und Lebens-Kameraden zu suchen, zu finden und zu behalten, mit denen zusammen er sie überwinden oder zumindest ertragen kann.

Dieses Gute („Liebe“) am Schlechten („Bösen“) nicht sehen zu können, entspringt dem undialektischen Denken, das bei den Gutmenschen grassiert: Wenn ich zum Baden an den See will, müsse ich schon auf dem Weg dahin schwimmen. Nein, gerade nicht. Wenn ich eine hohe Qualität persönlicher Individualität haben will, muss ich ihr vorher viel Gemeinschaftliches geboten und die Fähigkeit ausgebildet haben, durchzuhalten, sozusagen die „Blüten der Ebenen“ zu erkennen, wertzuschätzen und zu pflücken.

Es geht mir nicht um einzelne menschliche Irrtümer, die bei der Erziehung immer wieder passieren und durchaus auch tragische Auswirkungen haben können wie die Entnahme von Kindern aus ihren Familien, die ein Problem oft nicht heilt, sondern eher verschärft. Das ist schlimm genug. Aber mir geht es um den systemischen, strukturellen Denkfehler im pädagogischen Handeln im Deutschland von heute. Dieser strukturelle Fehler in der Tiefenstruktur des deutschen Erziehungs- und Bildungswesens macht das System kaputt. Ich habe ihn in diesem Beitrag und in allen anderen zum Thema Erziehung beschrieben (oben bei den „Themen“ auswählen: „Zeitzeichen Autismus & Erziehung“), grundlegend in „Die Grundfrage der Erziehung“ oder in „Wollt ihr die totale Psychiatrisierung der Erziehung?

Ich hatte es schon angedeutet: Es sieht nicht im ganzen Westen so schlimm aus wie in Deutschland. In keinem anderen westlichen Land wird der Wahn des „Das Individuum zuerst, vor jeder Gemeinschaft!“ so sehr auf die Spitze getrieben wie hier. In allen anderen westlichen Ländern gibt es ja noch die Ebene des nationalen Gemeinschaftsgefühls. Die darf es in Deutschland fast gar nicht mehr geben, und es gibt sie demnach auch kaum noch. Auch die Bedeutung der Familie als elementarer Menschengemeinschaft scheint mir besonders in Deutschland zugunsten unzähliger individueller und auch nur einzeln lebbarer Abart(igkeit)en der Liebe atomisiert worden zu sein. Und das alles über die längste Zeit unter Führung der CDU; allein Frau Merkel führte die Bundesregierung 16 Jahre an, von 2005 bis 2021.

Besondere, „abartige“ Formen der Liebe darf man gern privat praktizieren, wenn alle Beteiligten dem Kindesalter entwachsen und alle mündig und reif genug sind, zu entscheiden, ob sie das tatsächlich wollen. Mir geht es aber auch darum, dass das dann nicht öffentlich vorgeführt und keine staatliche Alimentierung der ganz persönlichen, eigenen Lust erwartet wird, die nicht dazu führt, dass das Leben durch neue Kinder weitergeht, die dann auch noch in einer „Familie“ /2/, aufgezogen werden, um die große nationale Gemeinschaft, zu der sie gehören, zu stärken.

 

Fußnoten

/1/ Das meine ich ganz sachlich. Kinder haben nie Schuld an ihrem Gestörtsein. Die gestörten Beziehungen der Erwachsenen um sie herum treiben sie in die Verhaltensauffälligkeit.

/2/ Aber bitte nicht zwei Opas, ein Hund und ein Kühlschrank, die erkannt haben, dass sie sich alle gegenseitig lieben – und nur darauf kommt es doch an! – und sich deswegen vor einem deutschen Standesamt gegenseitig heirateten. (Beinahe wäre diese Vierer-Hochzeit noch an einer Kühlschrankdiskriminierung gescheitert. Aber das konnte zum Glück die Antidiskriminierungsbeauftragte [CDU] der Bundesregierung verhindern.)

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