„Auf Deutsch“ müsste er sagen: er regiert nun „von oben herab“. Das geht gar nicht. Also wird wieder einmal eine Politik der kosmetischen Fassadenbemalung gemacht.
Nicht die wirklichen Probleme werden angegangen, sondern die Art ihrer Beschreibung. Und zur Verdeckung und Verschleierung machen sich Anglizismen immer gut.
Wenn ihm „von oben herab“ zu negativ belastet gewesen wäre, hätte er ja auch sagen können: „von oben herunter“. Es geht ums Prizip: Wenn wir nicht zu uns selber stehen, wirtschaftlich, kulturell und sprachlich, kommen wir nie aus den strukturellen Lebensproblemen, unter denen Deutschland immer mehr leidet, heraus.
Ohne Patriotismus, ohne Liebe zu sich selbst, ist in einer Welt, in der alle anderen Nationen immer patriotischer werden, eine Lösung der grundlegenden Probleme nicht möglich.
Deutschland zuerst, so einfach und logisch sollte das sein für einen Deutschen und auch für einen, dessen Vorfahren nicht von hier stammen, sondern der erst selbst zum Deutschen wurde, eventuell auch eine Generation zurück als Kind von Eltern, die diese Entscheidung schon getroffen hatten.
Das geht aber nicht doppelt: Ich liebe dich, du, mein (neues) Land, ich möchte dich heiraten, aber mit meiner alten Frau möchte ich die Ehe auch weiterführen. (Und wenn schon, möchte ich als Deutscher auch eine doppelte Liebe haben dürfen. Ich bevorzuge die Schweiz und Ungarn. Gleiches Recht für alle!)
Ausnahmen bestätigen die Regel: Ich habe vor ein paar Tagen auf Arte einen Film über die vielen Kinder deutscher Soldaten gesehen, die in der Besatzungszeit in Frankreich von 1940 bis 1944 geboren bzw. gezeugt wurden.
Viele erwachsene Franzosen schämten sich nach dem Krieg, dass sie nicht entschlossen genug gegen die deutschen Feinde gekämpft hatten. Sie holten das dann nach, indem sie ihre Kinder, auch wenn sie eine französische Mutter hatten, als Feinde behandelten, misshandelten, demütigten, ausschlossen und ausgrenzten, wo immer sie es nur konnten. Genauso berichtete dies eine Betroffene. Diese Kinder erlitten ein unvorstellbares Martyrium, auch weil sie an jedem Tag mit ansehen mussten, wie gut es den „richtigen“ Kindern ging, die geliebt wurden, weil es die ganz (nämlich mütterlich und väterlich) französischen waren und nicht nur halb französische (nämlich nur mütterliche).
Diesen mental „halben Kindern“ gönne ich die doppelte Staatsbürgerschaft, denn so finden zwei (Eltern)Hälften zueinander, die zusammengehören. Das ist ein Sonderfall.
(Nebenbei: Die deutsche Besatzung muss ja wirklich furchtbar gewesen sein, wenn so viele französische Frauen eine Beziehung mit einem deutschen Soldaten eingingen und das Kind dann auch austrugen. Mein Vater, der als Angehöriger der Wehrmacht (Luftwaffe) in Frankreich stationiert war, berichtete denn auch von einem weit überwiegend freundlichen Kontakt mit der französischen Zivilbevölkerung. Das änderte sich erst kurz vor dem Abzug der Deutschen. Zu Verlierern ist offenbar keiner gern freundlich.)
Die „Mitte“ aus CDU und SPD, die die Mitte sonst verabscheut und unbedingt zum Westen gehören will (siehe meine erste Antwort auf Junker Martin im Kommentarbereich), schafft das Gerede vom „Herbst der Reformen“ ab, weil sie merkt, dass alles viel länger dauert. Sie steht mit ihrer West-DNA für Stillstand.
Dann bin ich mal gespannt, was das für ein Winter wird, vielleicht ein „Winter der Kälte und der Finsternis“?
Heute lese ich passend zu dieser ganzen Diskussion in der „Leipziger Volkszeitung“ (S.11) einen Bericht über den alten „ESC-Hasen“ Ralph Siegel.
Er findet, „50 Prozent des [öffentlichen, gebührenfinanzierten Rundfunk- und Fernseh-]Programms sollten deutschsprachig sein. … Wie wenig deutsche Musik [er meint deutschsprachige] aus seiner Sicht hierzulande im Radio und Fernsehen gespielt wird, findet er ‚einfach unerträglich‘. In Frankreich oder Italien sei das ganz anders.“ Und auch in Polen, Ungarn oder Tschechien ist das in Bezug auf die dort muttersprachliche Musik so, füge ich hinzu.
Deutschland nimmt hier mit seiner Maxime „Erst das Ausland, dann das eigene“ eine Geisterfahrerpostion in der internationen Kulturpolitik ein. „Fahren Sie ganz rechts, es kommt Ihnen ganz links ein deutscher Irrfahrer entgegen!“ Das heißt, falls ich recht habe, dass wir dazu beitragen, dass andere Nationen an den rechten Rand gedrängt werden, aus Angst vor den Wirr-Deutschen.
Viele deutsche Künstler leben am Rand des Existenzminimums. Der deutsche Gebührenzahler päppelt die Englischsprachigen. Für jedes Lied, das im – eigentlich – deutschsprachigen Rundfunk gespielt wird, erhalten sie Tandiemen und das sind über 80 Prozent, weil sich auch deutsche Künstler gern mit fremden Sprachfedern schmücken.
Wen wunderts, sie wollen im Land des „Das Ausländische zuerst!“ schließlich auch mal im Radio gespielt werden.
Kleine Gedankenstütze zur „Deutschquote“: Im Streaming ist sie längst gelebte Realität – nur klingt sie 2024/25 eher nach Rap, Pop-Rap und R&B als nach Schlager. 2024 wurden in Deutschland über 236 Milliarden Songs gestreamt; in den 2020ern stellten deutschsprachige Acts acht der zehn meistgestreamten Künstler:
https://www.offiziellecharts.de/news/1503-nutzung-von-musikstreaming-nimmt-2024-weiter-zweistellig-zu
Wer läuft dann rauf und runter? – Ein Blick auf Spotify 2024 (Deutschland): In den Top-10 Artists sitzen u. a. Luciano, Ayliva, Bonez MC, Apache 207, Pashanim und RAF Camora. Ayliva stellt zugleich das Album #1 („In Liebe“).
https://spotify_presse.prowly.com/369213-spotify-wrapped-2024-ist-da
Übersetzt in Programmfarben hieße „Deutschquote“ praktisch:
Ayliva – R&B/Deutsch-Pop: https://de.wikipedia.org/wiki/Ayliva
Luciano – Drill/Trap/Pop-Rap: https://de.wikipedia.org/wiki/Luciano_(Rapper)
Apache 207 – Pop-Rap/Hip-Hop: https://de.wikipedia.org/wiki/Apache_207
Nina Chuba – Pop/Dancehall-Pop: https://de.wikipedia.org/wiki/Nina_Chuba
Kontra K – Deutschrap: https://de.wikipedia.org/wiki/Kontra_K
RAF Camora – Deutschrap/Dancehall, österreichisch aber deutschsprachig: https://de.wikipedia.org/wiki/RAF_Camora
Realitätsabgleich Radio vs. Streaming: Im deutschen Radio sind deutschsprachige Songs 2024 bei den Öffentlich-Rechtlichen rund 10 %, bei Privatsendern etwa 3 %. Im Streaming dagegen dominieren genau die oben genannten deutschsprachigen Acts.
https://www.gema.de/de/w/langzeitstudie-radioreport
https://www.offiziellecharts.de/news/1503-nutzung-von-musikstreaming-nimmt-2024-weiter-zweistellig-zu
Offene Frage bleibt: Was wäre bei einer Quote eigentlich „deutsch“? Die Sprache? Der Pass? Der Sitz der GEMA-Kontonummer? Zählen deutsche Bands, die auf Englisch, Französisch, Spanisch oder Esperanto singen, mit – oder nicht? Und wie ist es mit österreichischen oder schweizerischen Acts, die auf Deutsch singen?
PS: Wer unbedingt Zahlen mag: Streaming trägt inzwischen den Löwenanteil der Branchenerlöse in Deutschland – 2024 entfielen laut BVMI rund 78 % auf Audio-Streaming.
https://www.musikindustrie.de/wie-musik-zur-karriere-werden-kann/markt-bestseller/musikindustrie-in-zahlen-2024
Kurz gesagt: Eine Quote hieße nicht „mehr Schlagerromantik“, sondern mehr Ayliva, Luciano, Apache & Co. – die urbane Deutsch-Pop/Rap-Wirklichkeit von heute. Ich frage bewusst provokativ: „Würde Dir das gefallen, Karl?“
Und wie behandeln wir Streams? Hier wird nur das gehört, was wir selbst auswählen. Soll dort die Wahlfreiheit eingeschränkt werden? Noch spielt Radio eine starke Rolle. Lineares Radio erreicht werktags weiterhin rund 74 % Tagesreichweite bei etwa 4 Stunden Verweildauer. Gleichzeitig dokumentiert die ARD/ZDF-Medienstudie 2024 einen fortgesetzten Negativtrend der linearen Nutzung – während On-Demand-Audio zulegt. Im Auto boomt Online-Audio: 61 % der regelmäßigen Online-Audio-Nutzer hören unterwegs im Wagen; meistgenutztes Online-Format dort ist Musikstreaming, auch wenn Radio im Auto insgesamt noch vorn liegt. Ökonomisch hat Streaming 2024 schon 78,1 % der Brancheneinnahmen gestellt (BVMI). Kurzum: Reichweite ja – aber die kulturelle Deutungshoheit über „was läuft“ verschiebt sich von der Rotation zum Feed. Und hier haben wir den Schluss: Ist eine Quotendiskussion überhaupt sinnvoll oder Zielführend?
Es geht mir um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, um das, was leicht, auf gewöhnliche Art zugänglich ist. Ich bin kein Schlagerfan, eher mag ich Balladen nach Art des Ostrocks und Chancons, die man wenig hört im deutschen Radio und sowie sie deutschsprachig sind, gar nicht.
Aber auch deutschsprachige Rap-Musik gefällt mir. Dass Menschen, die ursprünglich aus arabischsprachigen Ländern kommen, hier oft auf Deutsch singen, spricht sehr für sie. Dass solche Musik viel häufiger „gestreamt“ als im Rundfunk gesendet wird, gibt doch meiner Kritik Rückenwind, denn es zeigt, dass die Hörer da sind.
Wo deutschsprachige Musik produziert wird, ist mir völlig egal. Hauptsache, sie wird es, und sie wird sogar auch in Deutsch-Land (unerhört!!) gesendet.
Karl, kurz zu Deinem letzten Kommentar: Rundfunk ≠ Streaming.
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk hat einen Grundversorgungs- und Programmauftrag: linear, für viele Zielgruppen, mit Wortstrecken, Jugendschutz und Formatregeln. Streaming hat diesen Auftrag nicht; dort zählt Deine individuelle Wahl plus Algorithmus. Radio arbeitet mit enger Rotation und Tageszeit-Tauglichkeit; Streaming spiegelt Fan-Communities, Release-Spikes und TikTok-Effekte. Darum sehen Streaming-Charts anders aus als Radioplaylisten: Sie messen die konzentrierte Nutzung weniger, sehr engagierter Gruppen – nicht „Breite“. Ökonomisch ebenfalls verschieden: Radio lizenziert pauschal und optimiert Reichweite, Streaming vergütet jeden einzelnen Play und belohnt Nischen.
Persönlich: Den Deutsch-Hip-Hop, der gerade die Streaming-Charts anführt, möchte ich im Radio gar nicht hören – bei manchen Hooks stellen sich meine Nackenhaare auf und mein Magen probt den Brechreiz-Remix 😉. Und mein Verständnis für Jugendsprache endet an der stelle wo „Isch“ statt dem korrekten „Ich“ verwendet wird, ist aber ein rein persönlicher Reiz-Triggerpunkt. Ich verorte mich eher in der Gothic-Metal-Ecke und suche mir das on-demand. Meistens englischsprachig, weil ich die deutsche Sprache als eher ungeeignet und vom Wortumfang als zu begrenzt empfinde, um nuanciert Gefühle und Gedanken zu transportieren. Das ist aber rein persönlicher Geschmack. Genau wie der Deine, wahrscheinlich nicht massenkompatibel.
Heißt konkret: Wer mehr deutschsprachige Musik will (Balladen, Ostrock, Chansons, Rap), findet sie on-demand schneller als im linearen Tagesprogramm. Ein kostenloser Spotify-Account (mit Werbung) ist wahrscheinlich schneller angelegt, als man am Küchenradio einen neuen Sender sucht.
Zum Schluss: Deine Kritik am ÖRR kann ich nachvollziehen. Ich halte ihn nicht für überflüssig, aber inzwischen überbordend und zu teuer. Aus meiner Sicht würden zwei bundesweite TV-Programme und pro Bundesland 2–3 Radiosender genügen, um den öffentlichen Auftrag abzudecken – komplett werbefrei und zum halben Preis. Kann man sich drüber aufregen, oder man tut das, was der Kapitalismus vorgesehen hat, man entzieht sich selbst dem ungewünschten Produkt als Kunde, quasi basisdemokratisch.