„Dem deutschen Wein fehlt der Patriotismus“

So stand es am Wochenende in meiner Regionalzeitung, der LVZ, auf S. 9. 

„Laut Ernst Büscher vom DWI [Deutschen Weininstitut] sank der Marktanteil der vom Handel eingekauften Weine 2024 im Vergleich zum Jahr davor auf 41 Prozent. Drei Jahre zuvor waren es noch 45 Prozent. Das liege daran, ‚dass die Deutschen beim Weineinkauf – wie bei Lebensmitteln insgesamt [und auch sonst allen Produkten, zum Beispiel Autos – Karl] – sehr stark auf den Preis achten und weniger auf die guten Qualitäten, die vor ihrer eigenen Haustür wachsen. Lieber kaufen sie mehr günstige Weine aus dem Ausland.'“

Aber wo sind wir? In Deutschland! Da muss natürlich ein Offizieller dazwischengrätschen:

„Felix Hößelbarth vom sächsischen Weinbauernverband und Betriebsleiter  im Weingut Hoflößnitz in Radebeul stört sich, wie er sagt, am Wort Patriotismus. [Wo kommen wir denn da hin? Liebe zum Eigenen, zur eigenen Familie und Nation – das geht gar nicht, natürlich nur in Deutschland nicht. Woanders schon. – Karl] Die Idee dahinter, nämlich für regionale Produkte zu werben, sei hingegen zu begrüßen und würde auch den Winzern im Freistaat helfen.“

Wir sind mit 83,5 Millionen Einwohnern die mit Abstand bevölkerungsreichste Nation im EU-Europa. Da unser Brutto-Inlands-Produkt pro Kopf zum oberen Drittel in diesem Gebiet gehört, steckt hinter dieser Zahl eine gewaltige Kaufkraft.

Würden die Deutschen sich selbst und ihr eigenes Land lieben, könnten sie mit dieser Binnennachfrage einiges zum Wachstum in Deutschland beitragen. Tun sie aber nicht. Sie kaufen gern ausländisch, schon immer. Nicht nur Wein. Alles, zum Beispiel auch Autos.

(Und wir hätten durchaus gute Gründe, die eigenen Autos zu kaufen. Gerade habe ich über den kürzlich verstorbenen Robert Redford gelesen, dass er die deutschen Autos liebte, sie seien die besten der Welt. Das ist natürlich kein Beweis, aber immerhin ein Hinweis darauf.)

Es sind nicht nur die Alliierten, unsere besten Freunde, die uns nach dem verlorenen 2. Weltkrieg jedes Nationalbewusstsein ausgetrieben haben. Sie haben uns höchstens „den Rest gegeben“, denn schon Bismarck stellte 1863 im Preußischen Landtag fest:

„Die Neigung, sich für fremde Nationalitäten und Nationalbestrebungen zu begeistern, auch dann, wenn dieselben nur auf Kosten des eigenen Vaterlandes verwirklicht werden können, ist eine politische Krankheitsform, deren geographische Verbreitung sich auf Deutschland leider beschränkt.“

Es gab aber auch große westliche Staatsmänner wie Charles de Gaulle, der am 9. September 1962 in Ludwigsburg in einer Rede auf Deutsch an die „deutsche Jugend“ diese beglückwünschte, „junge Deutsche zu sein, das heißt, Kinder eines großen Volkes. Jawohl! eines großen Volkes, das manchmal im Laufe seiner Geschichte große Fehler begangen hat. Ein Volk, das aber auch der Welt fruchtbare geistige wissenschaftliche, künstlerische und philosophische Wellen beschert hat, das die Welt um zahlreiche Erzeugnisse seiner Erfindungskraft, seiner Technik und seiner Arbeit bereichert hat; ein Volk, das in seinem friedlichen Werk, wie auch in den Leiden des Krieges, wahre Schätze an Mut, Disziplin und Organisation entfaltet hat. Das französische Volk weiß das voll zu würdigen, da es auch weiß, was es heißt, unternehmens- und schaffensfreudig zu sein, zu geben und zu leiden.“

Stellen Sie sich mal vor, das würde heute ein Bundeskanzler sagen oder ein großer westlicher Staatsmann und das dann sogar noch auf Deutsch. Er würde sofort als „gesichert rechtsextrem“ eingeordnet werden, allein wegen der Behauptung, dass das „große deutsche Volk“ „in den Leiden des Krieges wahre Schätze an Mut, Disziplin und Organisation entfaltet hat“.

Die Deutschen von heute sollen ja nicht einmal glauben, dass sie „ein Volk“ sind, wenn es nach unseren eigenen Eliten geht, geschweige denn, „ein großes“.

Zurück zum Gedanken vor diesem Einschub: Die Japaner kaufen zum Beispiel zu 92 Prozent japanische Fabrikate. Bei den Chinesen geht es auch immer mehr in diese Richtung. Ähnlich, wenn auch nicht ganz so ausgeprägt, ist es in den USA, Frankreich und Italien. Wir sind – wieder mal – die Musterknaben, und das sind wir gerne auf unsere eigenen Kosten: Sarkastisch zugespitzt könnte man sagen: Es sind ja nur die Eigenen, die Deutschen, die können wir ruhig darben lassen.

Ein Beispiel: Die deutsche Autoindustrie kämpft ums Überleben. Und was macht der deutsche Staat? Er kauft mit deutschen Steuergeld Fahrzeuge aus dem Ausland, zumeist aus Frankreich, um damit, zum Beispiel, die deutsche Polizei auszurüsten. Er finanziert auf diese Weise Arbeitsplätze in Frankreich. Das ginge ja noch an, wenn es umgedreht auch so wäre. Aber ich glaube, es ist nicht so.

Das ist so ähnlich, wie dass die Deutschen im Rahmen der Europäischen Zentralbank für die Franzosen einstehen sollen, damit diese weiter mit 60 oder 63 in Rente gehen können. Aber es nützt uns selbst doch am meisten! Keine Nation ist so auf internationale Handelsbeziehungen angewiesen wie die deutsche. Das stimmt schon. Aber dazu würde eine europäische Freihandelszone reichen, dafür brauchen wir keine polit-ideologisch gesteuerte Wirtschaft wie die große Sowjetunion und die DDR glaubten, das im RGW, Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, regeln zu können.

Auf der Ebene der Nationen wird das Kollektivistische hochgejubelt hier in Deutschland. Die EU-Interessen sind viel wichtiger als die eigenen nationalen. Das nationale Individuum Deutschland muss unbedingt kollektiv eingehegt werden.

Versuchen Sie das mal bei der Kinder- und Jugenderziehung. Da ist hier jedes einzelne Individuum heilig. Was dieses will und glaubt zu brauchen – in Wirklichkeit sind das oft mehr Gelüste als wirkliche Bedürfnisse – steht ihm unbedingt zu, koste es den deutschen Staat, was es wolle.

Macht mal so weiter. Es geht alles seinen gesetzmäßigen Gang, so nur umso schneller.

8 Kommentare zu “„Dem deutschen Wein fehlt der Patriotismus“”

  1. FederOhneFlagge sagt:

    Patriotismus mag beim Wein noch ganz charmant wirken – beim Rest ist er eher ein schlechter Witz.

    Wir in Europa sonnen uns gerne im Glanz alter Zeiten. Wir erzählen uns, wie großartig unsere Ingenieurskunst war, wie zuverlässig unsere Bürokratie angeblich alles geregelt hat und wie wir mal „Exportweltmeister“ waren. Aber Hand aufs Herz: Wann haben wir zuletzt wirklich etwas Weltbewegendes geschaffen? Ein eigenes Google? Ein TikTok aus Europa? Ein globaler Innovationsführer aus eigener Kraft? Fehlanzeige. Wir reden lieber darüber, was andere falsch machen, statt selbst etwas Neues auf die Beine zu stellen.

    Was haben wir stattdessen getan? Regeln geschrieben, Vorschriften erlassen, moralische Appelle formuliert. Kurz: verwaltet. Wir leben von der Substanz, die unsere Eltern und Großeltern aufgebaut haben – und tun so, als könne das noch ewig reichen. Währenddessen laufen uns die dynamischen Regionen dieser Welt einfach davon.

    Und wenn es unbequem wird? Dann kramen wir die Phrase „Die fetten Jahre sind vorbei“ hervor. Als ob das ein Plan wäre. In Wahrheit ist es nichts weiter als eine elegante Umschreibung für: Wir haben keine Ideen mehr.

    Bestes Beispiel: unsere Autoindustrie. VW wird beim Schummeln erwischt, die „Premium“-Marken glänzen höchstens noch in Werbespots, während BYD, Nio, XPeng oder Tesla längst das Tempo bestimmen. Robert Redford mag einst von seinem alten Porsche geschwärmt haben, aber die aktuellen Modelle? Lichtjahre hinterher. Am Leben gehalten nicht durch Innovation, sondern durch europäische Bürokratie, die echtes autonomes Fahren verhindert – und damit den Altbau der deutschen Industrie künstlich stützt. Das einzige Konzept, das deutsche Manager noch zuverlässig beherrschen, heißt: Leute entlassen. Schuld ist dann selbstverständlich immer „die Politik“.

    Natürlich kann man jetzt reflexhaft genau die Karte ziehen: „Aber die Politik …“ Nur ehrlich gesagt: Wenn wir in Berlin und Brüssel genauer hinschauen, sehen wir vor allem eines – Lobbyismus. Und zwar nicht für Zukunft, sondern für den Erhalt des Alten. Bequem, fettgefressen, ohne Risiko. Ach ja – und natürlich extrem patriotisch, wenn es um die Autoindustrie geht. Am besten einfach mal „Dienstwagenprivileg“ googeln: eine kleine Nettigkeit, die Steuerzahler jedes Jahr zwischen 5 und 15 Milliarden kostet. Herzlichen Glückwunsch – unser teuerster Patriotismus.

    Das Tragische daran: Patriotismus und das ständige Beschwören dessen, „was einmal war“, bringen uns überhaupt nichts. Deutschland ist zur Nation der rückwärtsgerichteten Jammerlappen geworden, die von der „guten alten Zeit“ träumen – die es aber nie wieder geben wird. Abschottung hilft da nicht, patriotische Sonntagsreden auch nicht. Das Leben, die Innovationen, die kulturellen Taktgeber: die spielen längst woanders. Wer Teilhabe will, wird dort hingehen müssen. „Deutsch“ hilft einem da nicht weiter.

    Und warum ist das so? Ganz einfach: Das ist ein Muster der Geschichte. Mächte steigen auf, verharren in Selbstzufriedenheit – und werden irgendwann von agileren, hungrigeren Regionen überholt. Rom ist nicht an den Barbaren, sondern an sich selbst zerbrochen. Das Osmanische Reich versank in Bürokratie und Selbstzufriedenheit. Spanien lebte Jahrhunderte vom kolonialen Gold, bis es nichts mehr zu verteilen gab. Heute sind wir an der Reihe – und wir benehmen uns exakt genauso.

    Die bittere Ironie: Wir könnten es besser. Wir hätten das Wissen, die Mittel, die Köpfe. Aber wir stecken fest in Nostalgie, Bequemlichkeit und dem ewigen Ritual, Schuldige zu suchen. Und während wir diskutieren, ob Patriotismus beim Wein hilft, läuft die Welt einfach an uns vorbei.

    1. Karl sagt:

      Nicht „Europa“ war Exportweltmeister, sondern Deutschland. Trotzdem sind in Ihrem Kommentar viele kluge Gedanken. Ich glaube allerdings nicht an einen Gegensatz zwischen ihnen und Patriotismus. Beides gehört zusammen, wenn Deutschland heraus will aus Stillstand und sogar Schrumpfung. Das ist ein Dauerthema der Beiträge hier und auch meines folgenden, der schon in der „Röhre“ liegt.

  2. FederOhneFlagge sagt:

    Lieber Karl,

    Ihr Gedanke, Patriotismus müsse mitdenken, wenn wir aus Stillstand und Schrumpfung herausfinden wollen, ist interessant. Aber ich glaube: Das geht nur, wenn wir Patriotismus völlig neu definieren – nicht als Rückblick, sondern als Verpflichtung, Zukunft konkret möglich zu machen.

    Patriotismus hieße dann: keine Milliarden mehr ins Dienstwagenprivileg, sondern in ein deutsches Pendant zu OpenAI oder Nvidia. Keine Subventionen für alte Dieselwerke, sondern Aufbau eines Batteriezentrums mit globalem Anspruch. Kurz: Geld und Energie dorthin lenken, wo Neues entsteht.

    Patriotismus könnte auch heißen, Konsum als Innovationshebel zu verstehen: „Kauft deutsch“ nicht beim SUV von gestern, sondern bei Solarzellen, Wärmepumpen, Softwarelösungen. Und der Staat geht mit, indem er seine Milliardenaufträge konsequent an Firmen vergibt, die klimaneutral und digital zukunftsfähig produzieren.

    Patriotismus müsste zudem Talente anziehen statt ausschließen. Ein Land, das stolz auf sich ist, sorgt für offene Visa und Steuerprogramme, damit die besten Köpfe hier gründen. Ziel wäre: 100.000 neue Tech-Startups in zehn Jahren – nicht als nationale Folklore, sondern als Standortstrategie.

    Und schließlich geht es auch um ein neues Narrativ: Wir feiern nicht, dass wir einmal Exportweltmeister waren. Wir feiern, wenn hier die KI entsteht, die mit der Präzision und Rationalität eines deutschen Ingenieurs denkt – oder mit den sprachlichen Fähigkeiten von Schiller oder Goethe spricht. Das wäre Patriotismus, der nicht bremst, sondern antreibt.

    Darum meine Frage an Sie: Könnte so ein radikal neuer Patriotismus, konkret hinterlegt mit Investitionen, Regeln und Zielen, nicht tatsächlich Innovation beflügeln – während der alte, nostalgische Patriotismus uns weiter in der Vergangenheit festhält?

  3. FederOhneFlagge sagt:

    P.S.
    „Nicht „Europa“ war Exportweltmeister, sondern Deutschland.“

    natürlich. Ich begann den Text mit europäischen Blick und wollte noch ähnliche Gedanken aus Frankreich und Spanien hinzufügen, habe mich dann allerdings wieder auf Deutschland konzentriert, weil es sonst zu lang geworden wäre (im Text sind recht viele Denkanstöße zu denen ich im einzelnen recht viel sagen könnte, aber ich verzettele mich dann 😉 ). Den verkürzten Gedankengang zu Beginn habe ich dann allerdings nicht entsprechend korrigiert.

    1. Karl sagt:

      Liebe Feder ohne Flagge,

      es ist angenehm, mit Ihnen auf diese freundliche Weise zu diskutieren. (Aber Sie sollten wirklich mal bald einen eigenen ganzen Beitrag schreiben, den Sie bitte über „Schreiben Sie uns“ einreichen oder als Antwort bei den Kommentaren, dann aber bitte dazu schreiben, dass Sie einverstanden sind, wenn ich das zu einem eigenen Beitrag aufwerte.)

      Meine Gedanken zu Ihrem Kommentar:

      1. Ich stimme zu: Patriotismus in die Zukunft gedacht, ist wichtiger als der aus der Vergangenheit hergeholte. Aber wir wissen beide, dass sich das nicht ausschließt. Wenige Punkte ergeben eine wackelige Linie, besser sind viele, nah beieinander, aber und vor allem auch weiter auseinander, zum Beispiel vom Erfindergeist Werner von Siemens‘ um 1900 bis heute. Es ist eine Binse, dass hoch gewachsene Bäume mit weit auseinanderstrebenden Zweigen eine tiefe Verwurzelung brauchen.

      2. Deutscher Stolz und deutsches Selbstbewusstsein, die erst, wie wir offenbar beide meinen, die so wohltuende und nötige Offenheit gegenüber anderen Menschen und Gedanken erlauben, hängen mit der deutschen Sprache zusammen. Mit deutschem Steuergeld geförderte Forschung und Entwicklung hat in der Sprache der Geldgeber stattzufinden. Der jammernde Kleinmut, dass uns dann die klügsten Köpfe verlorengehen, wenn die Forschung nicht auf Englisch läuft, nervt mich. Es war bis jetzt immer so: Wer bezahlt, der bestellt und dessen Lied wird gesungen, und zwar in seiner Sprache. Inzwischen sind die technischen Übersetzungsmöglichkeiten so weit fortgeschritten, dass dann die Nuancen zwischen einer deutschen und englischen Formulierung das Denken nochmals anregen können. Für mich ist es jedenfalls völlig inakzeptabel, dass Wissenschaftler auf Kosten des deutschen Steuerzahlers in Deutschland leben und nach Jahrzehnten noch immer kein Wort Deutsch können. Wer das als Deutscher duldet, macht sich und die, die so dumm waren, Deutsch gelernt zu haben, klein. Er hat verdient, dass er verarscht wird.

      3. Ich stimme Ihnen zu, wir müssen in Deutschland gezielt Innovationen fördern. Noch sind wir auf vielen Gebieten führend. Wie viele verdeckte Weltmarktführer gibt es in Deutschland, vor allem bei den Mittelständlern! Das müssen wir erhalten und ausbauen. Aber Entschuldigung, wenn ich Ihnen dabei mit einen Reizwort komme: Technologieoffenheit. Ich sehe zum Beispiel gerade in der Dieseltechnologie, die in Deutschland entwickelt wurde, noch viele Potenzen. Schon jetzt kommt die Luft in mancher Hinsicht sauberer aus einem Dieselmotor heraus, als sie eingesaugt wurde und der Verbrauch ist niedriger als beim Benziner. Aber auch bei ihm gibt es eine Zukunft: Stichwort synthetische Kraftstoffe und erst die Kernenergie. Was ist das für ein Wahnsinn, immer mehr Strom zu brauchen und zugleich die sichersten Kernkraftwerke der Welt abzuschalten, die wir mit unseren Erfahrungen und unserer Ingenieurskunst noch sicherer machen könnten, auch insofern der radioaktive Abfall immer weniger anfällt, weil er immer besser wiederverwendet werden kann. Und das alles nur, weil es Fundamentalisten nicht nur im Islam gibt, sondern mit einem irrationalen Hass auf die Atomkraft auch bei den Grünen.

      Bis hierhin erst einmal nur. Man soll nicht zu viel auf einmal essen und auch nicht zu viel auf einmal denken und schreiben.

  4. FederOhneFlagge sagt:

    Ihre Baum-Metapher hat etwas Schönes, dem ich durchaus zustimme: Ohne Wurzeln wächst kein Baum, und die „deutsche Ingenieurskunst“ als Teil dieser Wurzeln zu sehen, halte ich für richtig. Aber aus meiner Erfahrung weiß ich: Die Kraft liegt oft gerade in der Kombination zweier Welten. Ein Baum wird stärker, wenn man ihn veredelt, wenn man neue Triebe aufsetzt oder sogar einmal radikal zurückschneidet, damit er gesünder austreibt. Es reicht nicht, nur den alten Stamm zu bewahren – manchmal muss man die Krone öffnen, damit Licht hereinfällt. Für mich heißt das: Tradition ja, aber nur, wenn sie den Mut zur Erneuerung nicht blockiert.

    Beim zweiten Punkt sehe ich es sehr anders. „Wer bezahlt, der bestellt und dessen Lied wird gesungen“ klingt für mich weniger nach gesundem Selbstbewusstsein, sondern eher nach Arroganz – und, ehrlich gesagt, nach einem Grundübel unserer Gesellschaft: dem Glauben, dass Geld allein bestimmt, wie Wissenschaft und Zusammenarbeit abzulaufen haben. Der Zugewinn, den wir durch internationale Forscher hier im Land haben, ist um ein Vielfaches größer als der Kostenanteil, den sie uns „verursachen“. In dieser Situation sind wir nicht der Besteller, sondern der Gastgeber – und ein guter Gastgeber behandelt seine Gäste respektvoll. Dazu gehört auch, dass man nicht auf Zwang besteht, sondern auf Verständigung setzt. Deutsch ist eine reiche Kultursprache, ja – aber im Alltag der modernen Wissenschaft steht sie dem Austausch eher im Weg. Die Arbeitssprachen von Forschung und Technologie sind nun einmal global englisch.

    Gerade das Beispiel Einstein zeigt, wie wenig Sprachbeherrschung über wissenschaftliche Bedeutung entscheidet. In Princeton sprach er zeitlebens eher bescheidenes Englisch, schrieb viele Texte weiterhin auf Deutsch und ließ sie übersetzen – trotzdem prägte er die Weltphysik. Kolportiert wird sogar, sein Mitautor Leopold Infeld habe einmal gescherzt, Einstein habe sich mit nur wenigen hundert englischen Wörtern begnügt. Entscheidend war nicht die Sprache, sondern die Substanz der Ideen.

    Beim dritten Punkt muss ich deutlich widersprechen. „Technologieoffenheit“ klingt schön, wird aber oft als Feigenblatt benutzt, um längst überholte Konzepte am Leben zu halten. Das zeigt sich schon an der immer wieder kolportierten Behauptung, „ein moderner Diesel stoße sauberere Luft aus, als er ansaugt“. Diese Aussage wird gern im Stammtisch weitergereicht, beruht aber auf einer Fehlinterpretation einzelner Messungen zu Feinstaubpartikeln. Ja, Dieselabgase enthalten manchmal weniger Feinstaub als die Stadtluft an der Messstation – aber nur, weil der Feinstaub im Partikelfilter hängenbleibt. Früher wurde ein voller Filter einfach gewechselt, heute wird er „freigebrannt“: bei zügiger Autobahnfahrt mit hohen Drehzahlen. Ein Blick in die Bedienungsanleitung eines modernen Diesels reicht: Wenn die Warnlampe für „Dieselfilter voll“ aufleuchtet, lautet die Empfehlung tatsächlich, über längere Zeit mit höherer Geschwindigkeit und Drehzahl zu fahren. In der Stadt eine „wundervolle Idee“ – Emissionen rauf, genau dort, wo die Luft ohnehin am schlechtesten ist.

    Dass ein Diesel sparsamer läuft als ein Benziner, ist auch kein Geheimnis, sondern simple Physik: Diesel hat eine rund 30 % höhere Energiedichte. Mit „Ingenieurskunst“ hat das wenig zu tun, sondern mit der Chemie des Treibstoffs. Nur: Das hilft nichts, wenn wir über Klimaneutralität reden. Stickoxide, Ruß, CO₂, polyzyklische Kohlenwasserstoffe – all das kommt weiterhin hinten heraus. Kein Hersteller würde im Ernst auf die Idee kommen, diese „so saubere“ Luft in den Innenraum zu leiten.

    Wer wirklich von „Technologieoffenheit“ sprechen will, sollte Batterieforschung, Solarenergie, neue Materialien oder Quantencomputer nennen – und nicht die Dauerverlängerung alter Geschäftsmodelle. E-Fuels klingen hübsch, sind aber Energieverschwendung, ähnlich wie Wasserstoff: Der Strom, der für ihre Herstellung gebraucht wird, fährt in einem Akkuauto drei- bis fünfmal so weit. Verbrenner sind tot, der Elektromotor ist ihnen in Effizienz und Zukunftsfähigkeit überlegen. Alles andere sind Parolen, die man seit Jahren hört – sie werden durch ständiges Wiederholen nicht richtiger.

    Und noch ein Wort zur Atomenergie: Ja, sie wirkt sauber in Bezug auf CO₂-Emissionen. Aber Uran kommt nicht aus deutschen Bergwerken, sondern aus Russland, den USA oder anderen Quellen. Das ist dieselbe Zwickmühle wie beim Erdgas: Man vertraut seine Energieversorgung denselben Mächten an, vor denen man sich politisch abhängig macht. Ich persönlich neige dazu, weder den Russen noch den USA unsere Energieproduktion anzuvertrauen.

    Selbst auf ihrem Höhepunkt in den 1990ern kam die Atomkraft in Deutschland nie über etwa 30 Prozent Anteil am Strommix hinaus. Sie war also nie der große Rettungsanker, als den manche sie heute verklären.

    Und dann bleibt nur die eine Energiequelle, die sich seit 4,5 Milliarden Jahren als die zuverlässigste überhaupt erwiesen hat: Fusion. Allerdings nicht im Labor – sondern die gigantische Fusionsmaschine am Himmel, unsere Sonne. Sie liefert uns jeden Tag verlässlich Energie, völlig kostenlos. Die Zukunft liegt deshalb nicht im Rückgriff auf alte Spaltreaktoren, sondern in der konsequenten Nutzung von Solar- und Windenergie, ergänzt durch Speichertechnologien.

    Zum Vergleich: Während wir hierzulande über „Dunkelflauten“ diskutieren, hat China allein im Mai 2025 rund 90 Gigawatt Solar zugebaut – das sind grob 100 Solarmodule pro Sekunde. Im ersten Halbjahr 2025 waren es über 250 Gigawatt, also immer noch mehr als 40 Module pro Sekunde im Schnitt. Mittlerweile liegt die gesamte installierte Solarkapazität in China bei über 1 Terawatt. Damit ist China das Land, das als erstes auf dieser Welt mehr als 1TW Solarkapazität überschritten hat. Dort sieht man, wo die Musik spielt – und warum es egal ist, was der deutsche Stammtisch über Solar „glaubt“ oder noch schlimmer zu glauben meint.

    Warum also nicht auch hier konsequent? Tiefgaragen, die wir in einer Zukunft mit autonomen Fahrzeugen gar nicht mehr brauchen werden, könnten wir zu riesigen Energiespeichern umbauen – mit Batterien oder Wärmespeichern, die auf billigem, sonst unbrauchbarem Wüstensand basieren. Skandinavien macht es längst vor: Dort nutzt man Sandbatterien, um sogar monatelange Polarnächte mit Solarstrom zu überbrücken. Für die Kosten von fünf neuen Atomkraftwerken könnten wir die deutsche Stromproduktion nachhaltig auf Wind und Sonne umstellen – für Generationen, ohne neue Abhängigkeiten von Uranimporten.

    Und noch ein Wort zu Ihrer Bemerkung über „Fundamentalisten nicht nur im Islam, sondern auch bei den Grünen“. Ich halte das für unpassend. Es klingt wie die typische Parole „die Grünen sind schuld“ – ein reflexhafter Schuldzuweisungsautomat, der nichts erklärt, aber Vorurteile bestätigt. Vorallem die Fakten sagen da etwas anderes, aber wie bei jeder Polemik werden sie damit ausgeblendet. Der Atomausstieg war von Anfang an ein zentrales Thema der Grünen, ja – das stimmt. Aber daraus „irrationalen Hass“ zu konstruieren, ist aus der Luft gegriffen. Die Grünen hatten dafür valide Gründe und für viele Grünenwähler ist es einer der zentralen Punkte. Viel eher wirkt es so, als sei es die eigene Angst vor Neuem, die sich in solchen Formulierungen Bahn bricht. Wer ständig von „Technologieoffenheit“ spricht und gleichzeitig Wind, Sonne und Speicher schlechtredet, wirkt selbst fundamentalistisch – nämlich im Unterdrücken neuer wirklich revolutionärer Lösungen.

    1. Karl sagt:

      „Verbrenner sind tot, der Elektromotor ist ihnen in Effizienz und Zukunftsfähigkeit überlegen. Alles andere sind Parolen, die man seit Jahren hört – sie werden durch ständiges Wiederholen nicht richtiger.“

      „Die Mehrheit der deutschen Journalisten ist den Grünen zugeneigt.“ Das konnte man in den letzten Monaten immer wieder lesen. Deswegen ist es nicht so, dass die „alten Parolen“ in den Medien ständig wiederholt werden. Was ständig wiederholt wird, sind die grünen Parolen. Aber es nützt ihnen immer weniger.

      Die Tatsache, dass Einstein nie richtig Englisch lernte, interpretiere ich anders als Sie: Sie spricht für die große Bedeutung der deutschen Sprache beim physikalischen Denken. Sie ist ein Plädoyer, in der Wissenschaft bei Deutsch zu bleiben und Englisch nur dazu zu nehmen

  5. FederOhneFlagge sagt:

    Lieber Karl,

    auf drei Ihrer Punkte möchte ich direkt eingehen – zum Verbrenner, zu den angeblich „grünen Parolen“ und zu Einstein.

    Zum Verbrenner: Der Vergleich mit der Glühlampe passt genau. Beide funktionieren, beide haben Geschichte geschrieben – aber beide sind physikalisch ineffizient. Eine Glühlampe wandelt über 90 % der Energie in Wärme um, ein Verbrenner verliert rund zwei Drittel seiner Energie ebenfalls als Abwärme. Physik würfelt nicht: Diese Verluste bleiben, egal wie viel Ingenieurskunst man hineinsteckt. Einen Motor weiterzubauen, der den Großteil seiner Energie verheizt, ist reine Ressourcenverschwendung – Verrat an unseren Kindern, deren Zukunft wir durch diese Verschwendung verbauen. Deshalb sage ich: Der Verbrenner ist tot. Und jede Minute, die wir noch in ihn investieren, ist verlorene Zeit.

    Zu den angeblich „grünen Parolen“: Ich halte es für einen groben Fehler, wissenschaftlich fundierte Aussagen oder den Stand moderner Technik als „Parolen“ abzutun. Der Hinweis auf Effizienz, auf erneuerbare Energien oder auf E-Mobilität ist kein Glaubenssatz, sondern entspricht schlicht den physikalischen und ökonomischen Fakten. Ein Elektromotor wandelt etwa 90 % der Energie in Bewegung um, ein Verbrenner nur etwa 30 % – das ist keine Ideologie, sondern Thermodynamik. Strom aus Sonne und Wind ist seit über zehn Jahren kontinuierlich billiger geworden und kostet heute weltweit weniger als Kohle oder Atom. Und die globalen Verkäufe von Elektrofahrzeugen steigen Jahr für Jahr weiter und liegen 2025 bei deutlich über 20 Millionen Stück.

    Die eigentlichen „Parolen“ kommen von der Gegenseite: vom unbelehrbaren Festhalten am Alten, vom romantisierten Mythos der „deutschen Auto-Ingenieurskunst“. Fakt ist, dass deutsche Hersteller bei den entscheidenden Zukunftstechnologien zu langsam und zu unflexibel waren. Kapitalismus ist in dieser Hinsicht radikal: Wer die Realität ignoriert, verliert – egal, wie sehr man sich in nationale Mythen flüchtet.

    Zu Einstein: Sie nehmen nur den Teil meiner Bemerkung, der in Ihr Bild passt. Tatsache ist: Seine Werke wurden ins Englische übersetzt und weltweit verlegt, während Deutsch als Wissenschaftssprache nach 1945 massiv an Bedeutung verlor. Das lag nicht an mangelnder „Größe“ der deutschen Sprache, sondern am Zeitgeist: Nach den Schrecken der Hitlerdiktatur war Deutsch international schlicht verpönt. Zwar gab es während des deutschen Wirtschaftswunders eine kleine Renaissance, aber inzwischen ruhen wir uns – wie ich schon in einem anderen Beitrag schrieb – auf alten Lorbeeren aus. Faktisch spielt Deutsch heute in der Wissenschaft keine Rolle mehr.

    Wenn wir eines Tages wieder echte Exzellenz erreichen und die Führung in Wissenschaft und Technik übernehmen, dann mag auch die deutsche Sprache eine Wiederentdeckung erfahren. Aber bis dahin gilt: lieber demütig schweigen und sich an den Besseren orientieren, statt trotzig eine Rolle einzufordern, die man nicht mehr innehat.

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