Das kindliche und das erwachsene Denken

Wenn Politiker kindlich denken, wird’s schlimm. Ich habe mich als Bürger der DDR nie mit dieser anfreunden können, weil mir zu klar war, dass sie eine Karikatur dessen gewesen ist, was Karl Marx und Friedrich Engels gemeint hatten. 

In diesem Sinne schrieb ich für eine FDJ-Zeitung einen Artikel, der erstaunlicherweise tatsächlich veröffentlicht wurde. Ich mokierte mich darin über die schlichten Gemüter, die glaubten, eine „kommunistische“ Erziehung gelinge nur, wenn über explizit sozialistische Themen, Ernst Thälmann, die Rote Fahne, die Arbeiterklasse u.ä., gesprochen werden würde.

Meine Gegenthese war, die gemeinsame Vorbereitung eines unpolitischen Klassenfestes durch den Gruppenrat oder die FDJ-Klassenleitung unter Einbeziehung möglichst vieler Mitschüler, wofür viele ihr Eigenes aktiv einbringen, trägt mehr zur kommunistischen Erziehung bei als ein Nachmittag oder Abend mit einem Vortrag über irgendeine sozialistische Koryphäe, wo einer – vielleicht sogar ein Lehrer – redet und die Schüler nur passiv zuhören.

Honecker und Konsorten hatten ja nie den Marxismus richtig begriffen. Eines seiner Wesen besteht in der Aufhebung der Arbeitsteilung, auch der zwischen geistiger und körperlicher Arbeit. In der verspießerten DDR galt, dass man um zu leiten und zu führen, das ausführlich studiert haben müsste. Es gab aber schon immer Menschen, die konnten zum Beispiel gute Leitartikel schreiben, ohne dass sie jemals ein leitender Redakteur waren, geschweige denn das studiert hatten.

Deswegen regte mich in der DDR der Passus in (fast) allen Impressen der Zeitungen auf: „Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird keine Gewähr übernommen.“ Marx wollte ja gerade, dass jeder auf seine eigene Faust denken und Gedanken veröffentlichen können sollte.

Wir leben in einer wunderbaren Welt, in der das heute im Internet möglich ist – zum Beispiel auch auf dieser Seite -, und wieder regen sich Spießer darüber darüber auf, dass Leute ihre politische oder philosophische Meinung mitteilen, obwohl sie gar nicht diesbezüglich „ausgebildet“ wären, zum Beispiel als eine Art „Diplomdenker“. Der fremde, der quere Blick hilft ja aber manchmal gerade erst, das zu erkennen, was angeblich „fachkompetenten Experten“ („Fachidioten“) gar nicht mehr auffällt.

Ich hörte, dass der FDJ-Zentralrat empört war, wie man so etwas „Unparteiliches“ denken und veröffentlichen konnte.

Ich bin, wie Sie vielleicht schon mitbekommen haben, ein großer Freund der Analogienbildung. So kommt das Denken in Seitwärts-Sprüngen voran, kann sich von einer Spur zur anderen schwingen und in eine ganz andere Richtung weiter fortbewegen, ohne sich im direkten Sinne „mutieren“ zu müssen, obwohl das ja nachgewiesener Weise auch zur Entwicklung (der Arten) beiträgt.

Es ist ein ganz schöner Schwung-Sprung des Geistes, den ich jetzt hier riskiere: Ich hüpfe hin zu Rothaarigen, die gemobbt werden. Schlichte, kindliche Gemüter sagen, wir müssen jetzt besonders auf alle Rothaarigen achten. Das darf nie wieder passieren, dass sie schikaniert werden.

Dann melden sich welche mit blonden Strähnen im roten Haar und sagen, dass sie auch ehrenwerte Opfer wären, die gleich nach den Rothaarigen besonders bedacht werden müssten. Inzwischen werden Blonde oder Dunkelhaarige zusammengeschlagen, aber das interessiert keinen, denn diese sind nicht im Fokus der Aufmerksamkeit.

Wenn es irgendwo ein verzweifeltes Schreien eines Menschen gibt, wird nach dieser West-Menschen-Logik zuerst geguckt, ob ein Rothaariger attackiert wird. Wenn nicht, ist es nicht so schlimm, dann können wir in aller Ruhe mit dem weitermachen, was wir gerade unterbrochen haben.

Die einfache Lösung, die Gewalt als solche zu ächten, egal welche Haarfarbe die Menschen haben, die sie betrifft, kommt für die schlichten Gemüter, die auf eine kindliche Weise denken, nicht in Frage.

Ahnen Sie, worauf ich hinaus will? Da empören sich Politiker und Journalisten, dass Jugendliche aus Deutschland, die routinemäßig durch ehemalige Konzentrationslager geschleust werden, keine wirkliche Empathie mit den Opfern empfinden bzw. sich und andere ehrlich und ernsthaft fragen, was denn mit den (fast) verhungerten Kindern ist, die heute vor den Toren Europas im Gaza-Streifen um ihr Leben kämpfen.

Das sind keine Juden (in der Analogie: „Rothaarige“), aber doch wohl auch Menschen, wenn auch „nur“, wie es mir scheint, wenn ich sehe, wie die deutsche Regierung darauf reagiert, minderwertigere, nicht so wichtige, nämlich palästinensische. Und: Die Palästinenser hätten ja am 7. Oktober angefangen, also verdient, dass ihre Kinder ausgehungert werden?

Und was war vor dem 7. Oktober? Wie viele UN-Resolutionen gibt es, die die völkerrechtswidrige Annexion arabischer Gebiete durch den israelischen Staat verurteilen? Und nichts war passiert. Im Gegenteil. Der „freie Westen“ hatte zugesehen, wie israelische Siedler Araber als minderwertige Menschen behandelt hatten, ermordet, beraubt und vertrieben, denen nicht die gleichen Rechte zustehen wie dem von Gott auserwählten israelischen Volk.

Jetzt gerade zeigt die israelische Regierung wieder ihre gnadenlose Arroganz: Ein anderer Staat wird bombardiert, um Verhandlungen zu verhindern, die zu einer friedlichen Lösung des jahrzehntelang aufgestauten Konflikts beitragen könnten. Mehrere Unbeteiligte sterben.

Die deutsche Regierung hält das für „inakzeptabel“, verwickelt sich aber in einer riesigen Empörungswelle, wenn russische Drohnen, beabsichtigt oder unbeabsichtigt, auf polnischen Gebiet niedergehen, dort einen Dachboden beschädigen, aber keine Menschen verletzen.

Das sind die doppelten Maßstäbe des „Westens“, derer die Welt bald überdrüssig ist.

Es sollte und könnte so einfach sein: Kinder auszuhungern ist niemals legitim, weder in einem deutschen Konzentrationslager, noch in Leningrad von 1941 – 1944, noch im Gazastreifen.

Es handelt sich immer, in jedem Fall um völlig unschuldige Menschen und es ist sinnlos, zwischen rot- , dunkelhaarigen und blonden Kindern diesbezüglich differenzieren zu wollen. Das gilt sogar – es ist Wahnsinn, wozu er sich versteigt, der weder Geschichte noch politische Bildung studiert hat, – für deutsche Kinder, die von alliierten Bombenflugzeugen und Tieffliegern attackiert wurden, als der Krieg längst entschieden war.

Für Romy Schneider, zum Beispiel auch, war das ein traumatisches Erlebnis, über das sie nur bruchstückhaft berichten konnte. Schließlich war sie ja auch als Kind ein „böses“ gewesen, nämlich deutsch. In meiner eigenen Familie gab es Leute, die inzwischen verstorben sind, die über anglo-amerikanische Tieffliegerangriffe berichteten, die sie als Kinder erleben mussten. „Es war wie eine Hasenjagd; sie kamen immer wieder.“

Offenbar waren deutsche Kinder für diese Piloten „Untermenschen“, die ruhig vernichtet werden konnten und sollten. Und diese Amerikaner haben uns dann die „Demokratie“ gebracht. Wie sehr sie dazu prädestiniert waren und sind, können wir heute noch an Trump sehen, der sein Verteidigungsministerium zum Kriegsministerium macht und der kurzerhand Grönland erobern und als neuen US-amerikanischen Bundesstaat in die USA einverleiben will. (Deutschland hat er ja schon. Stichwort: Rammstein.) Seine Vorgänger im Präsidentenamt, einschließlich solcher „Demokraten“ wie Obama sind für zig völkerrechtswidrige Angriffskriege verantwortlich.

Aber vor Putin sollen wir uns fürchten und ihn zusammen mit den Amerikanern bekämpfen, die sich nie um Menschenrechte gekümmert hatten, wenn es ihren Interessen widersprach. Putin zu besiegen wird wohl sowieso nichts, da Trump offenbar viel für Seinesgleichen übrig hat. Da wird Friedrich Merz noch mehr schleimen müssen, aber auch das wird nichts nützen.

Diese einfache Logik hatte kurz nach dem 7. Oktober eine palästinensische Publizistin / Politikwissenschaftlerin aus Deutschland versucht, den Deutschen zu erklären: Die historische Lehre aus Auschwitz ist nicht, mit Argusaugen darauf zu achten, dass Juden keine Gewalt mehr angetan wird. Sie ist, darauf zu achten, dass unschuldigen, hilflosen Menschen, also zum Beispiel besonders Kindern, nie mehr eine solch maßlose Gewalt angetan wird wie damals in Auschwitz, ganz egal, welcher Nationalität oder Religion sie sind.

Erstaunlich ist, dass auch Massenmörder wie Stalin zu klaren Erkenntnissen über das Wesen des Menschen kommen konnten. Er sagte, ein einzelner Ermordeter, mit dem uns eine persönliche Beziehung verbindet, berührt uns mehr als das Schicksal von Millionen Ermordeter. Insofern stimmt es zwar, dass der Vernichtungsfeldzug der Nazis gegen die Juden historisch einmalig war, durch die Zahl der Toten, sechs Millionen, und dadurch, dass ihre Tötung sozusagen industriell erfolgte.

Und trotzdem: Es bleibt auch bei dem, was Stalin sagte: Ein einziger ermordeter Unschuldiger bringt einen Menschen mit Gewissen und Mitgefühl aus der Ruhe, lässt ihn dagegen mit aller Kraft aufbegehren; das passiert nicht erst nach einer Mindestzahl Ermordeter.

Das ist die Lehre und die historische Mission, die uns Deutschen auferlegt ist. Und in dieser Hinsicht versagt die deutsche Regierung jämmerlich. Wieder ist sie daran beteiligt, dass unschuldige Menschen umgebracht werden durch Waffenlieferungen und unterlassene Hilfeleistung, schon in der Form, dass Deutschland nicht in den Chor derer einstimmt, die solche Untaten hart, laut und unmissverständlich verurteilen, auch dann, wenn es sich um Verbündete handelt, die sie begangen haben.

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