Vom Ahnenkult bin ich geheilt

Der nächste Brief an einen Enkel, den ich schreiben werde, gilt meinem Stiefenkel Moritz. Er ist nicht von meinem Blut und ich fühle mich ihm trotzdem – nach Hans – am engsten verbunden.

Dieser Umstand hat mich darauf gebracht, meine gläubige Begeisterung für die Erforschung meiner väterlichen Vorfahren kritisch zu hinterfragen.

Dass ich mich allein auf die väterlichen Vorfahren beschränke, hat nichts mit einer Arroganz des Männlichen, sondern viel mehr mit meiner Faulheit zu tun: In den alten Zeiten war bestimmt nicht alles besser, nicht einmal das Meiste, wenn ich nur an den Zahnarzt denke, aber es war viel mehr Verlass auf das Gewohnte. Der Familienname wurde konsequent von Vater zu Sohn weitergegeben, nie lustig durcheinander wie heute mal vom Vater und mal von der Mutter. Ein paar Hundert Jahre hat das funktioniert; jetzt ist es nicht mehr gut genug – in Deutschland.

Wenn ich die mütterlichen Vorfahren miteinbezogen hätte, wäre es wegen der wechselnden Familiennamen viel schwerer, die Übersicht zu behalten. Das allein war der Grund für meine Konzentration auf den väterlichen Strang der Ahnen.

Wenn ich jetzt also spüre, dass mir ein Menschenkind näher ist, das gar nicht blutsverwandt mit mir ist (und sogar halb asiatischer Abstammung), als andere Enkel, die meine leiblichen Nachkommen sind, dann muss ich mich fragen, welchen Sinn die Ahnenforschung haben soll.

Wenn sozusagen horizontal in der Gegenwart die Wesensverwandschaft wenig mit biologischer Verwandschaft zu tun hat, das Blut also doch nicht dicker ist als das Wasser bzw. sich das „Wasser“ als „Auch-Blut“ entpuppen kann, dann sollte ich mich viel mehr um die Seelenverwandtschaft kümmern als um Blutsverwandschaft.

Das ist im Übrigen auch mein Standpunkt in der politischen Diskussion dazu, wer deutsch ist.  Entscheidend sind keine biologischen Rassemerkmale, sondern Mentalitäts-, Gefühls- und Denkarten. Und da kann ein Nicht-„Germane“ durch seine Erziehung, die eine entsprechende Veranlagung aufgreift und verstärkt, deutscher geworden sein, als es viele „Germanen“ heute sind, nämlich gemeinschaftsunfähige, verwöhnte Wohlstandskinder, die unbedingt im Westen, das heißt vor allem im anglo-amerikanischen Kulturgebiet angekommen sein wollen. Sie fahren alle nach Neuseeland und Australien, auch gern in die USA und nach Großbritannien, als das noch leicht ging.

Im Riesengebirge gleich nebenan, gesättigt mit deutscher Geschichte, waren sie noch nie, das kennen sie nicht und das interessiert sie auch nicht. Da lob‘ ich mir einen Tschechen oder einen Ungarn, zum Beispiel, der sich dafür interessiert. Er ist so gesehen deutscher als die Bio-Deutschen.

So beantwortet auch die AfD in ihrem Parteigrogramm die Frage, wer Deutscher ist und wer nicht, unabhängig davon, was einzelne AfD-Mitglieder sagen und was gegen die AfD in den etablierten Medien behauptet wird, um Gründe für ein „demokratisches“ Parteienverbot zu sammeln, das im Falle der AfD, genau betrachtet, auch ein Gedankenverbot ist. Sollten das wirklich falsche oder sogar verbrecherische Gedanken sein, müssen sie erst ausgesprochen werden, damit sie bekämpft werden können. Konturenlose oder gar ganz unsichtbare Geister lassen sich nicht besiegen, sie müssen erst eine gedankliche und sprachliche Gestalt gewonnen haben, bevor das möglich ist. Nur so können sie gemäßigt und kultiviert werden.

Unser gegenwärtiger Bundeskanzler ist auch so einer, zwar äußerlich biodeutsch, aber mental-innerlich „überdeutsch“. Die Interessen der Nato und der EU sind ihm wichtiger als die Interessen seiner eigenen Nation, im Zweifelsfall haben diese sich immer unterzuordnen, ganz anders als das in den westlichen Hauptmächten USA, Großbritannien und Frankreich der Fall ist. Dort ist es genau andersherum.

Deswegen bezahlen nicht etwa Frankreich oder Großbritannien die zusätzlichen „Pätriots“ (je deutscher bezahlt, desto englischer auszusprechen), sondern natürlich Deutschland. Wir haben’s ja; wir zahlen alles und jedes, was angeblich der Demokratie in Europa und der Welt dient, bloß nicht das, was die eigenen Leute, die, die eine deutsche Mentalität haben, vererbt und/oder im Leben erworben, dringend brauchen. Da sollen Rentner lieber in Abfallkörben nach Pfandflaschen suchen, Notaufnahmen, Krankenhäuser und Schulen überfüllt bleiben, solange es nur die Deutschen betrifft – im angeführten doppelten Sinn. (Die guten Deutschen sind ja privatversichert oder können sich Privatschulen leisten.) Da macht es nichts.

Dann stört es unsere politische Klasse nicht. Aber der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht. Irgendwann werden diese „Demokratie-auf-Kosten-Deutschlands-Vertreter“ abgewählt, auch in Deutschland, wenn zuerst auch nur in den „ostdeutschen“ Ländern.

Merz steht eisern dafür ein: Die gegenwärtige Führung der Ukraine braucht unbedingt noch mehr Waffen, die primär von Deutschland zu zahlen sind, weil sich ja bisher eindrücklich gezeigt hat, dass immer noch mehr Waffen zur Befriedung führen.

Aber wo war ich? Was wollte ich? Erklären, warum ich die Ahnenforschung lasse. Weil die, um es noch einmal zusammenfassend zu sagen, die mir blutsnah sind, sich zum Teil als wesensfremd herausgestellt haben. Ein naher Verwandter zum Beispiel glaubt im Ernst daran, dass sich am Ende des 2. Weltkrieges 80 deutsche U-Boote unter das Polareis hindurch auf die andere Seite gerettet haben und dort jetzt alle Fluggeräte, die das Gebiet erkunden wollen, abgeschossen werden.

Die Rettung für Deutschland seien US-amerikanische und russische Militärpolizei, die gemeinsam auf deutschem Territorium patrouillieren sollen bzw. werden, um die Ordnung hier wieder herzustellen.

Er glaubt seiner Frau auch, dass meine Mutter, die Kuchen gebacken und ihm angeboten hatte, das nur tat, um „ein Fuß“ in sein Geschäft zu bekommen, um es dann und dadurch schrittweise übernehmen zu können. Alle, die meine Mutter kannten, wissen, wie völlig absurd diese Befürchtung ist.

Wer das glaubt, der glaubt seiner Frau auch, dass ich ein Feind sei und deswegen von Familienfeiern ausgeschlossen werden muss. Und andere nahe Blutsverwandte unterstützen diese Niedertracht, nehmen die Einladung zu kommen, (gern) an, unter der ausdrücklichen Bedingung, die er stellt, dass der Karl aber nicht dabei sein darf.

Mein Gott, wie sind wir Menschen doch alle verletzlich. Ich bin es auch. Deswegen bin ich darauf gekommen, meinen nächsten Enkelbrief nicht an einen blutsverwandten Nachkommen zu schreiben, sondern an Moritz, einen seelenverwandten.

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