Morgen – der Entwurf dieses in mehreren Etappen geschriebenen Beitrags ist allerdings schon älter – fahre ich zu einer Weiterbildung in einem Hotel mit einer Übernachtung. Das sind nette Menschen, angekommen bin ich trotzdem nicht. Wenn die zwei, drei, die ich besser kenne und mit denen ich halbwegs vertraut bin, nicht da sind, fühle ich mich schlecht. In den Pausen stehe ich dann „dumm rum“ und weiß nicht, zu wem ich mich gesellen soll.
Ich denke, meinem jüngsten Sohn geht es ähnlich. Ich glaube, wir sind Seelenverwandte. Stundenlang hatte er in der Krippe nach seinen Eltern Ausschau gehalten, während sich seine Brüder schneller reinfanden. Das Gleiche gilt heute für meinen jüngsten Enkelsohn. Er ist lieber allein zu Haus, als dass er etwas länger im Hort bliebe, jedenfalls dann, wenn seine besten Freunde nicht auch dort sind.
Ich hätte nie gedacht, wie innerhalb kurzer Zeit das Kartenhaus meiner althergebrachten Beziehungen zusammenfällt. Das betrifft meine Herkunftsfamilie und meinen ältesten und besten Freund.
Auch gut, da bleibt mir das leise Rauschen des Waldes, beruhigend wie Meeresrauschen, bloß sanfter, aber auch eine „Sprache der Ewigkeit“. Als Junge, vielleicht zehn oder elf Jahre alt, fiel es mir auf, als ich mit meinen Eltern beim Pilze-Suchen war. Ich dachte, das bleibt dir immer, egal, was passiert. Und so ist es auch. Das bleibt immer.
So weit ist es nun. Nicht ganz:
Ich habe ja auch neue Menschen gefunden, die mich stärken und mit denen ich zum Teil auch schon wieder tief vertraut bin. Ein Glück, dass ich mich dazu vor fünf Jahren aufgerafft hatte, diese Bekanntschaftsanzeige aufzugeben und dass wir gelernt haben, zwei „Alphatiere“ vor dem Herrn, ein stilles (ich) und ein eher lauteres (sie), unsere immer mal wieder aufflammenden Streitereien zu einem friedlichen Ende, das weiter führt, „umzubiegen“.
Zwischenzeitlich hatte ich mich schon abgefunden damit, dass mir keine neue Zweisamkeit gelingen wird. Ich wollte mich in die Familie eines Sohnes einfügen. Das könnte, dachte ich, ja auch ein gutes Zuhause werden. Aber da habe ich mich geirrt. Mein Sohn hatte es mir angeboten, seine Frau, eine meiner Schwiegertöchter, hatte das Ganze stark relativiert: Auf keinen Fall im gleichen Haus, auch dann nicht, wenn es ein eigener Wohnbereich auf einer extra Etage wäre.
(Eine besonders schwache Leistung von meinem Sohn ist, das heute einfach zu bestreiten: Er hätte mir das gemeinsame Wohnen in einem Haus nie angeboten.)
Für ihre Mutter andererseits treffen die schwiegertöchterlichen Zweifel natürlich nicht zu. Sie ist gern willkommen im gemeinsamen Haus. Aber ich, ich sei ja so kompliziert und schwierig – ein typischer Fall von reziproker Über-Kopf-Spiegelung. Lustig. So stark und gefestigt bin ich immerhin, dass ich das lustig finden kann.
Aber es ist ja auch was dran: Jede Generation will in Ruhe leben, außer ich; ich wäre bereit gewesen, in das Haus meines Sohnes einzuziehen (und mich entsprechend finanziell zu beteiligen). Ich hätte mich gut einfügen können und wollen. Es ist typisch für das negativ-destruktive Denken dominanter Menschen, dass sie diese Möglichkeit von vornherein den Angehörigen der Großfamilie absprechen, dass sie sie primär als Konkurrenten sehen und erst danach als familiäre Mitmenschen. Und das, ohne auch nur einen kleinen Versuch in dieser Richtung unternommen zu haben, zum Beispiel einen gemeinsamen Urlaub in einem Haus in Ungarn.
Aber wer weiß, wozu dieser schwiegertöchterliche Alleinbestimmungsanspruch und das Einknicken meines Sohnes gut waren. Hätte es geklappt, wäre die enge Beziehung zu meinem jüngeren Enkel, von dem oben die Rede war, verloren gegangen. Der Abstand zwischen den zwei Wohnorten wäre beträchtlich gewesen: ca. 500 km.
Wahrscheinlich hat es das Schicksal doch gut mit mir gemeint, dass ich a) durch die geschilderten Umstände gezwungen war, in der Nähe meines seelenverwandten Enkels bleiben können zu müssen und b) optimistisch genug war, doch noch nach einem „eigenem“ neuen Lebenspartner zu suchen.
Aber der Zusammenbruch meines althergebrachten „Familienhauses“ ist trotzdem „ein Hammer“, den ich erst einmal verkraften muss. Dabei hilft mir das Schreiben, dieses Schreiben. Allein für die „Schublade“ zu schreiben, würde mir nichts nützen (hatte ich schon festgestellt), es würde mich nicht trösten. Es werden schon ein paar lesen, die direkt betroffen sind.
Das ist wie bei einem Streit: der Partner geht einfach. Dieses Ende, dieses vom anderen vollzogene Ende, wenn es auch nur ein vorläufiges ist, ist für mich noch frustrierender als der Streit selbst. Da ist es entlastend, dem Streitpartner wenigstens noch etwas hinterherzurufen, halbanonym, denn diejenigen, die ich meine, wissen das; die große Mehrheit der gewachsenen Leserschaft dieser Webseite weiß es aber nicht. Zwischenwelten liegen mir, deswegen tue ich das jetzt.
Daran sehe ich wieder, wie von grundauf gemeinschaftsbedürftig wir Menschen sind. Nur für uns selbst etwas zu tun, reicht auf keinen Fall; wir gucken immer auf „den anderen“, bedenken ihn mit bei allem, was wir tun und zum Beispiel auch schreiben. Das ist das hauptsächliche Motiv des Lebens und nichts anderes, denke ich jedenfalls.
Ich habe „Klarschiff“ gemacht, aufgeräumt, höre endlich mit der schaumgebremsten „diplomatischen“ Zurückhaltung auf. Das bin ich mir wert – inzwischen. Ich bitte um Verzeihung und Verständnis, dass ich meine Leser zum ersten Mal seit dem Bestehen dieser Seite mit persönlichen Angelegenheiten behellige (und das ist es jetzt mit diesem Beitrag auch gewesen). Aber für den Frieden meiner Seele ist diese Möglichkeit entscheidend, und was nutzt ein „guter Deutscher“, wenn er depressiv ist?
Weg von meinen persönlichen Problemen hin zu denen der ganzen Gesellschaft:
Das Zuhause-Thema hat auch eine national-politische Ebene.
Ich hatte darüber schon geschrieben: Ein Pole, ein Brite, ein Franzose, ein Italiener haben immer noch ein Zuhause im Hintergrund, nämlich ihr Vaterland. Was haben wir als Deutsche? Wir sollen auf die EU stolz sein, auf eine Staatengemeinschaft, die uns – das mit Abstand größte Volk in „Europa“ /1/ – diskriminiert: Es gibt fast doppelt so viele Deutschsprachige in der EU wie Französischsprachige, Deutschland allein zahlt netto doppelt so viel in den EU-Haushalt ein wie Frankreich und trotzdem steht die „Europäische Kommission“ überall nur auf Englisch und Französisch und äußern sich offizielle Vertreter der EU nur in diesen Sprachen.
Eine rühmliche Ausnahme war Martin Schulz (SPD), der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments, der seine Sitzungen immer, so weit ich das verfolgen konnte, auf Deutsch leitete. Er hat als offizieller Vertreter der EU sogar seine Rede in Israel auf Deutsch gehalten. Das dazu, dass es angeblich nicht möglich wäre, Deutsch in der EU gleichberechtigt mit den beiden anderen großen Sprachen zu handhaben.
Hauptschuld an ihrer Diskriminierung in der EU sind also die Deutschen selbst, eifrig stechen da die Grünen hervor, die sich besonders gern mit „englischen Federn“ schmücken und verkleiden. Dabei sind sie in einer Demokratie ihren eigenen Wählern rechenschaftspflichtig, aber es interessiert sie nicht, dass ein großer Teil dieser sie gar nicht verstehen kann. Sollen die doch gefälligst Englisch lernen, einschließlich meiner Oma, die schon gestorben ist, auch damit sie im eigenen Land in einem der Betriebe arbeiten können, in denen wie bei Siemens Englisch zunehmend zur Werkssprache wird. Wer die Abschaffung des Eigenen weiter forcieren will, muss also nur die Grünen wählen.
Die eigene Sprache ist nicht wichtig. Aber wehe, es wurde mal nicht durchgehend gegendert! Armes Volk. Aber jeder wählt sich sein Schicksal selbst, im direkten Sinn des Wortes. (Obwohl: Auch die AfD hat die Bedeutung des Sprachenthemas noch nicht erkannt, und es gibt genug dort, die sich auf dümmliche Weise an der Anglifizierung des Deutschen beteiligen.)
Die Diskriminierung des Deutschen und Deutschlands zieht sich durch die Zeiten. Sie begann, als wir es vor dem 1. Weltkrieg wagten, Großbritannien in der Industrieproduktion zu überholen. „Made in Germany“ sollte ein Schandzeichen sein. Die dummen Bauern-Lümmel östlich des Rheins, der Elbe und der Oder können doch nicht erfolgreicher sein als die edlen Briten und Franzosen. Das geht gar nicht.
„Mit einem Worte: wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne.“
Das sagte 1897 in einer Reichstagsdebatte der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes des Deutschen Kaiserreichs Bernhard von Bülow: Wir wollen niemanden verdrängen, wir wollen nur auch unseren Platz. Das war für die etablierten Mächte schon zu viel verlangt. Seitdem kämpfen sie für die Zurückdrängung des Deutschen und Deutschlands.
Wie „europäisch“ freundschaftlich das heute erfolgt, sieht man daran, dass wir alles zu bezahlen, aber nichts zu sagen haben, schon gar nicht in unserer eigenen Sprache. Man sieht es auch an Elsass-Lothringen und auch hier.
Fußnote
/1/ Die EU-Freunde reden ständig von „Europa“, wenn sie die EU meinen. Das „größte Volk“ in ganz Europa sind demnach nicht die Deutschen, sondern die Russen. Die meistgesprochene Sprache ist nicht Deutsch, sondern Russisch. Aber Deutsch(Land) ist der unangefochtene „Vizemeister“, allerdings natürlich nicht in der EU – da steht es in Bezug auf seine sprachlich-kulturelle Repräsentanz auf einer Ebene mit kleinen Ländern wie Slowenien oder der Slowakei.
Ach, Karl, wie ähnlich wir doch sind: Vorgestern hatten wir Betriebsfeier. Und ich wusste nicht, zu wem ich mich gesellen sollte. Fällt mir auch immer schwer. Ich hasse Empfänge. Zum Glück muss ich nicht mehr so oft auf solche. Die meisten, die mich kennen, würden sich über solche Aussagen wundern.
Allerdings ist meine Familiengeschichte nicht so bunt wie deine, geschweige denn mein eigenes Leben. Und obwohl wir uns nun auch schon fast 30 Jahre kennen, wusste ich freilich fast nichts von alledem. Danke für’s Teilen! Zwar bin ich der Jüngere und du mein „väterlicher Freund“ – dennoch habe ich den spontanen Impuls, dich in die Arme schließen zu wollen und zu sagen, dass alles gut ist, wie es ist. Oder wenigstens gut wird.
Hoffentlich kommst du gut durch die Weiterbildung. Das wäre doch schon mal was. 😉
Lieber Karl, ich weiß vom Traum deiner Großfamilie. Ich konnte ihn noch nie nachvollziehen, da ich weiß, welche Rolle man als Großelternteil einnehmen muss, wenn das Zusammenleben funktionieren soll. Einzige Ausnahme, die Kinder sind noch finanziell oder andersweitig auf Unterstützung angewiesen und ordnen sich entsprechend ein. Andernfalls wird es so eng beieinander kaum passen.
Meine Meinung basiert auf mehreren konkreten Beispielen, die allesamt irgendwann gescheitert sind.
Dagegen hat meine Schwiegermutter mit ihrer Tochter und deren Mann und Sohn in ihrer eigenen Wohnung bis fast ans Lebensende gelebt, hatte aber ihr eigenes Leben total aufgegeben und in den Dienst der Nachkommen gestellt. Sie führte den Haushalt, betreute das Kind und die Wohnung, wenn die Jungen verreisten. Sie ging sehr zeitig schlafen, da sie gar keinen eigenen Wohnbereich, sondern nur noch ein kleines Schlafzimmer für sich zur Verfügung hatte.
Meine Schwägerin führte eine äußerlich intakte Ehe, in der aber beide nie wirklich glücklich waren, weshalb er sich mehr und mehr dem Alkohol zuwandte, sie aber sich nie wirklich von der Mutter abnabelte und ihrem Mann stets das Gefühl gab, nicht wirklich wichtig für sie zu sein.
Ich denke, für ein „Alphatier“ wohl keine gute Idee, sich in die Familie eines Nachkommen einkuscheln zu wollen. Vielleicht hat es diesbezüglich das Schicksal sogar mit Karl ganz gut gemeint?
Kluge Menschen scheitern auch, aber sie suchen und finden immer die Chance auf etwas Neues, vielleicht sogar Besseres…