… die dadurch, dass sie es jedem Einzelnen recht machen will, es keinem mehr recht machen kann.
Ich bin auf dem Weg vom Einkaufen. Mein Smartphone klingelt. Der Bildschirm ist dunkel, ich klopfe darauf herum. Anstelle des erhofften grünen Kreises (oder ist es ein Hörer?), auf den ich drücken kann, um den Anruf anzunehmen, erscheinen auf dem Bildschirm vier Reaktionsmöglichkeiten. Eine davon ist, wie ich gerade noch lesen kann: „Dem Anrufer eine SMS senden“.
Die anderen drei kann ich auf die Schnelle nicht lesen, schon sind sie wieder weg.
Menschenskinder, ist das kompliziert. Ich will einfach nur einen Telefonanruf entgegennehmen. Mehr nicht und auch nicht weniger.
Aber unsere Welt muss – und will offenbar – von vornherein immer mehr individuelle Möglichkeiten in Betracht ziehen, wie ich reagieren können wollte. Sie muss und will diesen Strauß der Möglichkeiten auffächern, um uns Konsumenten-Menschen zu (ver)leiten, dass nur genau für uns selbst Passende anzuklicken.
Ich will auf ein allgemeines Telefonklingeln einfach nur mit einem pauschalen Ja oder Nein antworten können ohne Tausend Differenzierungsmöglichkeiten nach der Art „Ja, aber 10 Minuten später“ oder „Ja, aber nicht mündlich, sondern schriftlich per SMS“, wobei dann weitere Untermöglichkeiten der schriftlichen Antwort angeboten werden können.
Eine solche Auswahl, zu der ich spontan gerade schreiben wollte, dass sie mich in den Wahnsinn treiben würde, ist genau betrachtet, ja auch gar nicht so schlecht: „10 Minuten später“ bietet sich ja manchmal an, aber warum verschwindet diese Möglichkeit dann wieder so schnell vom Bildschirm, dass ich jetzt nur intuitiv erahne, dass sie dort gestanden haben kann?
Ganz ähnlich geht es mir mit der Nutzung des Smartphones oder meines Computers im Internet. Da sind so viele Haken zu beachten, die gesetzt oder gerade nicht gesetzt werden sollen/dürfen, dass die Sache einen dicken, fetten Haken bekommt, jedenfalls für einen alten Mann wie mich. Neulich funktionierten meine „Mobilen Dienste“ auf meinem angeblich klugen Telefon („Smartphone“) nicht, weil ich die verkehrten Haken gesetzt und z.B. die „Räumeverbindung“, das Rooming, aus Versehen inaktiviert hatte.
Mein „Provider“ – was oder wer ist bloß das? – kann nicht ein so dicht abgedecktes Netz anbieten, so dass die Verbindung zwischen verschiedenen Netzräumen angebracht ist. Zugleich hatte ich aber irgendwo eine Warnung vor dem „Rooming“ aufgeschnappt, so dass ich den Haken sicherheitshalber entfernt hatte.
Immer müssen wir uns entscheiden und oft sind wir in der Klemme. War das schon immer so? Bestimmt, aber die Entscheidungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten sind heute so ausdifferenziert, wie das früher offensichtlich nicht so war. Einerseits verschafft das unserem Handeln mehr Freiheitsgrade als früher, aber es macht es auch fehleranfälliger und stressiger. Ich für meinen Teil würde die differenzierende Individualisierung – und umgedreht – gern ein gutes Stück zurückfahren und nicht ständig, ein ums andere Mal gefragt werden, soll’s nicht doch lieber etwas runder sein oder eckiger oder schwarzer oder weißer?
Einfach nur etwas, das funktioniert und fertig. Schön wär’s, aber unser Leben bekommt immer mehr Tasten, immer mehr Möglichkeiten zu drücken und sich zu verdrücken. Ich nutze zum Beispiel von der Fernbedienung meines Fernsehgeräte nicht einmal die Hälfte aller möglichen Funktionen. Und wenn ich eins will, dann meine Ruhe, einfach nur „An“ und „Aus“, das in Deutschland auf keinen Fall mehr so heißen darf, eine Senderwahl und die Lautstärke, das reicht schon – für mich.
Ich glaube, es gibt keine gewachsene Sprachgemeinschaft, die ihre Mitglieder so diskrimiert wie die deutsche, vor allem ihre älteren, die die „neudeutschen“ Wörter gar nicht kennen können, wie sie die Verantwortlichen, die das regulieren könnten wie in anderen nichtenglischsprachigen Ländern auch, sie so nonchalant und opportunistisch nennen.
Eine Menschengruppe muss ja schließlich auch in Deutschland diskrimiert werden. Ganz ohne geht es offenbar nicht. Dann nehmen wir doch die, die ein Leben lang diese Gesellschaft aufgebaut haben. Lassen wir sie außen vor, sie müssen genau so wenig alles verstehen wie die dumme Omma oder der dumme Oppa, deren Hörgerät wieder mal nicht funktioniert.
Und zerschneiden wir mit Eifer weiter das sprachliche Band, das die, die hier leben, verbindet. Dann sollten wir aber konsequenterweise dieses Land nicht mehr Deutsch-Land nennen, sondern Neuenglischland.