Ich gehöre selbst auch zu den Schlimmen: Ich fange zu viel an und mache es nicht zu Ende

Oder: Mich selbst wieder einholen, Liegengebliebenes zu Ende machen.

Drei Anfänge fallen mir ein, die ich zu Ende bringen, zumindest fortsetzen muss:

  1. Den Roman über die Gründung einer Schule in Waldberg. Was ich schon nicht in der Wirklichkeit geschafft habe, soll mir wenigstens im Nachhinein in der Phantasie gelingen.
  2. „Isch geh Schulhof“ – da war ich bis zum 8. Teil gekommen. Es bleibt nicht mehr viel übrig, das bringe ich nun heute mit diesem Beitrag zu Ende.
  3. „Charlotte in Weimar“ – auch da war ich hängengeblieben. Auch das ist es wert – sehr sogar wie auch die anderen Punkte – zu Ende geführt zu werden.

 

Isch geh Schulhof – nun nicht mehr (letzter, nämlich 9. Teil – der vorletzte war der 8.)

Philipp Möller beschreibt das gegenwärtige Schuldesaster treffend und in aller Deutlichkeit; viele Beispiele waren in den vorangegangenen Teilen dazu zu lesen, aber er kritisiert es sozusagen von links.

„Die Organisationsform der Schule, wie sie hier aktuell stattfindet, stammt schließlich aus einer ganz anderen Zeit und hat sich in einer völlig anderen Form der Gesellschaft entwickelt. Die Idee, alle Kinder einer Klasse wären um acht Uhr motiviert, Deutsch, und um zehn Uhr gierig darauf, Mathematik zu lernen, entspringt einem Verständnis für die menschliche Natur, das spätestens seit den bahnbrechenden Erkenntnissen der Hirnforschung vollkommen überholt ist.“ (S. 192)

Das ist nach meiner Meinung das völlig falsche Denken. Es ist so ähnlich, wie wenn Bürgergeldempfänger vorrechnen, warum das Geld, das sie vom Steuerzahler bekommen, nicht reicht. Die persönlichen Ansprüche, die angeblichen „Bedürfnisse“ werden zum Kriterium. Darum kann es nicht gehen, sondern es muss darum gehen, welches Geld einer Gesellschaft zur Verfügung steht. Daran müssen sich alle orientieren und nicht an dem, was sie haben wollen. Wäre das so, wären wir – doch noch – im Kommunismus angelangt: „Jedem nach seinen Bedürfnissen!“

Die Kinder in einer Familie zum Beispiel, die ein Haus baut und wo die Eltern durchschnittlich verdienen, können sich auch nicht an dem orientieren, was ihre Schulkameraden haben und was sie angeblich auch „brauchen“. Nein, sie müssen sich am engen Etat der Familie ausrichten, schließlich kommt ihnen das Haus ja auch zu Gute, wenn sie mehr Platz haben und später, wenn sie es erben.

Das diesbezügliche Denken steht in Deutschland Kopf. Fragt sich denn keiner, wieso in der Volksschule des deutschen Kaiserreichs wesentlich bessere Leistungen in den grundlegenden Kulturtechniken Schreiben, Lesen und Rechnen erreicht wurden als heute, obwohl sich damals kein Mensch um die „bahnbrechenden Erkenntnisse der Hirnforschung“ gekümmert hat? Wenn wir das, was schon vor 100 Jahren funktioniert hat, aufgreifen könnten und das Bahnbrechende von heute noch dazu geben würden, dann müssten die Schülerleistungen ja durch die Decke gehen. Tun sie aber nicht bzw. nur umgedreht durch den Boden.

Wer so denkt, wer solche pädagogischen Ansprüche erhebt, wie das Philipp Möller tut, dass nicht die Schüler lernen sollen, sich auf die sachliche Struktur des Schultages auszurichten, sondern die Lehrer sollen sich den subjektiven Befindlichkeiten jedes einzelnen Schülers, seiner individuellen Lust („Gier“) oder Unlust anpassen, treibt die Lehrer in den Burnout, denn das können sie beim besten Willen nicht schaffen. Nicht die Pflege subjektiver Befindlichkeiten (Lust, „Motivation“, Neugierde) ist die Lösung, sondern das Schaffen objektiver Maßstäbe, die stehen, die gültig sind. Dazu gehört dann allerdings auch das pädagogisch handwerklich gekonnte Trainieren der Ausdauer und des Pflichtbewusstseins, ihnen näher zu kommen.

Ob jeder jetzt „Lust“ auf das Fach hat, das dran ist, interessiert keinen. Wichtig ist nur, dass alle Schüler aktiv und aufmerksam am Unterricht teilnehmen. Das wäre gerade die Kulturleistung, es zu tun, obwohl die entsprechende „Lust“ – noch – nicht da ist. Aufmerksam dem zu folgen, was von vornherein interessant ist, ist keine Kunst. Aber zu lernen bzw. zu lehren, sich auch Sachverhalten (und Menschen) zuzuwenden, die nicht von vornherein attraktiv sind, ist eine Kunst und zwar eine grundlegend menschliche bzw. pädagogische. Dann kommt auch das Interesse und die „Lust“: Der Appetit kommt beim Essen. So rum wird ein Schuh draus, andernfalls wird der Lehrer zum Hasen, der dem Igel-Schüler hinterherhetzt und immer wieder hören muss: Ich habe aber schon wieder keine Lust mehr.

Wir müssen uns von einer Kultur subjektiver Em- und Be(p)findlichkeiten trennen, der Orientierung auf das jeweils eigene Innere, wo psychische Störungen ständig gesucht und gefunden werden. „Ich glaube, ich habe eine Depression.“ Zuerst geht es um die Sache, um die objektive Notwendigkeit und dann um deine Depression. Durch diese Reihenfolge ist die Chance schon groß, dass sich psychische Störungen, die in unserer heutigen Gesellschaft auch als Autismus, ADHS, geschlechtliche Irritationen regelrecht explodieren, wieder sozusagen „einkriegen“. Wo waren all diese Störungen denn früher? Konnten sie sich so gut verstecken, „abducken“ und warum konnten sie das?

War das gut, war das besser oder schlechter als die heutige Explosion der Störungen? Spätestens dann, wenn unser Bruttosozialprodukt durch die nachlassenden elementaren Kenntnisse und Fähigkeiten der zukünftigen Arbeitskräfte, durch die Verringerung ihrer Zuverlässigkeit und Belastbarkeit immer weiter sinkt, wird uns auffallen, dass wir uns den Luxus eines kopfstehenden Bildungs- und Erziehungssystems nicht länger leisten können.

Dann wird sich zeigen, was wirklich human ist, eine Orientierung auf individuelle psychische Störungen, die durch den Blick auf sie wachsen (grad‘ wie Grünpflanzen gedeihen sollen, denen man sich aufmerksam und mit Bedacht zuwendet), oder eine Orientierung auf das gemeinschaftlich zu Erreichende, verbunden mit dem sachlichen Optimismus und der „handwerklichen“ Unterstützung, dass das auch gelingen wird, im Sinne einer positiven, sich selbst erfüllenden Prophezeiung.

Die Orientierung auf das Absonderliche stärkt es und macht es immer absonderlicher. (Das sehe ich auch an mir.) Und das macht den Weg in die westliche Dekadenz aus.

Philipp Möller schrieb im Juli 2012 im Nachwort zu seinem Buch:

„Um zu erfahren, wie viele betroffene Lehrer, Schüler und Eltern es gibt, haben Sie auf www.ischgehschulhof.de die Möglichkeit, anonyme eigene (hoffentlich auch gegenteilige!) Erfahrungsberichte zu veröffentlichen. Außerdem werde ich auf dieser Webseite zu relevanten Berichten aus der Bildungslandschaft verlinken und Sie regelmäßig über meine Aktivitäten und Lesetermine informieren.“ (S. 355)

Leider ist diese seine Seite nicht erreichbar, auch unter philippmöller.de nicht. Das ist einerseits enttäuschend, andererseits aber auch tröstlich. Es zeigt mir, wie schnell etwas, was gerade noch angesagt war, schon wieder vorbei sein kann.

Ein Kommentar zu “Ich gehöre selbst auch zu den Schlimmen: Ich fange zu viel an und mache es nicht zu Ende”

  1. Karl sagt:

    Da ich so wenige Kommentare bekomme, will ich einen raren zur Thematik der angeblich vor allem medizinisch begründeten Verhaltensstörungen „ehren“ und auf ihn verweisen: Leserin Nadine hat ihn zu dem schon länger zurück liegenden Beitrag „Isch geh Schulhof, Teil 7“ verfasst.

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