Bei einem Spaziergang durch die Brandenburger Altstadt sind sie kaum zu übersehen: die Waldmöpse als Ergebnis einer Qualzüchtung vom Elch zum kurzatmigen Schoßhündchen. Die Möpse mit ihren rudimentären Elchgeweihen gibt es nicht wirklich, sie sind eine Erfindung von Loriot; dessen Skizzen dienten nach einem Beschluss der Brandenburger Stadtverordneten als Vorlage für kleine Bronzefiguren, die an markanten Stellen der Innenstadt platziert worden sind. Den ganzen Sommer über begegnet man Urlaubergruppen, bewaffnet mit einem speziellen Stadtplan, in den alle Möpse einschließlich der empfohlenen Routen für einen „Mopsspaziergang“ eingezeichnet sind.
„Kompliment. Das habt ihr ja geradezu generalstabsmäßig aufgezogen“, spricht mich ein Tourist an. „Bei dem Wort ‚generalstabsmäßig‘ würde Loriots rechte Braue bestimmt indigniert gezuckt haben“ gebe ich zurück. Und schon sind wir in einem Gespräch darüber gelandet, was Loriot und das Thema Militär miteinander zu tun haben.
Loriot, mit bürgerlichem Namen Vicco von Bülow, wurde 1923 in meiner Heimatstadt Brandenburg an der Havel geboren. Er entstammte einem alten mecklenburgischen Adelsgeschlecht und war entsprechend der Familientradition für eine Offizierslaufbahn vorgesehen. Kurz vor seinem 16. Geburtstag begann der Zweite Weltkrieg und damit war klar, dass er nach einem vorgezogenen Notabitur in den Krieg ziehen musste: drei Jahre Einsatz an der Ostfront, zuletzt im Rang eines Oberleutnants. Er wurde mit dem Eisernen Kreuz zweiter und erster Klasse ausgezeichnet.
Auf die Frage, ob er ein guter Soldat gewesen sei, antwortete er 2011, kurz vor seinem Tod, in einem Interview: „Nicht gut genug, sonst hätte ich am 20. Juli 1944 zum Widerstand gehört. Aber für den schauerlichen deutschen Beitrag zur Weltgeschichte werde ich mich schämen bis an mein Lebensende.“
Loriots Wirken fernab von allem Militärischen begann in der Nachkriegszeit, noch während seines Studiums der Malerei und Grafik. Ich habe nicht vor, an dieser Stelle sein vielgestaltiges Gesamtwerk zu würdigen. Das würde, selbst wenn ich es könnte, einen Rahmen wie diese Web-Seite so was von sprengen – und ist auch gar nicht nötig, denn seine Karikaturen, Cartoons, Sketche, Filme und Fernsehsendungen sind mittlerweile Kult und so manches Zitat ist längst zum Geflügelten Wort geworden, wie etwa „Früher war mehr Lametta“, „Ein Klavier, ein Klavier!“, „Wir schlafen im Liegen.“, „Die Ente bleibt draußen.“ oder „Ja, wo laufen sie denn.“ Oder auch der universal eingesetzte Ausruf: „Ach was!“
Wenn es eine Gemeinsamkeit aller seiner Bilder und Texte gibt, so besteht sie wohl darin, ausgesprochen seriös, harmlos und unpolitisch daher zu kommen – jedenfalls auf den ersten Blick. Oft erst bei genauerem Hinsehen und -hören wird man der subversiven Kraft und Gnadenlosigkeit ihrer Botschaften gewahr. Die werden nicht zuletzt von einer Sprache bewirkt, bei der Disziplin und Stilsicherheit immer die Oberhand behalten und auf humoriges Brimborium fast gänzlich verzichtet wird. Loriots Humor setzt auf den Aha-Effekt beim Wiedererkennen stinknormaler Alltagssituationen, die er aber ins Absurde, ja Abstruse steigert. Besonders oft nimmt er dabei die sogenannten deutschen Tugenden – wie Disziplin, Pünktlichkeit, Fleiß, Gewissenhaftigkeit, Ordnungssinn, Beharren auf feste Regeln und bewährte Rituale – beim Wort und aufs Korn.
Zum Beispiel: Zwei einander unbekannte Herren müssen sich im Hotel eine Badewanne teilen und verschanzen sich hinter ausgesuchten Höflichkeitsfloskeln, um nicht die Contenance zu verlieren. Oder: Der Kauf eines neuen Bettes gipfelt nach einem mehr als gründlichen, mit merkwürdigen Fachwörtern gespickten Verkaufsgespräch in einem Probeliegen zweier Ehepaare; am Ende schlafen die beiden Frauen im selben Bett ein. Die Herren wecken ihre besseren Hälften nicht und der ältere informiert den Verkäufer im Hinausgehen: „Wenn meine Gattin aufwacht, nimmt sie gern eine Tasse Tee mit etwas Gebäck.“ Oder: Eine Fernsehansagerin trägt die Zusammenfassung der bisherigen Folgen einer in England spielenden Krimiserie vor (unvergleichlich Evelin Hamann) und wahrt angesichts der vielen „th“ in den Eigennamen auch noch nach dem soundsovielten Versprecher eiserne Disziplin. (Falls du diesen Sketch noch nicht kennst, Karl – unbedingt ansehen! Der ist wirklich Wasser auf deine Mühlen.) Die Reihe der Beispiele ließe sich noch eine ganze Weile fortsetzen…
Aber ich schweife ab. Kommen wir zu der Frage, die meine Überschrift nahelegt: Hat sich Loriot in seinen Werken überhaupt zum Thema Militär oder Militäreinsatz oder gar Kriegspolitik geäußert? Durchaus, aber eben auf seine Weise. Wer erinnert sich nicht an Opa Hoppenstedt (gespielt von Loriot selbst), der seinem Enkel Dickie ein Weihnachtsgeschenk kaufen will und auf die Frage der Verkäuferin, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist, antwortet, das wisse er nicht so genau, jedenfalls genieße das Kind in seinem Elternhaus „Zucht und Ordnung“. Die Verkäuferin empfiehlt einen Modellbaukasten namens „Wir bauen uns ein Atomkraftwerk“ mit den Worten: „Hier haben wir ein neuartiges Spiel für Jungen und Mädchen im Alter zwischen 5 und 10 Jahren. Das wird sehr gern genommen. Da haben die Kinder viel Spaß dran und die Eltern auch.“ Der Opa bekommt im Gegenzug einen Plattenspieler geschenkt, auf dem er immer wieder seine Lieblingsplatte mit Marschmusik abspielt und dabei enthusiastisch durch das mittlerweile verwüstete Wohnzimmer marschiert. Frau Hoppenstedt resümiert die Dekoration aus Verpackungsmüll und Bauschutt – das Atomkraftwerk hat inzwischen einen Mini-GAU ausgelöst – mit den Worten: „So Kinder, jetzt machen wirs uns gemütlich.“ Wenn das kein Statement ist!
Mein Lieblingsstück zum Thema entstammt einer der wenigen, aber spektakulären Operninszenierungen, die auf Loriots Konto gehen: aus der romantischen Oper „Der Freischütz“ von Karl Maria von Weber. Darin geht es eigentlich gar nicht um das „Soldatenhandwerk“, sondern „nur“ um das Handwerk des Waidmanns. Aber man fühlt sich genötigt zu fragen, was beide Professionen miteinander vereint. Ist es nicht neben der Begeisterung an Waffen und Uniformen auch der Adrenalinschub beim Töten?
Jedenfalls demontiert Loriot genüsslich die inoffizielle Hymne aller jagdgeilen Grünröcke, die bis heute jedem Männergesangsverein Tränen der Rührung in die Augen treibt, den Jägerchor. Anstatt das Lied würdevoll in klassischer Aufstellung vorzutragen, umtänzeln die Jäger bei Loriot im Gänsemarsch die üppig gedeckte Tafel ihres Landesfürsten, der anlässlich eines besonderen Schützenfestes ihr Dorf besucht. Sie fuchteln synchron mit ihren Gewehren, gehen im Vorwärts- und Rückwärtsgang auf die Pirsch, formieren sich zu lebenden Bildern. Das Publikum kann nicht, wie es gewiss erwartet hat, Heldenposen bewundern, sondern muss seinen Ärger oder ein Kichern unterdrücken und liest sich vielleicht zum ersten Mal den martialischen Text im Programmheft durch:
„Was gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnügen? // Wem sprudelt der Becher des Lebens so reich? // Beim Klange der Hörner im Grünen zu liegen, // den Hirsch zu verfolgen durch Dickicht und Teich // Ist fürstliche Freude, ist männlich Verlangen // erstärket die Glieder und würzet das Mahl. // Wenn Wälder und Felsen uns hallend umfangen, // tönt freier und freudiger der volle Choral: Juchhu fallera…“
Ich versuche mir vorzustellen, wie Loriot auf den heutigen Zeitgeist und die aktuelle Bedrohungslage reagieren würde. Dazu mehr im zweiten Teil.
Ein Kommentar zu “Loriot und das Militärische (1)”