Ich bin ein Einzelgänger, der trotzdem die Hand eines Freundes braucht (Teil 6.2 von „Mein Weg ins Leben“)

Hand in Hand durchs Leben zu gehen, gilt in einem noch „umfassenderen“ Sinn natürlich auch für meine Lebensgefährtin. Das in Anführungszeichen gesetzte Attribut ist in diesem Kontext durchaus auch wörtlich zu verstehen, und zwar auf eine alltägliche Weise.

„Umfassungen“ sind in einer richtig guten, lange gewachsenen Freundschaft natürlich auch möglich (in südlicheren Temperamentsbreitengraden ist das sowieso so), aber sie werden besonderen Situationen vorbehalten bleiben, während sie unter Lebensgefährten die Regel sein sollten.

So ticke ich, ich brauche ein persönliches, vertrautes Gegenüber auch in beruflichen Zusammenhängen. Zu Hause kann ich mich wieder sozusagen „neu aufbauen“, indem ich meiner Lebensgefährtin von meinen Kämpfen, meinen Zweifeln und meinen Enttäuschungen erzählen kann.

Aber es wäre sehr gut, auch schon in der Schule einen vertrauten Partner und Kollegen zu haben. Das stärkt mich dann ungemein, wenn ich sozusagen doppelt, wie mit einem Tandem auftreten kann, und ich weiß, selbst wenn ich gerade nicht so richtig in Form bin, gibt es einen, der das nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren ausgleichen kann.

Die grundsätzliche Einigkeit und Verbundenheit des Lehrerkollegiums ist entscheidend für den Erfolg einer Schule. Je seelisch an- und eingreifender eine Arbeit ist, dass sich ein Lehrer letztendlich für seine Schüler auch öffnen können und stark genug sein muss, sich ihnen in gewisser Weise auszuliefern (wie ein Bühnenkünstler, der sich abhängig von der Gunst seines Publikums macht), desto mehr braucht er für diese persönliche „Freihändigkeit“ im eigenen Unterricht die Geborgenheit und die „Schwarmintelligenz“ seines Kollegiums.

Dazwischen, zwischen der individuellen Persönlichkeit und dem ganzen Lehrerkollegium, liegt die vertraute Partnerschaft zu zweit, das berufliche „Tandem“, die Übertragung der Ehe als Prinzip der dauerhaften gegenseitigen Haltverleihung in das berufliche Leben. Das kann gelten für den Unterricht, den zwei Lehrer viel besser leiten können als nur einer (die Schüler stehen ja auch nicht allein, jeder für sich dem Lehrer gegenüber, sondern haben ihre Partnerschaften und das ganze „Schülerkollegium“) und das kann gelten für die Schulleitung.

Im ersteren Fall des Lehrer-Duos im Unterricht könnten in normalen Klassen ein erfahrener Lehrer mit einem Anfänger zusammengespannt werden, wodurch der Neue erst einmal richtig und nachhaltig das Unterrichten lernen würde, vor allem, wenn er der „Co-Lehrer“ von verschiedenen „alten Hasen“ sein kann. Zum Flugkapitän wird man ja auch erst, wenn man lange genug als Co-Pilot geflogen ist.

Jetzt kommen sofort wieder die Nein-Sager (die doch nicht das Gute schaffen) und erklären, dass ja nicht einmal für die Einzel-Leitung des Unterrichts genug Lehrer verfügbar wären, geschweige denn für ein solches Duo-Prinzip.

Wenn wir wollen, dass wieder mehr junge Leute Lehramt studieren, mehr Quereinsteiger bereit sind, sich auf diesen Beruf einzulassen, und weniger erfahrene Lehrer ausgebrannt aussteigen, müssen wir diesen Sprung wagen und zur Not bis dahin, bis wir genug Lehrer- und Lehrerassistenten haben, die Zahl der zu unterrichtenden Stunden deutlich reduzieren. Es kann nur das verbraucht werden, was vorher erarbeitet wurde. Das gilt auch in dieser Beziehung.

Dazu, die Voraussetzungen zu schaffen, dass wieder mehr Lehrer werden wollen, gehört dann auch noch ein wirklicher Schutz der Lehrer vor Beleidigungen und boshaften Frechheiten eines Teiles ihrer Schüler und deren Eltern. Er ließe sich leicht einrichten, wenn die Erziehungsverantwortlichen sich nur einig werden wollen würden und wenn dümmliche moralische Anmaßungen wie dass Erziehung „auf Augenhöhe“ gelingen müsse und Hilfe statt Strafe angebracht sei, endlich einer handwerklichen Professionalität weichen würden.

Wie naiv muss man sein, nicht zu verstehen, dass Aufwachsende ein Recht auf den starken Erziehungspartner haben, zu dem sie auch aufsehen können müssen, wenn es die Situation erfordert? Dann ist wieder das Kollegium der Erziehenden wichtig, damit einzelne pädagogische „Machos“ ihre Macht nicht missbrauchen können.

Wie naiv muss man sein, nicht zu verstehen, dass für einen bestimmten Typ Schüler, der es von seinem Zuhause her gewöhnt ist, immer zu bestimmen, oder der in einem sehr machtaffinen Zuhause gelernt hat, jede Schwäche anderer zu nutzen, um auch einmal obenauf zu sein, die Strafe erfahrener Pädagogen die Hilfe ist, die er auf seinem jetzigen Stand der Persönlichkeitsentwicklung braucht. Nicht „Hilfe statt Strafe“, was sich so schön human anhört, aber Wunschdenken ist, sondern „Strafe als Hilfe“. Wenn, ja wenn ein bestrafter Schüler spüren kann, dass er trotz alledem gewollt ist, dass er dazu gehören soll und dass die Strafe (mit verständnisvollen Nachgesprächen) der Weg ist, auf dem und durch den das gelingen soll.

Das Tandem- oder Duo-Prinzip gilt auch für die Schulleitung. Es war mein Traum von Anfang an, dass ich mit Bert so eine berufliche „Ehe“ eingehen könnte. Ich war immer durchaus zur 1B-Position bereit, also eine Art „Vizedirektor“ oder Erster stellvertretender Direktor zu sein, wobei wir am besten nach jedem Schuljahr unsere Positionen wechseln würden. Wir hätten noch einen weiteren Stellvertreter, die Nr. 3 der Schulleitung sozusagen, die, wenn er gut genug ist und sich bewährt, in diese Rotiererei einbezogen  werden könnte. Das gesamte Schulkollegium (Lehrer und Mitarbeiter) sollte in einer geheimen Wahl entsprechende Vorschläge machen, die vom Eigentümer der Schule bestätigt werden müssten. /1/

Wir beide als kommunizierende Röhren, so hatte ich oft mit Bert gescherzt, als wir dann langsam älter wurden. Allein, die Probe aufs Exempel fand vor unserer gemeinsamen Zeit als Lehrer und Schulleiter an der Waldberg-Schule bei weitem nicht so oft statt, wie ich mir das erhoffte. Einmal hatte ich es selbst versaut, weil ich, für mich selbst überraschend, gekniffen und einen gemeinsamen Ferienlageraufenthalt kurzfristig abgesagt hatte.

Rätselhaft sind nicht nur die „Wege des Herrn“, sondern auch die menschlicher Gedanken, zumindest meiner. War es ein plötzlicher Schub an Faulheit und Bequemlichkeit, der mich überfallen hatte? Ich kann mir das jedenfalls bis heute weder erklären noch verzeihen. Mein armer Freund Berthold musste das Ferienlager ganz allein stemmen und gerade dieses war besonders anspruchsvoll, denn er musste mit einer großen Gruppe wandern und sich selbst um Übernachtungsmöglichkeiten kümmern. Im Nachhinein wäre ich gar zu gern dabei gewesen.

Aber ihn hat diese Herausforderung, als junger Mann auf sich allein gestellt, die volle Verantwortung für eine große Kindergruppe zu tragen, gestärkt. Denke ich. Oft sind ja die Lösungen, die wir aus der Not heraus finden, die besten. Er hat es geschafft, die größeren Kinder, vielleicht 12-, maximal 14- Jährige, in die Betreuung der jüngeren einzubeziehen.

In der nächsten Folge (6.3) kann ich zum Glück über ein Beispiel berichten, wo ich dabei war und wo wir beide zusammen großen Erfolg hatten.

 

Fußnoten 

/1/ Auch in Geldfragen bin ich ein Marxist. Marx und Engels hatten im „Kommunistischen Manifest“ den Kapitalismus als großen Fortschritt gegenüber dem Feudalismus gelobt. In diesem würden die „buntscheckigen“ Bande der adligen oder nichtadligen Geburt bestimmen, ob jemand im Leben Erfolg hat oder nicht. Im Kaptalismus zählt nur eins: das Geld. Das macht die Sachlage entschieden übersichtlicher. Du brauchst keine „Beziehungen“, wie sie in jeder Mangelgesellschaft, auch zum Beispiel der DDR nötig waren, sondern „nur“ Geld. Und das kann jeder, der ein bisschen clever ist, im Kapitalismus verdienen. Ich hatte welches durch den Verkauf meiner selbstgenutzten Wohnung, die ich nicht mehr brauchte, als ich mit Cornelia zusammenzog. Und ich handelte mit Aktien, von Jahr zu Jahr erfolgreicher, vor allem hinsichtlich der Dividenden, die ich einkassierte, ohne den Bestand meines Depots zu verringern. Cornelia hatte ein größeres Vermögen geerbt, so dass wir später beide in der Lage waren, uns als „stille Teilhaber“ an der Finanzierung der Schule zu beteiligen. Damit war uns (auch Bert hatte Geld eingebracht) ein Platz im Aufsichtsrat der Schule sicher und unsere Position in der Schulleitung wurde von Jahr zu Jahr sicherer, vor allem auch, weil wir immer mehr Erfolg mit unserem Schulkonzept hatten, nicht nur pädagogisch, sondern auch finanziell. Die Wartelisten wurden immer länger, und wir konnten das Schulgeld, einkommensgestaffelt, von Jahr zu Jahr maßvoll weiter erhöhen. Eltern und Kinder konnten uns geeignete Nachbarskinder vorschlagen, die sie kannten, und deren Eltern nicht über die nötigen Finanzen verfügten. Sie erhielten dann ein Stipendium von der Schule, so lange sie ernsthaft leistungsbereit waren und blieben.

Keiner, der „stiller Teilhaber“ der Schule wurde, opferte sein Geld aus moralischen Gründen für eine gute Sache. Nein, er wollte mit seinem Investment auch mehr Geld verdienen und das war, wie ich im Einzelnen noch zeigen werde, tatsächlich möglich. Eine Schule, in der konzentriert und diszipliniert gelernt und trotzdem zugleich das kreative eigene Denken der Schüler gefördert wurde, war eine Seltenheit in Deutschland geworden. Wir mussten und konnten ständig expandieren, Zweigstellen an anderen Orten errichten, vor allem seitdem wir auch noch über Internate verfügten.

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