Hier folgen, wie angekündigt, weitere Argumente zum Thema.
3. Gerechtigkeit kann man auf lange Sicht nur mit demokratischen Mitteln herstellen – das gilt auch für Gendergerechtigkeit!
3.1 Eine funktionierende Demokratie ist in der Lage, den Führungsanspruch einzelner, nicht mehrheitsfähiger Interessengruppen zurückzuweisen. Die Demokratie ist gefährdet, wenn eine Interessengruppe sich anmaßt, der Mehrheit vorzuschreiben, was sie zu denken und zu tun hat. Genau diese Anmaßung kennzeichnet aber das derzeitige Vorgehen der „Genderer“.
Hinzu kommt: Eine Interessengruppe, die die Definitionsmacht über ein bestimmtes Thema für sich beansprucht, zieht immer auch Menschen an, denen es um Machtausübung geht, ohne dass ihnen das Thema besonders am Herzen liegt. Das ist leider auch beim Gender-Thema der Fall: Die eifrigsten Verfechter der Gendersprache sind oft nicht die eifrigsten Verfechter von Geschlechtergerechtigkeit, sondern suchen Befriedigung in der Reglementierung ihrer Mitmenschen.
3.2 Ein undemokratisches, gar diktatorisches Vorgehen wird gern damit gerechtfertigt, dass es im Namen höherer Ideale oder einer weltanschaulichen bzw. religiösen Überzeugung geschieht. Wer diese Überzeugung nicht teilen will, muss mindestens mit dem Vorwurf rechnen, in puncto Moral, Bildung oder Zeitgeist nicht auf dem Laufenden zu sein. Im Gender-Diskurs plustern sich dann selbsternannte Experten auf, z. B. mit der Behauptung, der Verfasser des grammatischen Standardwerkes (mittlerweile in 5. Auflage erschienen) „Grundriss der Deutschen Grammatik in zwei Bänden“, Peter Eisenberg, sei altmodisch und fachwissenschaftlich sowie in Sachen Geschlechtergerechtigkeit nicht auf dem neusten Stand; seine Kritik am Gendern müsse man nicht ernst nehmen. Das Argumentationsmuster ist immer das gleiche: Im Zweifelsfall hat die moralisierende Betrachtung Vorrang vor dem Fachwissen und die Überzeugung ist wichtiger als die Fakten.
3.3 Fatal am gegenwärtigen Diskurs ist auch folgendes: Die Genderbegeisterten merken offenbar nicht, dass sich ihre Vorschläge teilweise gegen ihr eigenes Credo richten. Denn das ständige Aufmerksam-Machen auf die geschlechtliche Dimension und ihre Spielarten bewirkt eine Sexualisierung der Sprache, wo es doch eigentlich darum gehen sollte, das Menschliche mit seinen verbindenden Gemeinsamkeiten, mit der Gleichwertigkeit verschiedener Lebensentwürfe in den Vordergrund zu rücken.
4. Die vorgeschlagenen Änderungen im Dienste einer gendergerechten Sprache überschätzen die propagandistische und unterschätzen die ästhetische Wirkung.
4.1 „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“, lautet eine zentrale These des Dialektischen Materialismus. Oder mit Brechts drastischen Worten gesprochen: „Erst kommt das Fressen und dann die Moral.“ Umgemünzt auf den initiierten Sprachwandel würde das bedeuten: Um gerechtere Geschlechterverhältnisse zu erreichen, müssen primär die gesellschaftlichen Verhältnisse verändert werden; sprachliche Veränderungen sind dem gegenüber nachrangig. Wer alle Hoffnung in die Kraft der Sprache setzt – Methode „Steter Tropfen höhlt den Stein“ –, hat vielleicht die Hoffnung auf echte gesellschaftliche Veränderungen schon aufgegeben. Neue Ausdrücke können weder den Gender-Pay-Gap noch die „Gläserne Decke“ beseitigen, können auch nicht für mehr Kindergartenplätze oder einen Klub für queere Menschen sorgen.
4.2 Die vorgeschlagenen Eingriffe betreffen fast alle Teildisziplinen der Linguistik. Oft wird der Satzbau unübersichtlicher und der Redefluss kommt ins Stocken. Die Befürworter des Genderns nehmen diese Beeinträchtigungen in Kauf mit der Begründung, man werde sich daran gewöhnen, denn sie dienten schließlich dem gesellschaftlichen Fortschritt. Wer aber bezweifelt, dass die Genderdebatte, so wie sie jetzt geführt wird, tatsächlich fortschrittlich ist, wird durch das Unbehagen an den unschönen Formulierungen in seiner Ablehnung bestärkt.
4.3 Die Empfehlungen für das Gendern, von verschiedenen Institutionen in vorauseilendem Gehorsam schon als Vorschriften propagiert, behindern den kreativen Umgang mit und die freie Entfaltung von Sprache. Wer sich an vorgegebene Formulierungsmuster zu halten hat, denkt über alternative Ausdrücke kaum noch nach und leistet einer Verarmung der Sprache Vorschub. Der Humor als Zeichen einer unkonventionellen Denkweise kommt zu kurz, was im Endeffekt auch davon zeugt, dass unsere Demokratie bedroht ist.