Oder: Liebeseinheiten im Straßenverkehr
Es ist gut, dass ich noch meinen Führerschein habe. Gerade eben hatte ich als Kraftfahrer drei bestärkende Erlebnisse. An einer Nebenstraßenkreuzung gewähre ich einem Fahrzeug, das von rechts kommt, die Vorfahrt. Das nutzt eine Mutter mit einem kleinen Kind an der Hand, um die Straße zu überqueren, auf die ich hätte geradeaus weiterfahren wollen. Ich sehe mich nicht, aber ich schätze, ich gucke ein wenig grimmig, denn jetzt werde ich zum zweiten Mal zum Warten gezwungen und die Verkehrsrechtslage ist diesmal nicht so eindeutig. Aber was passiert da? Das kleine Mädchen an der Hand ihrer Mutter lächelt mich an und winkt mir zu. Ich kann nicht anders, ich muss auch lächeln und zurückwinken. Nun fängt auch die Mutter, die beides gesehen hat, an zu lächeln: Eine Kettenreaktion der Freundlichkeit, in Gang gesetzt durch einen ganz jungen Menschen, der offenbar noch nicht viel von der Bosheit der Welt mitbekommen hat.
Jetzt verstehe ich erst, was in der Kirche immer gepredigt wurde: Gott liebt dich, auch dich. Mit der freudigen Leichtigkeit dieses Erlebnisses versehen, fahre ich weiter. Eine lange Autokolonne staut sich. Eine Frau, wieder eine Mutter, will mit ihrem Fahrrad und zwei schon etwas größeren Kindern die Fahrbahn überqueren. Ich halte an und lasse eine Lücke entstehen, die sie freudig nutzt. Sie bedankt sich mit einem Handzeichen.
So schön kann das Leben sein. Jetzt verstehe ich noch besser, dass es unter den Kraftfahrern „Gutmenschen“ gibt, die nach dem Reißverschlusssystem nicht nur ein anderes Auto vorlassen, sondern gleich mehrere. Offenbar ist es zu schön, Dankbarkeit „ernten“ zu können. Aber gegenüber Schwächeren, Fußgängern und Radfahrern, ist es oft wirklich angebracht, großzügig zu sein und ihnen etwas freiwillig zu gewähren, worauf sie verkehrsrechtlich nicht unbedingt Anspruch haben. Aber diese müssen dann das „Geschenk“ auch annehmen und sich nicht zieren. Ein Ping-Pong der Gutmenschlichkeit kann im Straßenverkehr zu Missverständnissen und sogar zu Unfällen führen und wahrscheinlich nicht nur dort. Besser ist ein Nacheinander der Freundlichkeiten. Es muss nicht alles im gleichen Moment passieren.
Ob Sie es glauben oder nicht, ich hatte eben gerade noch ein 3. schönes Erlebnis im Straßenverkehr. Ein älterer Mann auf einem Fahrrad zeigte kurz an, dass er links abbiegen wollte. Dann ließ er es bleiben, es kamen zu viele Autos hinter ihm und er fuhr langsamer weiter rechts. Ich verlangsamte meinerseits, ließ eine größere Lücke und er nahm dankbar dieses Angebot an, nachdem er es bemerkt hatte. Wir gaben uns gegenseitig ein Zeichen der Freundlichkeit und Dankbarkeit mit der Hand. So schön kann das Leben sein – immer noch.